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Der mutmaßliche Sexualstraftäter entkam aus dem Maßregelvollzug der Karl-Bonhoeffer-Klinik. 
© dpa

Verurteilt wegen gefährlicher Körperverletzung: Freigänger soll Mädchen missbraucht haben

Ein 52-Jähriger saß in Reinickendorf im Maßregelvollzug. Er hatte regelmäßig Freigang und vergewaltigte dabei mehrfach ein junges Mädchen. Als die Eltern das anzeigten, wurde ihm der Freigang gestrichen - doch mit einem Trick gelang ihm die Flucht.

Ein im Maßregelvollzug untergebrachter Mann soll bei Ausgängen in Cottbus ein 14-jähriges Mädchen in mindestens sieben Fällen missbraucht und vergewaltigt haben. Der mutmaßliche Täter soll dabei dem Mädchen gedroht und „sexuellen Kontakt“ gefordert haben. Das Mädchen und dessen Eltern zeigten den 52 Jahre alten Mann vergangene Woche an. Die Behörden in Cottbus warnten daraufhin am Freitag das Krankenhaus des Berliner Maßregelvollzugs in Reinickendorf: Etwaige Ausgänge sollten unbedingt gestrichen werden. Dies bestätigten die zuständige Sozialverwaltung von Senator Mario Czaja (CDU) und die Cottbuser Staatsanwaltschaft am Dienstag.

Im Maßregelvollzug gab es dann offenbar eine Panne. Es seien zwar „umgehend sämtliche Lockerungen für den Patienten aufgehoben worden“, erklärte die Sozialverwaltung, „es gelang ihm jedoch am selben Tag mit einem vorher als verloren gemeldeten und dann manipulierten Ausgangsschein“, die Vollzugsklinik zu verlassen. Die Zielfahnder des Berliner Landeskriminalamtes rückten sofort aus, das Mädchen in Cottbus wurde durch Polizisten geschützt. Am Sonntag konnte der Patient in Berlin festgenommen werden.

In der Brandenburger Justiz gab es heftige Kritik an den Vorgängen im Berliner Maßregelvollzug: Dass der Mann habe flüchten können, sei sehr problematisch. Vor den Ermittlern verweigerte dieser bislang die Aussage, lediglich vor dem Haftrichter in Cottbus soll er sich geäußert haben. Das Cottbuser Amtsgericht erließ Haftbefehl wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung. Der Mann befindet sich wieder im Maßregelvollzug in Reinickendorf, ist intern aber verlegt worden. Der Haftbefehl aus Cottbus hat Sperrwirkung: Lockerung und Ausgänge sind damit nicht mehr zulässig.

Der mutmaßliche Missbrauchstäter war 2008 vom Landgericht Berlin nach einer „ehelichen Beziehungstat“ wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Das Gericht hatte wegen einer Persönlichkeitsstörung statt regulärem Gefängnis aber Maßregelvollzug angeordnet. Dieser wird erwogen, wenn eine „rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen“ worden ist, heißt es im Strafgesetzbuch. Oft betrifft das Süchtige oder schwer seelisch Kranke.

Üblicherweise werden nach einer bestimmten Haftdauer schließlich Lockerungen gewährt. Seit Mitte 2011 hatte der Patient regelmäßigen Ausgang. Dem sollen sowohl die Ärzte als auch die Staatsanwaltschaft zugestimmt haben, teilte die Sozialverwaltung mit. Seit 2012 soll der Mann bei den häufigen Freigängen durch ein Forum im Internet den Kontakt zu dem damals noch 13 Jahre alten Mädchen aus Cottbus aufgebaut haben. Bei Ausgängen soll er sich dann in mindestens sieben Fällen an verschiedenen Orten mit dem Mädchen in Cottbus getroffen und es dabei missbraucht und vergewaltigt haben.
Aus dem Maßregelvollzug brechen selten Patienten aus. In den vergangenen drei Jahren gab es jeweils eine Flucht, in diesem Jahr nun zwei. Erst vor vier Wochen war ein 39 Jahre alter Rechtsradikaler kurz vor seinem Prozess geflohen. Der verwirrte Mann, der sich selbst als „Reichsbürger“ bezeichnet, soll Sprengstoff gehortet haben. Mit Hilfe eines nachgemachten Schlüssels entkam er durch ein Kellerfenster des Krankenhauses. Der Rechtsradikale ist noch immer auf der Flucht.
Der Berliner Maßregelvollzug befindet sich auf Klinikgeländen in Reinickendorf und Buch. Insgesamt stehen rund 520 Betten zur Verfügung, allein 440 auf dem Areal der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf, die von Vivantes betrieben wird. Die Ärzte und Pfleger des Maßregelvollzugs sind allerdings nicht bei Vivantes angestellt, sondern bei der Senatsverwaltung.
Vor zwei Jahren war ein 32 Jahre alter Mann bereits zum zweiten Mal aus dem Maßregelvollzug in Buch ausgebrochen. Der drogensüchtige Straftäter hatte die Gitterstäbe am Badezimmerfenster eines anderen Patienten durchgesägt. Schon 2010 war der verurteilte Vergewaltiger geflohen. Damals soll er Bauchschmerzen simuliert haben und auf dem Weg zur Krankenstation trotz Handschellen losgelaufen sein. Dann sprang er vor der Klinik in ein wartendes Fluchtfahrzeug und entkam. Später sind er und seine Helfer festgenommen und verurteilt worden.

Statistisch brauchen immer mehr Verurteilte psychologische und medizinische Betreuung. Die Zahl der Häftlinge, für die das Gericht die Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet hat, ist in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent gestiegen. Wiesen Berliner Gerichte 2008 rund 580 Täter in den Maßregelvollzug ein, werden es 2013 Schätzungen aus Justizkreisen zufolge wohl fast 700 Verurteilte sein.

Immer wieder hatte es Proteste von Anwohnern gegen Kliniken für Straftäter gegeben. Erst kürzlich hat ein Gericht nach einer Klage entschieden, dass in Weißensee vorerst kein Wohnhaus für psychisch kranke Straftäter eröffnet werden darf.

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