Berliner Theaterbühne: Friedrichstadt-Palast setzt mit neuer Produktion „Vivid“ auf großen Glamour
Ausgerechnet Hüte spielen in "Vivid" eine Hauptrolle. Philip Treacy, ein Weltstar in Sachen Kopfbedeckung, hat sie entworfen.
Hüte. Warum ausgerechnet Hüte? Der Intendant des Friedrichstadt-Palasts, Berndt Schmidt, wirkt ganz entspannt, während er ausholt, um sein persönliches Credo zu erläutern. Darin enthalten ist auch der Grund, warum in der neuen Produktion „Vivid“ Hüte eine Hauptrolle spielen: „Gibt man den Leuten das, was sie erwarten, dann sind sie zufrieden, wenn sie das Theater verlassen.“ Das reicht ihm aber nicht. Er will, dass sie begeistert sind. Um sie zu begeistern, muss man sie überraschen. Das klingt wie ein ziemlich anstrengendes Konzept, und das ist es auch.
Nach der Zusammenarbeit mit den Designern Michael Michalsky, Thierry Mugler und Jean-Paul Gaultier hätte er ja bei der Haute Couture bleiben können, bei spektakulären Kostümen also, die alles übertrumpfen, was man sonst so auf der Bühne sieht. Bei Musicals funktioniert das schließlich auch. Seit „Mamma Mia“ die besten Abba-Hits auf die Bühne brachte, gibt es Ähnliches von Udo Jürgens bis Take That.
Modische Inspiration auf der Theaterbühne
Dass Berndt Schmidt einst damit begann, das Image des Friedrichstadt-Palastes mit glamourösen, kostbaren Roben zu entstauben und das Haus auf Erfolgskurs zu bringen, hatte einen einfachen Grund. „In den 20er Jahren gingen die Damen auch deshalb ins Theater, um sich zu orientieren, was man so trägt.“ Daran wollte er anknüpfen.
Normalerweise trennen die einfach genähten, lediglich auf Effekt geschneiderten Theaterkostüme und die aufwendig gearbeiteten, teuren Haute-Couture-Roben Welten. Aber die Anstrengung lohnt sich, auch für die modische Inspiration. Für die Bühnenkünstler mussten waschbare Haute-Couture-Kleider her, eine Herausforderung für die Designer. Und ein Albtraum für die Theaterwerkstatt.
„Ich wollte die schönsten Kopfputze der Welt“
Und jetzt erst die Hüte. „Ich wollte die schönsten Kopfputze der Welt“, sagt er ohne vorgespielte Bescheidenheit. So geriet er an den britischen Hutmacher Philip Treacy, ein Weltstar in Sachen Kopfbedeckungen. Für dessen Kreationen gibt der britische Hochadel schon mal 50.000 oder 60.000 Euro aus, wenn Ascot naht mit der wetteifernden Hutparade der Reichen und Schönen. Pro Exemplar wohlgemerkt.
Es dauerte eine Weile, bis der begehrte Designer sich überreden ließ, fürs Theater zu arbeiten. Am Ende immerhin musste nicht ganz so viel Geld hingeblättert werden für die verrückten Hüte, die demnächst über die Bühne wirbeln werden. In Schmidts hellem Arbeitszimmer, in dem sich die Plakate all der Shows sammeln, die unter seiner Intendanz seit 2007 hier auf die Bühne gekommen sind, steht ein Flachbildschirm. Auf dem läuft der noch unfertige Trailer, der eine Ahnung gibt von den flamboyanten Kopfschmuck-Kreationen, einer fragilen Orchidee etwa oder mächtigen Pfauenrädern aus Hunderten Federn. Der kreative Intendant zielt ab auf das Wow-Erlebnis, die Überwältigung durch Bilder, von denen die Leute erzählen sollen.
Freiheit auf der einen, Vielfalt auf der anderen Seite
Als Berndt Schmidt, der mit summa cum laude promovierte Betriebswirt 2007 geholt wurde, schrieb das Theater vier Millionen Euro Verlust. Zuvor hatte der gebürtige Badener bei Stage Entertainment gearbeitet, als Geschäftsführer von zwei Theatern in Stuttgart, hatte vorher schon Unternehmen saniert. Er kann Zahlen, und er hat eine kreative Ader und findet nicht, dass das ein Widerspruch sein muss. Schmidt kann gut mit Künstlern, umgekehrt gelte das in der Regel auch. Ordnung und Disziplin auf der einen und Freiheit und Vielfalt auf der anderen Seite prägen schließlich auch die Arbeit auf der Bühne. Die kunstvolle Präzision der „Girls Reihe“ mit 32 Tänzerinnen, habe ja auch etwas von Ordnung.
Fünf Produktionen hatte er bislang zu verantworten, und stetig ging es bergauf. Bei einem Etat von ungefähr 35 Millionen Euro, in dem zehn Millionen aus Landesmitteln schon enthalten sind, hat er im vergangenen Jahr immerhin zwei Millionen Euro Gewinn gemacht. Über 500 000 Besucher ziehen allein die eigenen Shows im Jahr, zählt man Besucher aus Fremdveranstaltungen wie der Berlinale hinzu, kommt man auf 700 000. Theater in der Nachbarschaft rangieren viel niedriger. Wer Revue sehen will, kann das in Las Vegas tun oder eben im Friedrichstadt-Palast.
Ein Seiltanz ohne Netz
Berndt Schmidt hat keine Ahnung, ob die kommende Produktion, die am 11. Oktober Weltpremiere feiert, ein Erfolg sein wird, es ist ein Seiltanz ohne Netz und doppelten Boden, den er da wagt, er geht voll auf Risiko. Andere Theater haben Notfallproduktionen im Keller, können einfach den Spielplan ändern. Vivid aber ist auf zwei Jahre an- und festgelegt. Das sei sinnvoll: Man könne zwei Budgets zusammenlegen und effizienter werben.
Ohne Anspannung, glaubt er, wird man unvorsichtig, selbstgerecht, bräsig. Wer zufrieden mit sich ist, hat die Saat für den Misserfolg schon ausgestreut. „Ich habe auch Glück gehabt“, sagt er. Die richtigen Themen zur richtigen Zeit setzen, das sei immer mit Ungewissheit verbunden. „Alles, was morgen ist, ist geraten.“ Dass er auch als anstrengend und fordernd wahrgenommen wird, weiß der 54-Jährige. Aber nur so könnten gute Sachen entstehen. „Eine Goldmedaille kann man nicht entspannt gewinnen, das muss auch wehtun.“
„Ein Hut sagt viel über Status und Persönlichkeit aus“
Was die Designer betrifft, war die Inspiration wechselseitig. Gaultier hat einige abgewandelte Friedrichstadtkostüme in seine Kollektion aufgenommen. Über die Bedeutung der Hüte hat Schmidt viel nachgedacht in den letzten zwei Jahren. Das ist der Zeitraum von der ersten Idee bis zur Premiere. „Ein Hut sagt viel über Status und Persönlichkeit aus“, sagt er. „Ein Hut ist die Persönlichkeit dessen, der ihn trägt – und ein Hut.“
Das aktuelle Poster zeigt eine Tänzerin mit einem mutig geschwungenen Regenbogen-Hut. Darin sind gleich mehrere Botschaften enthalten. Zum einen die von „Vivid“ . In der Show geht es darum, sich zu befreien, ein altes Korsett abzulegen und neue Wege zu suchen. Vor zwei Jahren startete Berndt Schmidt zudem die Kampagne „Respect each other“, die in den ineinanderlaufenden Farben des Regenbogens um Weltoffenheit, Toleranz und aufrichtigen gegenseitigen Respekt wirbt.
Er hofft, dass auch Besucher, die religiös oder politisch radikal sind, sich davon inspirieren lassen. Schließlich sei der Friedrichstadt-Palast auch ein Volkstheater. „Vor zehn Jahren wäre mir so ein Spruch noch peinlich gewesen, weil zu banal“. Aber die Zeiten haben sich geändert. Im berühmten Kinderensemble des Hauses gibt es auch kleine Berliner mit afrikanischem oder asiatischem Hintergrund. Und seit einigen Jahren erzählen die manchmal von Anfeindungen in der Öffentlichkeit.
Die Regenbogenfarben erzählen aber auch etwas von dem positiven Weltbild, dass die Revue vermitteln will. Schmidt fasst es kurz: „Das Leben kann schön sein, wenn ich ihm eine Chance gebe.“
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