Berliner SPD-Politiker Sven Kohlmeier hört auf: „Für mich war es immer ein Job auf Zeit“
Zur nächsten Berlin-Wahl will der rechtspolitische Sprecher der SPD nicht mehr kandidieren. Er findet, viele Politiker kleben zu lange an Posten. Ein Interview.
Herr Kohlmeier, Sie sind seit 14 Jahren Abgeordneter im Berliner Parlament, davor waren Sie in der Bezirksverordnetenversammlung in Marzahn-Hellersdorf politisch tätig – jetzt haben Sie am Dienstag plötzlich angekündigt, im nächsten Jahr nicht mehr fürs Abgeordnetenhaus kandidieren zu wollen. Wie ist die Resonanz?
Ich habe es ja ausnahmsweise mal andersherum gemacht als sonst und in diesem Fall zuerst meine Partei informiert und erst danach die Presse. Als erstes habe ich es der SPD-Abteilung in meinem Bezirk, meiner Kreisvorsitzenden und Fraktionschef Raed Saleh gesagt. Alle waren ein bisschen überrascht und geschockt.
Heute, als die Nachricht dann raus war, habe ich viele Nachrichten und Anrufe bekommen, die meisten haben mir viel Respekt für meine Entscheidung ausgesprochen. Manche haben aber ungläubig nachgefragt, warum man freiwillig die Politik verlässt, auf Posten verzichtet.
Das nennen Sie ja in Ihrem Statement zum Rückzug als Grund, dass Sie nie so sein wollten „wie das Establishment“, nie an Posten kleben wollten. Was ist das für Sie, „Establishment“?
Im Leben sollten sich Dinge verändern, nur dann ist man tatsächlich lebendig. In der Politik wünsche ich mir – auch in meiner SPD – mehr Veränderung, auch personell. Ich blicke mit Erstaunen auf Berufspolitiker, die viele Jahrzehnte praktisch immer das gleiche machen. Bestimmt teilweise gut, Erfahrung ist natürlich auch ein Mehrwert, aber man sollte nicht irgendwo sitzen, weil einen faktisch keiner wegbekommt.
Ich wollte nie ein Berufsparlamentarier werden und mit 70 Jahren noch mal für den Bundestag kandidieren und mit 90 Jahren noch eine Stiftung übernehmen. Ich fand es wichtig, mit meinem Beruf als Rechtsanwalt ein Standbein zu behalten, um jederzeit aussteigen zu können und darüber selbst zu entscheiden. 15 Jahre in Berlin als Abgeordneter tätig gewesen zu sein, war eine Ehre, aber es war für mich immer ein Job auf Zeit.
Und in einem Jahr machen Sie dann was?
Voll als Rechtsanwalt arbeiten und bestimmt die ein oder andere berufliche Möglichkeit ausloten. Ich war bereits häufig auf internationalen Konferenzen zu Cybersecurity und Dataprotection. Da möchte ich mich weiterentwickeln, auch im Bereich E-Government. Aber ich weiß, dass man in der Politik nie etwas ausschließt. Sollte es also parlamentarisch oder außerparlamentarisch mal eine interessanten Funktion geben, denke ich sicherlich auch über eine „Rückkehr“ nach. In jedem Fall bleibe ich politisch und in der SPD aktiv. Und ich werde mich auch zukünftig zur Berliner Politik äußern, wenn mir was nicht passt.
Ihr selbstgegebener Spitzname ist „Liebling Kaulsdorf“. Sie waren ein lauter Fürsprecher eines Randbezirks im Osten der Stadt. Haben Sie nicht die Sorge, dass da Ihr Zeigefinger und Blick auf die Außenbezirke fehlen wird?
Ja, bestimmt, aber jeder ist ersetzbar. Ich glaube, dass meine Partei verstanden hat, dass Berlin mehr ist als Bio-Markt in Prenzlauer Berg und Latte Macchiato in Kreuzberg. Es wird eine Nachfolgeregelung geben und ich gehe davon aus, dass mit dieser Person das Thema nicht verloren geht.
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Haben Sie einen Vorschlag gemacht?
Ich habe den Vorsitzenden der SPD-Abteilung Marzahn-Hellersdorf, Jan Lehmann, vorgeschlagen. Er könnte auf Platz 2 der Liste und als Direktkandidat für den Wahlkreis Kaulsdorf/Hellersdorf antreten, die SPD muss ihn natürlich noch nominieren. Er ist im Kiez verwurzelt, Vorsitzender des Bezirkssportbundes und würde meinen Wahlkreis gut im Parlament vertreten.
Es bleibt Ihnen nun noch ein Jahr im Abgeordnetenhaus - was wollen Sie unbedingt noch schaffen?
Ich werde den Fokus natürlich weiter auf die Außenbezirke lenken und die Koalition immer wieder daran erinnern, diese nicht zu vergessen, etwa beim Mobilitätsgesetz für Fußverkehr. Die Unterführung am S-Bahnhof Kaulsdorf, ein dunkler, unangenehmer Ort, muss saniert werden und soll etwas freundlicher gestaltet werden.
Und beim E-Governement mit dem Dauerärgernis der noch nicht eingeführten E-Akte, will ich wenigstens noch eins erreichen: Dass die Ausschreibung für die E-Akte durchgeführt und der Auftrag vergeben wird. Damit das auf eine unaufhaltsame Schiene gesetzt ist und man sagen kann: Die E-Akte kommt wirklich.
Sven Kohlmeier (43, SPD) ist seit 2006 Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin zudem Sprecher für Rechtspolitik der SPD-Fraktion. Kohlmeier ist außerdem Rechtsanwalt.
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