Fischersozietät Tiefwerder-Pichelsdorf: Fischer auf Spree und Havel beklagen schmale Beute
Berlins Fischer gibt es seit 500 Jahren, doch sie werden immer weniger. Denn die Fänge haben sich halbiert. Dem Zander zum Beispiel ist das Berliner Wasser zu sauber.
Als der Sturm in den vergangenen Tagen über Berlin tobte, hat sich Fischer Jürgen Vaupel mit seinem schmalen Leichtmetallkahn nicht hinaus auf die Havel gewagt. „Viel zu gefährlich“, sagt er. Doch ansonsten ist er auch in der kalten Jahreszeit auf dem Wasser unterwegs. Dann zieht er sich frühmorgens mit dem ersten Licht hohe Gummistiefel, Blaumann und Anglerhosen an und tuckert vom Bootsschuppen am Stößensee hinaus aufs Wasser. Die Aale haben sich zwar bis zum Frühjahr im Schlamm eingewühlt, aber Zander, Hechte und Barsche halten keine Winterruhe. Die holt er aus Reusen und Stellnetzen, verkauft sie an Restaurants oder in seinem Fischladen in Heiligensee. Jürgen Vaupel (72) ist einer der letzten Berliner Berufsfischer und Mitglied eines Spandauer Traditionsvereins, der Fischersozietät Tiefwerder-Pichelsdorf.
Fischerei hat in Berlin lange Tradition
Seit genau 500 Jahren besitzt die Sozietät Fischereirechte auf Spree und Havel zwischen der Mühlendammschleuse am Nikolaiviertel in Mitte und der Stadt Brandenburg / Havel. Ein Jubiläum, das am gestrigen Sonntag im Gotischen Saal der Zitadelle Spandau ausgiebig und mit viel Prominenz aus Politik und Wirtschaft gefeiert wurde. Schließlich ist die Fischersozietät bis heute aktiv ist: Sie vergibt auch die Angelscheine für Hobbyfischer in ihrem Revier und unterstützt den alljährlichen Einsatz von Jungfischen in die Havel, um die Bestände zu erhalten. Profifischer wie Jürgen Vaupel und Nebenerwerbsfischer gibt es nur noch eine Handvoll in den althergebrachten Berliner Fischerdörfern Tiefwerder, Pichelsdorf oder etwas oberhalb in Heiligensee.
Dass die Berliner Havelfischer bis heute ihrem Handwerk nachgehen können, verdanken sie Kurfürst Joachim I., der 1515 seinen „fleißigen Kietzern vor dem Sloss su Spandow“ die Fischereirechte verlieh. Bis heute befindet sich dieses Dokument im Besitz der Fischersozietät. Die Kietzer lebten erst in der heutigen Spandauer Altstadt. Doch als im Jahre 1813 die preußischen Truppen vor Spandau standen, um die Franzosen zu vertreiben, befahl der napoleonische Stadtkommandant die Umsiedlung aller Fischerfamilien des Kietzes zum damals „wüsten Gelände auf dem Tiefwerder“ nördlich des Stößensees und der heutigen Heerstraße.
Tiefwerder und Pichelsdorf bei Hechten zum Ablaichen beliebt
Heute sind Tiefwerder wie auch Pichelsdorf zwischen Scharfer Lanke und Pichelssee kleine überschaubare Dörfer weg vom Verkehrsgetöse, die viele Berliner gar nicht kennen. Brückchen, Fischerkaten, Trauerweiden, Havel-Altarme, weite Wiesen mit Wasserbüffeln, Überschwemmungsgebiete und sorgsam gepflegte verschilfte Flachwasser-Areale, in denen Hechte besonders gerne ablaichen – das ist die Idylle von Tiefwerder.
Hier wohnt auch der Vorsitzende der Fischersozietät, Rainer Oelhardt – selbst kein Fischer, aber mit den komplizierten regionalen Fischereirechten bestens vertraut. Diese gehören von alters her nur bestimmten Familien oder Erbengemeinschaften und dürfen nur von diesen intern weitergegeben werden. „Niemand kann sich neu einkaufen“, sagt Oelhardt. Bei der Fischersozietät gibt es 42 solcher Inhaber, aber die meisten angeln nur hin und wieder in ihrer Freizeit.
Berufsfischer Jürgen Vaupel will hingegen „so lange weiter arbeiten, wie’s gesundheitlich klappt.“ Sein Handwerk fasziniert ihn eben. „Die Ruhe auf dem Wasser, die Freiheit, die Weite und Unabhängigkeit“, gerät er ins Schwärmen. Doch er sorgt sich auch um die „stark zurückgehenden Fangmengen“, vor allem bei den begehrtesten, weil grätenarmen Süßwasserfischen Aal und Zander. Das sind seine „Brotfische“ neben Barsch, Hecht und Wels. Im Vergleich zu den achtziger Jahren haben sich die Fänge aber besonders beim Zander mehr als halbiert.
Zander bevorzugt schmutzigeres Wasser
Warum? Die Antwort erstaunt. Es liege vor allem an den heutigen perfekten Klärwerken, sagt Vaupel. Die hätten die Wasserqualität der Havel seit der Wende erheblich verbessert, was vielen Fischarten zugute kommt. Der Zander aber mag’s eher ein wenig schmuddelig, er bevorzugt trübe, nährstoffreiche Gewässer mit jeder Menge Plankton. Deshalb zieht er sich aus dem Fluss langsam zurück. Die jungen, wanderfreudigen Aale wiederum kommen von der See kaum mehr bis zur Havel hinauf. Zu viele Schleusen und Wehre versperren ihnen den Weg.
Rund 3,5 Millionen Jungfische, Glasaale genannt, wurden deshalb seit 2005 in der Berliner Havel ausgesetzt. Die Fischersozietät half kräftig mit. Beim Zander geschah das bisher nicht. „Der ist sehr kompliziert zu züchten“, sagt Jürgen Vaupel. Und den ausgesetzten Jungfischen würden gleichfalls die nährstoffreichen Mikroorganismen im Havelwasser fehlen. Deshalb verließen sich die Fischer bislang auf die natürliche Vermehrung.