"Bufdi" versus "Zivi": Frei und willig - so läuft das mit dem Bundesfreiwilligendienst
Zivis mussten schon mal von Feldjägern aus dem Bett geholt werden. Und wie läuft der Bundesfreiwilligendienst seit numehr zwei Jahren? Auf jeden Fall anders.
Diana Grashoff packt schnell ein paar Utensilien zusammen, schnappt sich die junge Frau im Rollstuhl, die bis gerade noch einen Eimer bunt beklebte, und zusammen verschwinden sie auf die Toilette. Keine von beiden bedauert, dass Grashoff nicht etwa ein „wehrtauglicher junger Mann“ ist. Im Gegenteil. Es fällt auch kaum ins Gewicht, dass die zarte 38-Jährige nicht so viel Kraft hat wie eben ein „wehrtauglicher junger Mann“. Denn seit es auch in der Behindertenwerkstatt von „Mosaik“ in Mitte Hebegeräte gibt, die beim Toilettengang unterstützen, braucht es keine zwei kräftigen Männer mehr, um eine Person aus dem Rollstuhl zu wuchten.
Als vor zwei Jahren, zum 1. Juli 2011, der Zivildienst abgeschafft war und der Bundesfreiwilligendienst eingeführt wurde, hieß es, der soziale Sektor würde zusammenbrechen ohne die tragende Säule von über 90 000 Zivildienstleistenden, mit denen das Land seit Jahren fest rechnete. Aber dann ist es erstaunlich ruhig geblieben. Der soziale Sektor existiert noch. 37 000 sogenannte „Bundesfreiwillige“, genannt Bufdis, arbeiten nun im Land, mit einem Jahr doppelt so lang wie zuletzt die Zivis. Und zusätzlich zu jenen, die sich für ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr engagieren. Insgesamt sind das zusammen allein 85 000 Engagierte, weiß Bundesfreiwilligendienst-Pressesprecherin Antje Mäder. „Ein historischer Rekord“, lobt die Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Kristina Schröder (CDU).
Geräuschlos ersetzt der Ersatzdienst den Wehrersatz, und doch ist alles anders.
In der Betriebsstätte der Behindertenwerkstätte Mosaik an der Ifflandstraße 12, Abteilung IMO IV, Logistik und Versand, sitzen acht Menschen, wiegen Salz ab und packen es in Tüten. Manchmal fertigen sie auch Stecker, Mittagspause von zwölf bis eins, und bei dieser Tätigkeit unterstützt sie Diana Grashoff, die zuvor in Hotels gearbeitet hat und bei Veranstaltungen. Die eines Tages beim Frühstück im Hotel eine Gruppe Behinderter zu Gast hatte. Die plötzlich dachte: Das ist es. Hier bin ich richtig. Die den Bundesfreiwilligendienst mitten im Leben als Orientierung nutzt, um sich ein mögliches neues Arbeitsfeld zu erschließen, das ihr sinnvoll erscheint. Wie es damals auch die Zivis hielten. Aber dafür war sie einfach zu weiblich.
Bernt Regeler ist bei den Mosaik-Werkstätten zuständig für die Freiwilligen, und hat sich zuvor um die Zivildienstleistenden gekümmert. Er mochte die Zivis, es war eine eigene Spezies. Die schwierigen Fälle, auch die punkigen Typen, stellten sich am Ende oft als die Engagiertesten heraus, sagt er. „Die, von denen man es gar nicht erwartet hatte.“ Einige von ihnen arbeiten bis heute im Unternehmen. Denn Zivildienst machten die Leute ja in einer Orientierungsphase, meist vor ihrer Ausbildung, und für einige war es gleich das Richtige.
Aber neben den Engagierten, sagt Regeler, habe es auch immer die gegeben, die keine Lust hatten, die sich krankmeldeten und nur irgendwie ihre Zeit herumbringen wollten. Die Zivis hatten oft die tollsten Ausreden: „Der Nachbar hat nicht geklingelt“, oder „Meine Ratte ist krank.“ Da hat natürlich alle körperliche Kraft nichts genützt. Das sei heute ganz anders. „Den unmotivierten Freiwilligen gibt es nicht.“ Für ein Taschengeld „arbeiten sie genauso lange wie ich“, sagt Regeler. Wie viel Geld es gibt, verhandelt jeder an seiner Einsatzstelle persönlich, höchstens sind es 348 Euro im Monat. Der Freiwilligendienst bedeutet ja anders als ein Ehrenamt eine vertragliche Verpflichtung auf eine volle Arbeitszeit.
Die Frage ist nur: Welche Menschen im erwerbsfähigen Alter haben so viel Zeit – ohne auf einen Verdienst angewiesen zu sein? Bei Mosaik habe es einmal einen Oberstudienrat gegeben, der behauptete, zu Hause stehe er nur seiner Frau beim Putzen im Weg. Der war allerdings eine glühende Ausnahme. Die häufig dargestellte Kategorie des Rentners, der auf das Geld nicht angewiesen ist und nach vielen erfüllten Jahren nun der Gesellschaft „etwas zurückgeben will“, ist überhaupt nicht repräsentativ. Diese „Vorzeigefreiwilligen“ sind nach einer Studie der Hertie School of Governance tatsächlich die kleinste Gruppe.
Übergang, Neuorientierung oder Wiedereinstieg.
Matthias Nonne, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist jetzt 47 Jahre alt, er war Masseur, medizinischer Bademeister, Wahlkreismitarbeiter eines Abgeordneten, und konnte zuletzt nach einem Bandscheibenvorfall nicht mehr arbeiten. „Ich sehe dies als meine berufliche Rehabilitation“, sagt er über seine Arbeit in der Mosaik-Behinderten-Werkstatt in Spandau. Wenn man nicht mehr einen Beruf fürs ganze Leben hat, gibt es mehr als eine Orientierungsphase im Leben. Und Nonne will auf jeden Fall weiter im sozialen Bereich arbeiten.
Die Freiwilligen wie er trafen zunächst auf eine Infrastruktur, die komplett zugeschnitten war auf den „wehrtauglichen jungen Mann“: Die Aufgaben, der Umgangston, die Erwartung. Die neuen Leute bringen aber andere Dinge mit.
Bernt Regeler gibt zu, dass es einige Zeit gedauert hat, bis sie sich in der Personalabteilung darauf eingestellt hatten. Viele Freiwillige haben weniger körperliche Kraft, aber viel mehr Lebenserfahrung als ein typischer Zivi, und manchmal besondere Qualifikationen. Ein Freiwilliger hat zum Beispiel Jahrzehnte als Weinhändler gearbeitet und organisiert nun eine Ausstellung und ein Weinfest am Weinberg Friedrich II. in Potsdam.
Erst jetzt, im zweiten Jahrgang, hat man auch erste Studien, Zahlen und Erfahrungswerte darüber, was diese Umstellung langfristig bedeuten könnte: Für die Betreuten, für die Träger, für die Freiwilligen und den Arbeitsmarkt. Niemand wusste ja vorher, ob sich genügend Freiwillige für die vom Bund festgelegten Plätze finden würden. Im gesamten Osten der Republik und in Berlin stellen Menschen über 27 Jahre heute die Mehrheit. Man kann aber schon Bufdi werden, wenn man seine Schulzeit hinter sich hat.
Der Einsatz dient nun als Übergang zur Rente, als Neuorientierung im Arbeitsmarkt, Wiedereinstieg in den Beruf, Wechsel in eine andere Branche, aber vor allem, um den „Maßnahmen“ des Arbeitsamtes zu entgehen. Die größte Gruppe, die sich für den Dienst interessiert, sind Hartz-IV-Empfänger, die durch diesen Dienst die Deutungshoheit über ihr Leben wiedergewinnen. Das sagen eine Studie der Hertie School of Governance und auch Gabriele Schlimper, die beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Berlin die Geschäftsstelle der Bezirke leitet. Denn die Arbeitslosen müssen in dieser Zeit keine vier Bewerbungen pro Woche schreiben. Sie können sich die Arbeitsstelle selbst aussuchen und werden nicht in eine als sinnlos empfundene „Maßnahme“ gesteckt. Die Jobcenter „müssen sie im Prinzip behandeln wie Schwangere“, sagt Schlimper: Schonzeit.
Ein Hartz-IV-Empfänger muss nach so einem freiwilligen Dienst aber fünf Jahre warten, bevor er sich erneut für einen bewerben kann. Die „Arbeitsmarktneutralität“, sagt Schlimper, war ja schon zu Zeiten des Zivildienstes eine Mogelpackung. Nun, durch die über 27-Jährigen, ist es noch offensichtlicher geworden. Offiziell bekommen die Freiwilligen auch deshalb so wenig Geld, damit der Dienst nicht mit einem schlecht bezahlten Job konkurriert. Aber die Tatsache, dass Hartz-IV-Empfänger jetzt mehr von ihrem Zuverdienst behalten können, sagt Schlimper, sei eine echte Motivation. Tatsächlich wurde so ein weiterer Niedriglohnsektor eingeführt. Nicht, dass sie nur jammern wolle, sagt Schlimper. Der Tonfall zum Beispiel habe sich sehr verbessert: Das Verhältnis zum Träger war ja früher geprägt durch die Bundeswehr. Es gab eine „Direktionsbefugnis“, und wenn die Zivis keine Lust hatten, kam es durchaus vor, „dass die Feldjäger einen Zivi morgens aus dem Bett holen mussten.“
Seitdem aber die Grundlage der Arbeit der freie Wille ist, ist niemand mehr zu zwingen. Viele Tätigkeiten rücken nun in den Blick, die man vorher den Zivis nicht zugetraut hat: Stadtteilinitiativen, kleinere Kulturinstitutionen, qualifizierte Büroarbeiten, Behindertenwerkstätten. Viele kleine Mosaiksteine eines großen sozialen Ganzen.
Deike Diening