Witz und Wirklichkeit am BER: Flughafen-Baustelle: "2000 Tage sind genug"
Es sollte doch nur ein Witz sein. Vor 1000 Tagen malte sich unser Autor aus, wie es am Flughafen weitergehen könnte. Heute liest sich sein Text wie eine Zukunftsvision.
Vor genau 1000 Tagen haben wir in die Zukunft geblickt. Wie könnten die nächsten 1000 Tage verlaufen? „Die gute Nachricht: Es geht voran. Keine Sorge, der Flughafen BER wird pünktlich fertig – aber der Weg zum Ziel ist sehr gewunden.“ So schrieb es Bernd Matthies damals. Heute lacht über so etwas niemand mehr. Weil wir es selbst nicht ganz glauben können, veröffentlichen wir seinen Text von damals hier noch einmal.
Menschen mit Gefühl für Symmetrie werden zweifellos finden: 2000 Tage sind genug, 2000 Tage Verzögerung machen die Sache rund. Das würde, grob geschätzt, auf den 1. Dezember 2017 hinauslaufen. Ein schönes Datum! Gleich nach der nächsten Bundestagswahl! Schauen wir ein wenig in die Zukunft, um herauszufinden, wie das Wunder wahr wird.
Die 1000 neuen Tage beginnen mit einer Enttäuschung. Der neue Flughafenchef Karsten Mühlenfeld kann seinen frischen Arbeitsvertrag bei Bombardier nicht vor Ablauf von drei Jahren auflösen und verzichtet deshalb auf den Wechsel.
Tag 1100: Im Aufsichtsrat raufen sich Berlin, Brandenburg und der Bund, die sich wegen der Personalie zerstritten hatten, wieder zusammen und beschließen, den Job zu streichen. Zur Begründung heißt es, die bisherigen Geschäftsführer hätten ausreichend nachgewiesen, dass diese Aufgabe von einer einzelnen Person nicht zu erfüllen sei. Der Flughafen soll nun von den Bereichsleitern im Kollegialprinzip fortgeführt werden – sie werden vom Aufsichtsrat gebeten, sich jeder körperlichen Auseinandersetzung zu enthalten. Michael Müller ist zuversichtlich: „Der Engelbert (Aufsichtsratschef Engelbert Lütke Daldrup, d. Red.) ist ja Stadtplaner, der schaut da mal kritisch drauf.“
Tag 1250: Bundesverkehrsminister Dobrindt hört nach eigenen Angaben „gar nichts mehr“ vom Flughafen BER. „Ich habe den Regierenden Bürgermeister gefragt, ob da weitergebaut wird, und er hat gesagt, seines Wissens ja“, schimpft er, „das ist ja ein Abgrund an Ignoranz!“ Der Minister kündigt an, er wolle mit dem US-Unternehmen Google über die Einrichtung eines Zubringersystems zum Flughafen Leipzig-Halle verhandeln. Google sei bereit, heißt es, parallel zu den vorhandenen Autobahnen eine Versuchsstrecke mit tausenden von selbstfahrenden Autos aufzubauen, dafür reiche im Prinzip der Standstreifen aus.
Richtig sei, sagt Dobrindt, dass die Rollbahnen dann in Leipzig lägen, „doch dann starten Sie im Grunde genommen, äh, das heißt, in Schönefeld starten Sie Ihren Flug.“ Außerdem sei damit die leidige Lärmschutzdiskussion in Berlin erledigt.
Tag 1400: Brandenburgs Ministerpräsident Woidke teilt mit, sein Land werde sich dem Google-Projekt nach intensiver Prüfung auf jeden Fall widersetzen. „Wir machen da nur mit, wenn eine Tunnellösung realisiert wird.“ Die kostet, wie Berliner Planer ausrechnen, vom Terminal in Schönefeld bis zum Ausgang bei Cobbelsdorf am Hohen Fläming etwa 785 Milliarden Euro und kann frühestens im Jahr 2039 in Betrieb gehen. Bundesfinanzminister Schäuble sagt dazu auf Journalisten fragen: „Nein, nein, nein.“
Minister Dobrindt, inzwischen weitgehend desillusioniert, verspricht Google nun zur Feier des Tages 1500 eine Versuchsstrecke zwischen Treuenbrietzen und Niemegk und übt scharfe Kritik an Berlin und Brandenburg: Vom Projekt BER höre er „gar nichts mehr“, das sei ein Unding. Andere hören durchaus etwas am Flughafen, nämlich ein lautes „Schilp“, den Lockruf des streng geschützten Brachpiepers, der einen Teil der Freifläche hinter dem Terminal besiedelt hat.
Der BUND fordert pünktlich zum Tag 1600 den sofortigen Stopp der Bauarbeiten, denn Biodiversität gehe vor Pünktlichkeit, und das Lebensrecht seltener Vögel habe den Vorrang vor der Gier einer profitmaximierenden Gesellschaft. Sahra Wagenknecht, die neue Regierende Bürgermeisterin, hält alle Baumaßnahmen an. Das Thema ist aber schnell erledigt, als ein Unbekannter mit Leipziger Akzent beim Aussetzen mehrerer Brachpieper erwischt wird.
Tag 1995: Die Bereichsleiter gehen in Klausur, um ihre heimliche Flucht aus Deutschland vorzubereiten. Dabei stellen sie zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass der Flughafen im Prinzip fertig ist und angeflogen werden kann.
Tag 2000: Die verblüfften Aufsichtsbehörden teilen mit, dass nun ein vollständiges Prüfverfahren eingeleitet werde, um die BER-Freigabe für den Flugverkehr zu ermöglichen. Die Senatskanzlei rechnet nach: Das sollte in weiteren 1000 Tagen zu erledigen sein. Karsten Mühlenfeld, dessen Arbeitsvertrag bei Bombardier ausgelaufen ist, übernimmt die weitere Koordination.
Eigentlich müssten wir die Geschichte jetzt noch einmal für die nächsten 1000 Tage weiterschreiben. Aber da würden wir vielleicht kein Ende finden. Am 19. August 2020 wären übrigens die 3000 Tage erreicht - und am 16. Mai 2023 die 4000 Tage.
Bernd Matthies