Berliner Parteien für Lernmittelfreiheit: Ganz große Koalition für kostenlose Schulbücher
Sechs Wochen vor der Berlin-Wahl kündigt die SPD die Wiedereinführung der Lernmittelfreiheit an. Und auch Linke und CDU wollen Eltern wieder entlasten.
Berlins Eltern haben gute Chancen, bald das Geld für die Schulbücher zu sparen. Kurz vor der Wahl hat auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh die Forderung nach einer Wiedereinführung der Lernmittelfreiheit erhoben. Zuvor hatten sich bereits CDU und Linke dafür stark gemacht. Landeselternausschuss, Schulen und Grüne reagierten zurückhaltend. Es geht um geschätzte 20 Millionen Euro. „Ich möchte die Lernmittelfreiheit, denn damit entlasten wir die Eltern“, begründete Saleh seine Ankündigung im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Landeselternsprecher: "Keine Hauptforderung von Eltern"
„Grundsätzlich ist Lernmittelfreiheit auf dem Weg zu kostenloser Bildung eine begrüßenswerte Sache“, kommentierte Landeselternsprecher Norman Heise die Ankündigung. Lernmittelfreiheit sei aber „keine Hauptforderung von Eltern“: „Wichtiger und deutlich entlastender ist kostenfreies Mittagessen für alle Schüler“, sagte Heise. Der Vorstoß Salehs sei „verwunderlich, denn Herr Saleh war zu Gast im Landeselternausschuss und hat hier auch unsere Forderungen und Wünsche zur Kenntnis genommen und mit uns dazu diskutiert. Lernmittelfreiheit war damals beiderseits kein Thema“.
Dass es für die Elterngremien kein Herzenswunsch ist, ficht die Politik aber offenbar nicht an. Auch die CDU teilte am Mittwoch mit, dass sie sich „ für die Wiedereinführung der vom rot-roten Vorgängersenat abgeschafften Lernmittelfreiheit in Berlin einsetzt“. Zu einem kostenlosen Schulbesuch gehöre „konsequenterweise auch die Bereitstellung der erforderlichen Lernmittelfreiheit durch öffentliche Mittel“, sagte die bildungspolitische Sprecherin Hildegard Bentele. Die CDU hatte sich von Anfang an gegen die Abschaffung der Lernmittelfreiheit ausgesprochen. Beschlossen wurde sie während des rot-roten Senats unter Klaus Wowereit (SPD). Die damalige PDS (heute: Linkspartei) als Koalitionspartner wollte zunächst nicht zustimmen, was sie 2003 dann aber doch tat. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2006 hatte die CDU abermals eine Abschaffung der Lernmittelfreiheit in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Bei der Wahl 2011 tauchte das Thema aber kaum noch auf.
An fast allen Schulen gibt es Lehrmittelfonds
Tatsächlich ist es an den Schulen ruhig geworden um den Schulbuchkauf: Nach erheblichen Anfangsschwierigkeiten gibt es inzwischen an fast alle Schulen Fonds, aus denen die Bücher finanziert werden: Die Eltern müssen nicht den vom Gesetz festgeschriebenen Höchstbetrag von 100 Euro zahlen, sondern steuern je nach Schule nur rund 50 Euro bei. Die Bücher bleiben Eigentum der Schule.
Da mehr als jedes dritte Berliner Schulkind aus Hartz-IV- oder Wohngeldempfänger-Familien stammt, zahlt das Land ohnehin schon die Bücher von mehr als 100 000 Schülern. Insgesamt gab das Land im Jahr 2015 knapp zwölf Millionen Euro für Lernmittel aus, ergab die Antwort auf eine Anfrage der grünen Abgeordneten Stefanie Remlinger. Der Betrag müsste sich also etwa verdreifachen. „Das mit der Gebührenfreiheit ist gut und schön, solange dann noch genug Geld für die Qualitätsverbesserung übrig bleibt“, kommentierte Remlinger den Plan. Statt „einfachen Wählerfang“ zu betreiben, solle man das Geld lieber in mehr Personal und bessere Räume investieren. Die Bildungspolitikerin der Linksfraktion, Regina Kittler, nannte es am Mittwoch „verwunderlich“, dass die SPD jetzt „plötzlich so viel Geld locker machen will – Geld, das sie der Opposition und der eigenen Senatorin oft genug verwehrt hat“.
Detlef Pawollek vom Vorstand der GEW-Schulleitervereinigung fürchtet, dass das zusätzliche Geld „versickert“. Der Vorsitzende der Vereinigung der Oberstudiendirektoren, Ralf Treptow, hält eine Lernmittelbefreiung nur dann für vertretbar, wenn das Land ebenso viel aufbringt wie jetzt die Eltern. Bundesweit ist die Schulbuchbeschaffung unterschiedlich geregelt: In Hessen und Baden-Württemberg etwa zahlen Eltern nichts, in Brandenburg werden sie an den Kosten beteiligt.
Susanne Vieth-Entus