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Besucher strömen am Samstagabend in den Friedrichstadtpalast, um die Show "The One" zu sehen.
© Maurizio Gambarini/dpa

Intendant lädt AfD-Wähler aus: Lasst die AfD in den Friedrichstadtpalast!

Friedrichstadtpalast-Intendant Berndt Schmidt lud AfD-Wähler aus. Politisch klug war das nicht. Denn Massenkultur kann politisch viel bewirken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frederik Hanssen

Am Samstagabend war ein Grüppchen überzeugter AfD-Wähler im Friedrichstadtpalast. Auf Einladung der rechtspopulistischen Partei, die Freikarten für die aktuelle Revue spendiert hatte. So wollte die Alternative für Deutschland Berndt Schmidt düpieren, den Intendanten der Showbühne, der in einem Rundschreiben an seine Belegschaft erklärt hatte, er wolle Sympathisanten der AfD nicht in seinem Haus haben.
Was die ungebetenen Gäste zu sehen bekamen – die unter Führung von AfD-Sprecher Ronald Gläser übrigens anstandslos eingelassen wurden –, fasste Berndt Schmidt in seinem Grußwort so zusammen: „Ein Ensemble aus 25 Nationen, mit allen Hautfarben, aus Atheisten, Christen, Muslimen und Juden, aus Hetero- und Homosexuellen, von Menschen mit und ohne Behinderungen, die friedlich zusammenarbeiten.“

Die aktuelle Friedrichstadtpalast-Revue „The One“ ist ein Crashkurs in Sachen Toleranz

Auch die Kostüme, von einem Ausländer namens Jean-Paul Gaultier entworfen, bieten hier reichlich optisches Schockmaterial für alle, die auf Schicklichkeit und Ordnung pochen. Gleich in der Eröffnungsszene tummeln sich die wildesten Gestalten des Berliner Nachtlebens auf der Szene, lauter Freaks und Außenseiter, Provokateure und Crossdresser. Danach öffnen sich erst recht verwirrende, erotisch-exotische Welten, bevölkert von Wesen, deren Geschlecht sich oft nicht eindeutig feststellen lässt.

Dann doch im Gespräch: Friedrichstadtpalast-Intendant Berndt Schmidt (r) unterhält sich am Samstagabend im Friedrichstadtpalast in Berlin vor der Vorstellung der aktuellen Revue "The One" mit dem Berliner AfD-Sprecher und Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus Ronald Gläser. Nach seinem Brandbrief gegen AfD-Wähler hat Berndt Schmidt in den vergangene Tagen etwa 250 Hassmails - teils mit Morddrohungen - erhalten.
Dann doch im Gespräch: Friedrichstadtpalast-Intendant Berndt Schmidt (r) unterhält sich am Samstagabend im Friedrichstadtpalast in Berlin vor der Vorstellung der aktuellen Revue "The One" mit dem Berliner AfD-Sprecher und Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus Ronald Gläser. Nach seinem Brandbrief gegen AfD-Wähler hat Berndt Schmidt in den vergangene Tagen etwa 250 Hassmails - teils mit Morddrohungen - erhalten.
© Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Die aktuelle Revue „The One“ ist also ein Crashkurs in Sachen Toleranz. Und sie erreicht tatsächlich auch jene, die in ihrem Alltag mit dem Fremden fremdeln, anders als die Hochkulturinstitutionen. Ins viel gelobte Maxim Gorki-Theater, aber auch in die Schaubühne, das Deutsche Theater oder das Berliner Ensemble strömt ein ziemlich homogenes Publikum. Das liberale Bürgertum nämlich, Menschen, die für fast alle Formen von Lebensentwürfen Verständnis haben, und wenn nicht, so doch fest entschlossen sind, an sich zu arbeiten, bis sie es werden. Wer Massenunterhaltung anbietet, hat ein ganz anderes Publikumsportfolio. Er kann nicht nur für eine Konsens-Community spielen, sondern muss wirklich „Kultur für alle“ machen. Der Friedrichstadtpalast hatte 2016 fast 470 000 zahlende Besucher, mehr als jede andere Bühne der Hauptstadt. Das geht nur, wenn auch der Durchschnittsberliner Tickets kauft, der Besucher aus der Umland und der aus der Provinz. Bei den Kudamm-Bühnen sieht das übrigens ähnlich aus, ebenso in den Musical-Häusern.

Keine Macht der AfD: Das scheinbar leicht konsumierbare Entertainment transportiert absolut progressive Botschaften

Das scheinbar so leicht konsumierbare Entertainment transportiert zwischen Glitter und Glamour oft absolut progressive Botschaften. Dass die schrägen Typen die interessantesten sind, zum Beispiel. Die Unangepassten, die sich nicht darum scheren, was die anderen von ihnen denken könnten, sondern lieber ihren Traum leben. Die mutig in die Welt hinausgehen, statt sich auf der eigenen Scholle zu verschanzen.
Das Fremde wird als etwas Exotisches dargestellt, damit aber auch als etwas Faszinierendes, Anziehendes. Einst war der Friedrichstadtpalast für Busenblitzer bekannt. Schon lange aber sind auch homoerotische Szenen kein Tabu mehr. Nach den strengen Regeln der Gender- oder auch der LGBT-Fraktion mag Manches unterkomplex dargestellt werden. Der so genannte „kleine Mann“ aber verlässt das Theater mit einem geweiteten Blickwinkel.
Ja, man kann sogar so weit gehen, zu behaupten, dass die Breitenarbeit der Unterhaltungsbühnen ihren Teil dazu beigetragen hat, wenn sich jüngst im Deutschen Bundestag dann doch eine Mehrheit der Volksvertreter dazu durchringen konnte, die Ehe für alle per Gesetz zu ermöglichen.
Das Entsetzen von Berndt Schmidt über das Ergebnis der Bundestagswahl war echt. Wer den Intendanten des Friedrichstadtpalasts kennt, weiß um seine Emotionalität. Und um sein rückhaltloses Engagement für eine Gesellschaft, die genauso regenbogenbunt ist wie die Fantasiewelten auf seiner Bühne. Im Fall der AfD aber ging sein Reflex zunächst in die falsche Richtung. Statt den Protestwählern die Tür zu weisen, hätte er sie gleich umso herzlicher einladen sollen: Damit sie sehen, wie sexy Toleranz sein kann.

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