Wachsende Stadt: Fraktionschefs debattierten über Wohnraummangel
Obwohl die Wirtschaft wächst, ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum groß. Vor den Wahlen stellten die Parteien ihre Rezepte für die wachsende Stadt vor.
Neubauten in Berlin sind zu teuer, deshalb entstehen keine günstige Mietwohnungen, und zu den Preistreibern zählt auch das Land selbst. Deshalb steht auch die bevorstehende Novellierung der Bauordnung durch den Senat in der Kritik, weil diese schärfere DIN-Normen bei der Barrierefreiheit vorsieht. Doch nun könnte es zum Einlenken der Koalition kommen – das jedenfalls war auf einer von Architektenkammer und Tagesspiegel in der Urania veranstalteten Diskussion über die Zukunft der Stadt zu hören, mit den vier Fraktionssprechern für Stadtentwicklung des Abgeordnetenhauses.
„Das wird noch ein Thema im Bauausschuss“, sagte Ellen Haußdörfer von der SPD-Fraktion. Nach Berechnungen des Verbandes Berlin Brandenburgischer Wohnungsunternehmen würde der Neubau einer 75 Quadratmeter großen Wohnung durch die Novelle 27.000 Euro mehr kosten, wenn die Barrierefreiheit nach DIN eingeführt würde.
Bezahlbarer Wohnraum fehlt weiterhin
Obwohl die Wirtschaft kräftig wächst, die Steuereinnahmen sprudeln, gelingt es dem Senat bisher nicht, den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu mindern. Laut Katrin Lompscher von der Linken müssten sich die öffentlichen Anstrengungen darauf richten, die 130.000 fehlenden Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen zu bauen. Stefan Evers von der CDU hielt dagegen, dass die große Koalition für einen Bewusstseinswandel gesorgt und „Instrumente zur Sicherung von Wohnraum“ geschaffen habe. Er sieht das Problem in der „intransparenten Liegenschaftspolitik“ einer „sturen Finanzverwaltung“. Antje Kapek von den Grünen widersprach: Auch die wohnungspolitischen Instrumente der großen Koalition wie die Mietpreisbremse oder die Zweckentfremdungsverordnung blieben „zum großen Teil unwirksam“, weil es in den Verwaltungen an Personal fehle, um diese einzusetzen.
Dabei fehlt es nicht an Geld: 600 Millionen Euro stünden im „Sondervermögen Infrastruktur Wachsende Stadt“ bereit, aber erst 100 Millionen Euro seien abgerufen, sagte Lompscher. Dabei fehlt es in der stark gewachsenen und weiter wachsenden Stadt allenthalben an Schulen, Infrastruktur und Flächen zum Bau von Wohnungen und öffentlichen Einrichtungen. Aus dem Publikum war zu hören, dass der Bezirk Reinickendorf auch darunter leide, dass alle nicht akut benötigten bezirkseigenen Flächen vor Jahren an den Liegenschaftsfonds übertragen werden mussten, was heute die Handlungsfähigkeit des Bezirks einschränke.
Das Wachstum überfordert
Überhaupt: Die Verwaltung ist mit den vielen zusätzlichen Aufgaben infolge des Wachstums überfordert. Dass Personal abgebaut wurde, ein Jahrzehnt lang, räche sich nun. Hier müsse dringend gegengesteuert werden, darüber herrschte Einigkeit unter den Fraktionen. Dass der Bau einer Schule sieben Jahre dauere, sei nicht hinzunehmen, und auch das Gezerre um die Standorte von Flüchtlingsunterkünften zeige, was im Argen zwischen Senat und Bezirken liege.
Einvernehmen unter CDU (Evers) und SPD (Haußdörfer) bestand darin, dass etwas gegen die Spekulation mit Bauflächen unternommen werden muss: Heiß gehandelt wird der Vorschlag, dass für ein Grundstück erteiltes Baurecht nach einer Frist von – zum Beispiel – zwei Jahren wieder verfällt. Das würde Entwickler zwingen, zügiger zu bauen. Warum das nicht gleich in der Novelle der Bauordnung festgeschrieben wird, wollte Kapek (Grüne) wissen – und brachte mit ihrer Frage die beiden Vertreter der großen Koalition in Verlegenheit.
Georg Balzer