Aus dem Flüchtlingslager Moria auf Lesbos: Fördern und Fordern – Berlin kommt bei Geflüchteten eine doppelte Aufgabe zu
Deutschland bleibt begehrtes Fluchtziel. Es braucht bessere Integrationskurse, doch Berlin muss auch helfen, die Herkunftsländer zu befrieden. Ein Kommentar.
Gespenstisch und totenstill war es nachts am Strand auf Lesbos, als das Boot aus der Türkei mit den Afghanen strandete - angekommen am Ziel Europa. Kinder verharrten starr vor Angst. In anderen Nächten sind Verzweiflungsschreie zu hören; Fischer hatten schon Wasserleichen am Haken. Einige freiwillige Helfer hier sind auch aus Berlin. Später, im überfüllten Flüchtlingslager Moria, habe ich in leere Augen von Kindern und Müttern geblickt und in die einer um eine Zukunft in Frieden flehenden, ehrgeizigen Afghanin, 17 Jahre jung, die davon träumt, in der internationalen Kommunikation zu arbeiten.
Für mich privilegiert in Europa Geborene lag die ersehnte bessere Welt nur vier Flugstunden entfernt. Auch diese Menschen wollen nichts wie raus aus Moria, aufs Festland, und einige werden es über Italien oder die Ostbalkanroute zu Fuß, auf Güterzügen, über Schlepper, mit gefälschten Pässen mit Flügen nach HAM, MUC oder SXF schaffen. Und, versteckt im Lkw, keinesfalls den Grenzübergang nutzen. Wen man auch fragt, fast alle wollen nach „Almania“. Verwandte, die schon hier sind, helfen.
Vier Jahre nach dem Willkommensjahr 2015 weiß jeder über Whatsapp: Wenn man es bis Deutschland in Frieden und Freiheit geschafft hat, ist man sicher, weil so gut wie nie abgeschoben wird. Dass Berlin für Wohnung, Lebensunterhalt, Schule, Klinik, Rente, Mobilität und vieles mehr zahlt, auch wenn man nicht arbeitet oder arbeiten kann. Drei von vier Syrern leben vom Jobcenter; viele suchen im gewohnten Umfeld Halt, ist die neue Welt doch sehr anders. Berlin muss fördern – und fordern.
Fürs bessere Gelingen müssen Integrations- und Deutschkurse überarbeitet werden: zu lange Wartezeiten, zu schwer – und warum muss einer noch Wörter wie „Damenhut“ lernen? Afghanische Migranten arbeiten öfter, sie haben über Ausbildung oder Beruf eine langfristige Bleibeperspektive. Willige lässt aber die nicht auf globale Migration eingestellte Bürokratie oft verzweifeln.
Doch Asyl schon in Griechenland zu beantragen, ist allein wegen der Dublin-Regelung unattraktiv. Die Ankündigung Athens, 10.000 Migranten bis 2020 in die Türkei zurückzuschicken, erhöht den Druck, schnell wegzukommen.
Kinder leiden am meisten unter den Weltkriesen
Das Recht auf Asyl ist kostbar und unantastbar. Doch parallel muss Berlin weiter helfen, die Lage in den Herkunftsländern zu befrieden, die Wirtschaft zu modernisieren, damit das Leben lebenswert wird. Geld genug ist weltweit da. Wohin fließt eigentlich der 50.000-Dollar-Umsatz eines Schleppers pro Schlauchboot?
Niemand lässt gern sein altes Leben zurück. Besonders unter den Weltkrisen leiden die, die dafür nichts können: die Kinder. Sie brauchen in Moria und anderswo Hilfe. Wenn einige von ihnen dann später in Kitas und Schulen auch in Berlin kommen, dann könnte es Probleme in Gruppen und Klassen geben.
Die Kinder sind bedürftig, liebenswert, lernwillig und werden sogar für ihre Eltern übersetzen, weil die, das zeigt die Erfahrung, auch nach Jahren in Berlin oft kaum Deutsch sprechen. An der Würde der Kinder zu sparen, ist uneuropäisch.