Universitätsklinik Charité in Berlin: Forschungsgelder in Millionenhöhe unkorrekt verbucht
Die Charité legt ihre Jahresbilanz überraschend nicht offen: 40 Millionen Euro sollen unkorrekt verbucht worden sein, sagen Prüfer. Ein Krankenhaus ohne Diagnose.
An der Charité wird heftig um Zahlen gerungen – und zwar zwischen den Verantwortlichen an der Fakultät, dem Vorstand der Gesamtklinik und externen Wirtschaftsprüfern. Rund 40 Millionen Euro sollen auf Konten der Fakultät liegen, die von den Prüfern als unkorrekt verbucht eingestuft werden. Charité-Sprecher Uwe Dolderer sprach von einem "zweistelligen Millionenbetrag". Es soll sich jeweils um kleine Beträge nicht ausgegebener Drittmittel handeln, die über Jahre zu einer stattlichen Summe gewachsen sind. Die Wirtschaftsprüfer haben sich routinemäßig mit der Charité befasst, denn der Vorstand wollte am Mittwoch die Bilanz für 2013 präsentieren. Der Termin wurde überraschend abgesagt.
Senatorin: Verfahren muss geändert werden
Der Senat, dem die landeseigene Klinik untersteht, verlangt nun ein neues Abrechnungsverfahren. Die zuständige Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte am Mittwoch: „Die Wirtschaftsprüfer haben im Rahmen der Aufstellung des Jahresabschlusses das Verfahren bemängelt. Ich und auch der Finanzausschuss der Charité haben den Vorstand deshalb beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, wie das Verfahren gändert werden kann.“ Scheeres steht dem Aufsichtsrat der landeseigenen Charité vor. Das Krankenhaus ist die größte Universitätsklinik Europas und wird derzeit umfassend saniert.
Im Einzelfall wenig Geld, in der Summe viel
Dass es sich im Einzelfall um vergleichsweise wenig Geld handelt, wird beim Blick auf die Gesamt-Drittmittel deutlich: Die Klinik warb allein 2012 rund 154 Millionen Euro ein, über zehn Jahre dürften es mehr als eine Milliarde Euro gewesen sein. Selbst 40 Millionen sind da vergleichsweise wenig. Dennoch ärgern sich einige. Die Fakultät habe nicht verbrauchte Budgets aus ihrem Bereich so verbucht, dass sie der Charité-Vorstand nicht habe finden können. Die Fakultät habe also womöglich Geld vor der eigenen Gesamtleitung sichern wollen. Diesem Vorwurf widersprach Charité-Sprecher Dolderer: Schwarze Kassen habe es nicht gegeben. Die Praxis, auf die bislang praktizierte Weise abzurechnen, sei in vielen Häusern üblich.
Abrechnungspraxis lief schon unter Vorgänger-Vorstand so
Dolderer zufolge reicht die Praxis in die Amtzeit des früheren Vorstandes zurück. Bevor der Neurologe Karl Max Einhäupl 2008 die Leitung übernahm, war Molekularbiologe Detlev Ganten der Charité-Chef. Klinikfinanzierung ist hierzulande komplex, seit Jahren wird gegen Krankenhäuser wegen fehlerhafter Abrechnungen ermittelt. Grundsätzlich gilt: Für Personal, Energie und Medikamente müssen die Krankenkassen der Patienten auf, für Technik und Gebäude die Bundesländer aufkommen. Für Forschung und Lehre wiederum werden oft Dittmittelgeber gebraucht.
Besser: die EU-Trennungsrechnung?
Drittmittel kommen von Wissenschaftsgesellschaften, Firmen und Ministerien. Sie sind für Forschungen bestimmt. Schwierig wird, weil es dazu oft sogenannte Overhead-Budgets gibt, also Pauschalen für Technik und Verwaltung, die nur mittelbar in die Forschung fließen. Solche Gelder werden auch für „unvorhergesehene Ereignisse“ genutzt. Die Wirtschaftsprüfer sehen eine Abrechnung dann als angemessen an, wenn nach der sogenannten EU-Trennungsrechnung verfahren wird. Demnach werden wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Tätigkeiten streng getrennt: Ersteres wäre etwa Auftragsforschung, letzteres die Ausbildung von Studenten.
Spardruck setzt Kliniken unter Druck
Viele Kliniken leiden seit Jahren unter Spardruck. Am Montag hatte der Verband der Universitätsklinika die Landesregierungen angeprangert: Vergangenes Jahr hätten die 32 deutschen Hochschulkliniken insgesamt 161 Millionen Euro Minus eingefahren. Zum einen reichen die von den Kassen gezahlten Pauschalen für die oft komplizierten Behandlungsfälle nicht aus. Zum anderen investierten die Länder zu wenig in die Kliniken. Wissenschaftler und Politiker forderten deshalb wiederholt einen sogenannten Systemzuschlag für Hochschulmedizin.
Werden die Overhead-Millionen der Fakultät nicht berücksichtig, hat die Charité nach Tagesspiegel-Informationen 2013 mit rund 1,5 Millionen Euro Plus abgeschlossen haben. Das wären deutlich weniger als 2012.
Charité ist einer der größten Arbeitgeber in Berlin
Die Charité ist mit Hunderten Gebäuden an vier Orten in der Stadt präsent: In Steglitz, Wedding, Mitte und Buch verfügt die Universitätsklinik über insgesamt mehr als 3000 Krankenbetten. Die durchschnittliche Verweildauer eines Patienten lag 2012 bei 6,4 Tagen. Sie sinkt in fast allen Kliniken seit Jahren. Die Charité ist seit der Wende einer der größten Arbeitgeber Berlins, mehr als 13 000 Schwestern, Pfleger, Techniker und Mediziner arbeiten an der Klinik. Sie behandeln jedes Jahr mehr als 140 000 stationäre und rund 615 000 ambulante Fälle.
Hannes Heine