Platz da!: Folge 1: Hansaplatz
Er atmet den Geist der Fünfziger, doch ein gut gepflegtes Baudenkmal ist der Hansaplatz in Tiergarten nicht. Investitionen fehlen, Initiativen laufen ins Leere. Ist die grüne Wohnlage noch zu retten?
Das kleine Einkaufszentrum ist so etwas wie das Herz des Hansaplatzes. Doch dort als Händler zu überleben, ist schwer. Zwar gibt es in dem Wohngebiet, das zur Internationalen Bauausstellung 1957 (IBA) entstanden ist, Wohnungen für etwa 1700 Menschen. Aber die Zahl der Bewohner im Hansaviertel ist rückläufig. Außerdem kannten vor einem halben Jahrhundert der Fleischer und der Bäcker um die Ecke keine Konkurrenz von Shopping-Malls. Das ist heute eben anders. Und weil die Kundschaft am Platz ausbleibt, schrumpft mit dem Umsatz auch das Warenangebot. Viele der Läden in den Flachdachbauten am Rande des Areals sehen traurig aus, ein wenig wie aus der Zeit gefallen und das Restaurant wirbt aus Not an Kunden mit einer „Blitzer-Pizza“ zum Sonderpreis. Das tröstet wenigstens jene Verkehrssünder, die an der nahen Ampel geblitzt wurden.
Ein richtiges Platzgefühl will ohnehin nicht aufkommen. Denn der Hansaplatz besteht genau genommen aus vier Teilen. Er wird zerschnitten von zwei viel befahrenen Verbindungen: Altonaer und Klopstockstraße. Das Einkaufszentrum steht auf dem nordwestlichen Teil, wo sich auch der U-Bahnhof Hansaplatz befindet. „Der Abstieg des Einkaufszentrums ist unser größtes Problem“, sagt Thilo Geisler, Vorsitzender des „Bürgervereins Hansaviertel“. 129 Mitglieder hat der Verein und kann über Nachbarn und Familien das ganze Viertel mobilisieren.
Die Aktivisten haben auch schon einen Plan, wie dem Platz wieder zu Geltung verholfen werden kann: „Indem Hansaviertel und Karl-Marx-Allee von der Unesco zum Welterbe ernannt werden.“ In der Politik, unter Architekten gibt es Bestrebungen, diese Baudenkmäler des Kalten Krieges auf diese Weise zu adeln. Anträge allerdings wurden noch nicht gestellt. Der Welterbe-Status würde mehr Besucher anlocken, die dann auch den Cafés und Läden am Hansaplatz Umsatz bescheren würden, hofft Bürgervereins-Vorsitzender Geisler.
Wie viel Potenzial der Hansaplatz hat, zeigt eine Initiative der Katholischen Pfarrgemeinde Sankt Laurentius. Vor dem Gotteshaus stehen seit einem Jahr jeden Freitag die Verkaufsstände eines Ökomarktes. Wer an den gut besuchten Obst- und Gemüseauslagen vorbeischlendert, trifft schon mal auf Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Er wohnt im Hansaviertel. Dem Vernehmen nach soll hier sogar Hollywood-Star Kevin Costner ein Häuschen besitzen.
Berlin liegt den Hansaviertel-Bewohnern zu Füßen.
Beliebt ist die Lage auf jeden Fall. Das Quartier liegt mitten in der Stadt im Grünen. Wer in den oberen Etagen der Hochhäuser lebt, dem liegt Berlin zu Füßen. Deshalb und weil einige der besten Baumeister ihrer Zeit, darunter Oscar Niemeyer, Walter Gropius und Egon Eiermann am Hansaplatz bauten, haben auch Architekten und Künstler aus dem Ausland hier eine Zweitwohnung erworben.
Und doch verblasst der Fünfziger-Jahre-Charme des Hansaplatzes zusehends. Weil so manche Urlaubswohnung öfter und für längere Zeit leer steht. Und weil die Zahl der Bewohner schrumpft: Von den Alteingesessenen zogen viele gleich nach der Fertigstellung des Quartiers ein. Das ist ein halbes Jahrhundert her. Die Kinder sind längst weg, der Partner vielleicht verstorben. Deshalb ist der Umsatz in den Läden gering. Viele Betreiber zahlen wenig Miete, nicht genug für Investitionen der Hausbesitzer. Der Bezirk Mitte hat auch kein Geld. Es herrsche Haushaltsnotlage, sagt Bürgermeister Christian Hanke (SPD). Er weiß: Es gibt Nachholbedarf. Die Anwohner klagen über den Zustand der Außenanlagen, sie sagen, es gebe nicht mal eine öffentliche Toilette. Private Betreiber sprangen ein, aber die WC-Anlage rechnete sich nicht und schloss.
Zumindest mit einem Kulturgut kann der Hansaplatz glänzen: dem Grips-Theater. Nun steckt die Kinder- und Jugendbühne, die deutschlandweit Beachtung für Stücke wie „Linie 1“ fand, in finanziellen Schwierigkeiten. Vor drei Jahren feierte das Theater 40-jähriges Bestehen. Nun sollen dem Haus die Zuwendungen gekürzt werden. Genug Publikum hat die Bühne. Aber Jugendliche und Schüler können nicht viel Eintritt bezahlen. Für dieses Jahr klafft ein Loch von 150 000 Euro in der Theaterkasse. Vor ein paar Tagen erst erklärte Intendant Volker Ludwig, es müssten weitere Schülervorstellungen gestrichen werden. Nur: Damit verlöre das Grips-Theater seinen Sinn.
Ein lichtdurchflutetes Wohnen, eine Anlage ohne Barrieren gehörte zu den wichtigsten Forderungen von Planern der Nachkriegsmoderne in den fünfziger Jahren. Am Hansaplatz ist davon nicht mehr viel zu spüren. Unter dem hölzernen Flachdach des Einkaufszentrums, das die Teile des Gebäudeensembles miteinander verbindet, ist es düster. Das liegt auch an den Anbauten, die in den Jahrzehnten nach der Entstehung hinzukamen. Seit 1995 steht das Areal mit allen oberirdischen und unterirdischen Bauten und den Gartenanlagen unter Denkmalschutz. Das hatte Folgen: Die Bestrebungen von Bürgerverein und Bezirksverordneten, der Dunkelheit wenigstens durch einen hellen Anstrich beizukommen, liefen ins Leere. Dabei war die Farbe schon gekauft. Doch die Aktion fand bei der Denkmalpflege keine Gnade. Nun bleibt vorerst alles, wie es ist.
Was die Denkmalschützer wohl zum Entwurf von Landschaftsarchitekt Steffen Brodt sagen? Er würde das dunkle Holz auf dem Dach am liebsten ersetzen, durch Glas – und damit die Sonne mitten ins Zentrum hineinlassen.
Die nächste Folge erscheint am Montag, 23. April. Dann geht es um einen aus dem Bewusstsein der Berliner fast verschwundenen Ort, der derzeit eine abgezäunte Brachfläche mit Ausgrabungsort ist: den Petriplatz in Mitte.
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