Berlin-Pankow: Forscher entdeckt Reste der Berliner Ur-Mauer
Seine Entdeckung in der Schönholzer Heide hielt er seit 1999 vor der Öffentlichkeit geheim. Nun fürchtet er, dass Souvenirjäger das historische Bauwerk zerstören.
Zigtausende Berliner haben die Mauer gesehen, jeden Tag. Wer in der S-Bahn saß und am Bahnhof Schönholz im Nordwesten Pankows nach Osten geblickt hat, der hatte sie direkt vor der Nase. „Keiner hat sie erkannt“, sagt Christian Bormann. „Sie sah einfach so aus, als würde sie zu dem Grundstück gehören.“
Bormann spricht über ein 80 Meter langes Stück Ziegelwand am südwestlichen Rand der Schönholzer Heide. Es war einst Teil der Berliner Mauer, aber nicht irgendeins. Es handelt sich um das vermutlich letzte erhaltene Stück der Berliner Ur- Mauer, die die DDR 1961 quasi über Nacht hastig hochzog. Wegen der Materialknappheit nutzte man viele vorhandene Gebäude. Die Mauer in Schönholz wurde aus Resten mehrerer Mietshäuser in der Schützenstraße errichtet, die bei der Bombardierung des Verladebahnhofs Pankow-Schönholz im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. „Man hat die unteren Seiten der Außenwände stehen lassen und die Lücken geschlossen“, sagt Bormann. „Darauf wurde der Stacheldraht angebracht.“
In den meisten Fällen wurde diese erste Mauergeneration durch die zweite, kolossalere Generation ersetzt. Nicht in Schönholz. „Die zweite hat man davor gebaut, weil es durch die Hauskeller und den schwierigen Untergrund gar nicht anders ging.“ So blieb die Ur-Mauer stehen, mehr als 50 Jahre lang, zuletzt fast vollständig von Wald umgeben. Bis zum Montag.
Da machte Bormann seine Entdeckung „von herausragender kultureller Bedeutung“ auf seinem Blog pankowerchronik.de öffentlich, um die Mauer vor Witterungsschäden zu retten. Der 37-Jährige gräbt seit 20 Jahren Schätze in seinem Heimatbezirk Pankow aus. „Ich habe weder einen Doktor noch einen Professor, bin kein gelernter Historiker“, sagt der Heimatforscher. „Aber ich bin anerkannt von der Fachwelt. Das Forschen ist meine Haupttätigkeit, ich bin jeden Tag sechs Stunden damit beschäftigt. Ich arbeite eher nebenbei als Verkäufer, um mich zu finanzieren.“
„Die Leute pilgern regelrecht dahin“
Das Mauerstück begleitet ihn schon sein halbes Leben, er hat es 1999 entdeckt und bislang vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Um „den Ort nicht zu vernichten“, sagt er. „Ich hätte es noch 50 Jahre für mich behalten. Nun habe ich die Notbremse gezogen.“ Der Frost hatte Schäden angerichtet, es musste etwas passieren. Womöglich hat Bormann die Mauer damit der Zerstörung preisgegeben. Schon kurz nach der News waren die ersten Mauerspechte da. „Die Leute pilgern regelrecht dahin“, sagt er.
„Sie fotografieren nicht nur, sie klettern rauf und brechen die Aufbauten ab. Jeder will etwas mitnehmen.“ In besonderer Sorge ist Bormann um die Signalanlage zur Auslösung des Grenzalarms. Sie ist komplett erhalten, samt Verteilerkasten und Anschlüssen. „Da müsste sofort ein Wachschutz hin. Eigentlich müsste man eine Glaskuppel über das ganze Grundstück stülpen und daraus ein Museum machen.“
Doch das ist nicht so einfach. Bormann hat ebenfalls am Montag das Bezirksamt und das Landesdenkmalamt informiert, dort kratzt man sich seitdem die Köpfe. Am Mittwoch versuchten die Ämter in gewohnter Berliner Manier noch immer, die Zuständigkeiten zu ergründen. Der Denkmalschutz des Bezirks darf sich nur Häusern annehmen. Selbst die durch Bormann beschworenen Unfälle durch offene Kellerluken auf dem Grundstück helfen nicht weiter.
Die Mauer muss bleiben
Der Bezirk kann zwar tätig werden, wenn Gefahr in Verzug ist. Doch er muss zunächst den Eigentümer auffordern, das Areal zu sichern. Die Klärung der Eigentumsverhältnisse benötigt Zeit. Mindestens zwei Tage, wenn das Kataster aktuell und Personal da ist, andernfalls unter Umständen deutlich länger. „Er hätte sich besser erst bei uns gemeldet“, sagt ein Mitarbeiter des Bezirksamts Pankow.
Bormann gibt zu, dass er seiner geliebten Mauer womöglich einen Bärendienst erwiesen hat. „Ich bin mir bei dem Hype nicht mehr sicher, ob ich das Richtige getan habe“, sagt er. „In vier Wochen steht da nichts mehr, dann haben die alles demontiert. Dann ist sie für immer verloren.“ Das will er persönlich verhindern. Am Mittwoch gab er Kamerateams aus der ganzen Welt vor Ort Interviews, aus dem Augenwinkel achtete er auf das Wohl seiner Mauer. „Es geht um jede Stunde“, sagt Bormann. Sogar die nächtliche Gassiroute mit Hund hat er zur Grenzsicherung nach Schönholz verlegt. Als eine Art Ein-Mann-Wachbataillon, mit einer klaren Mission: Die Mauer muss bleiben.