Flughafen Berlin Brandenburg: Fehlt dem BER eine Milliarde Euro?
Der BER-Flughafen könnte kurzfristig eine Milliarde Euro benötigen. Warum fehlt so viel Geld – und wer soll das eigentlich bezahlen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Der unvollendete Berliner Airport in Schönefeld steuert auf eine Finanzkrise zu, nachdem seine Eröffnung kurz vor Weihnachten nun offiziell für den Oktober 2020 angekündigt worden ist. Es wäre vierzehn Jahre nach dem ersten Spatenstich, acht Jahre nach der geplatzten Eröffnung. Die von Ex-Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup geführte Flughafengesellschaft Berlins, Brandenburgs und des Bundes (FBB) muss neues Geld auftreiben. Und zwar deutlich mehr als bislang erwartet. Zwar gab es am Sonntag keinerlei offizielle Bestätigung für einen Bericht der „Bild am Sonntag“, dass bis zu einer Milliarde Euro benötigt werden. Doch nach Tagesspiegel-Recherchen geht es inzwischen tatsächlich um etwa 900 Millionen Euro, die für die nächsten Jahre fehlen. Ein Überblick zur aktuellen Lage bei den BER-Finanzen.
Wie lange reicht das Geld am BER überhaupt noch?
Bis Mitte 2018. Für den neuen Flughafen waren erst 2016/2017 weitere 2,2 Milliarden Euro bewilligt worden, je zur Hälfte aufgebracht über Darlehen der drei staatlichen Eigner und einen 1,1-Milliarden-Kredit vorwiegend öffentlicher Banken, die von Berlin, Brandenburg und dem Bund zu einhundert Prozent verbürgt werden. Vorgesehen war, dass für 1,1 Milliarden Euro der BER fertig gebaut wird. Und dass aus den anderen 1,1 Milliarden erste Erweiterungen des zu kleinen BER (700 Millionen Euro) und der Schuldendienst der wegen der BER-Milliardenkredite tiefrote Zahlen schreibenden FBB finanziert wird. Das Problem: Diese Kalkulationen gingen noch von einer Eröffnung bis Juni 2018 aus. Das Geld ist weitgehend verplant, durch Aufträge gebunden. Ohne neue Finanzen würde in der zweiten Hälfte 2018 ein Baustopp drohen. Um diesen abzuwenden, hat der Aufsichtsrat im Dezember bereits 76 Millionen Euro, die eigentlich für den Schallschutz vorgesehen waren, vorübergehend für die BER-Baustelle umgewidmet.
Braucht der BER wirklich schon wieder eine Milliarde?
Ja, es geht in Richtung dieser Größenordnung, das lässt sich aus den bisher veröffentlichten Kenndaten errechnen. Bekannt war bisher schon, dass es mindestens eine halbe Milliarde Euro sein wird. Es hängt auch davon ab, was eingerechnet wird: Jeder Monat auf der BER-Baustelle kostet rund 15 Millionen Euro. Geht man von diesen realen Aufwendungen aus, bliebe man bei einer halben Milliarde Euro. Das Problem ist, dass die FBB vor einer BER-Eröffnung weitere zehn Millionen Euro pro Monat nicht einnehmen kann, die wegen höherer Entgelte nach BER-Eröffnung im bisherigen Businessplan einkalkuliert waren, die sogenannten „entgangenen Gewinne“. Von Sommer 2018 bis zum Eröffnungsziel Oktober 2020 müssen 27 Monate überbrückt werden, weshalb sich aus Stillstandskosten und entgangenen Gewinnen schon 675 Millionen Euro ergeben.
Außerdem sind die ersten Jahre des Ausbauprogramms, des „Masterplans BER 2040“, nicht ausfinanziert. Und es steigen die Baukosten. Valide ist die Summe ohnehin nicht. Eine Milliarde Euro wird in den Unterlagen, die dem Aufsichtsrat am 17. Dezember vorlagen, nach Tagesspiegel-Recherchen nirgendwo erwähnt. Bis zur Aufsichtsratssitzung Anfang März soll die Flughafengesellschaft – das ist der Job von Finanzgeschäftsführerin Heike Fölster – einen aktualisierten Businessplan und ein Finanzierungskonzept vorlegen. Bei einem Krisentreffen mit Berlins Regierendem Michael Müller und Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (beide SPD) vor der Aufsichtsratssitzung zum BER-Start 2020 hatte Fölster sich noch außerstande gesehen, präzise Zahlen zu nennen.
Muss etwa schon wieder der Steuerzahler für den BER zahlen?
Genau dieser Poker, wer das alles bezahlen soll, wird sich in den kommenden Wochen dramatisch zuspitzen. Klar ist eins: Die Flughafengesellschaft selbst wird nicht in der Lage sein, eine Milliarde Euro zu finanzieren, auch nicht durch neue Kredite. Schon den letzten 1,1-Milliarden-Kredit haben die Banken nur mit einer staatlichen Vollverbürgung bewilligt. Auf der anderen Seite ist die Bereitschaft Berlins, Brandenburgs und des Bundes für neue Überweisungen gering, in den Parlamenten ist schon der Frust über die erneute Verschiebung der Eröffnung bis 2020 groß. Die FBB hat den Auftrag der drei BER–Eigner, zunächst alle eigenen Mittel auszuschöpfen. Nach ersten Hochrechnungen könnte der Flughafen maximal dreihundert bis vierhundert Millionen Euro selbst erwirtschaften. Es bliebe eine Lücke von 600 bis 700 Millionen Euro.
Aus dem Berliner Senat gibt es inzwischen Signale, notfalls noch einmal mit Haushaltsmitteln einzuspringen. Das Land Brandenburg als zweiter BER- Haupteigner, wo in der rot-roten Regierung der Linke Christian Görke Finanzminister ist, lehnt weitere Steuergelder für den BER weiter strikt ab. „Ich kenne keinen Finanzbedarf von einer Milliarde Euro“, sagte Görke am Sonntag dem Tagesspiegel: „Es ist jetzt die Stunde der Geschäftsführung und nicht die des Staates und damit des Steuerzahlers.“ In Brandenburg ist das Misstrauen besonders groß, dass der Flughafen nicht mit offenen Karten spielt. Allerdings stehen alle Gesellschafter unter Zugzwang: Nach Tagesspiegel-Informationen haben Berlin, Brandenburg und der Bund in einer vertraulichen Erklärung bereits für das letzte, noch auf einen BER–Start bis Mitte 2018 kalkulierte Finanzierungspaket gegenüber Banken eine „Garantie“ abgegeben, bei neuen Problemen und Planabweichungen „die Gesamtfinanzierung“ des BER sicherzustellen.
Welche Möglichkeiten gäbe es noch, um die Finanzierungslücke zu schließen?
Intern hat der Flughafen schon länger alle möglichen Varianten durchgespielt: finanzielle Umplanungen, einen zuvor bereits geplanten „Schuldschein“ oder etwa die Restrukturierung von Zinsswaps und Krediten, aber auch die Veräußerung von Grundstücken. Man bemüht sich, etwa mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) – dort läuft ein Milliardenkredit – über Stundungen bei Tilgungen zu verhandeln. Auf eine Milliarde Euro käme man aber durch all diese Finanzinstrumente nie. Schon mehr bringen würde es, einen „privaten Investor“ ins Boot zu holen. Diese Variante war bereits Thema der Sitzung des Aufsichtsrats am 15. Dezember, auf der der Oktober 2020 als Eröffnungstermin beschlossen wurde. Der Bund und Brandenburg wären durchaus offen für eine solche Teilprivatisierung, die allerdings Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und auch der rot-rot-grüne Senat ausgeschlossen haben.
In Berlin ging am Sonntag CDU-Generalsekretär Stefan Evers mit dieser Forderung an die Öffentlichkeit: Weder bringe Michael Müller die Kraft auf, „sich endlich zu einem zweiten Flughafenstandort Tegel für die Zukunft zu bekennen“, erklärte Evers. Noch habe Rot-Rot-Grün den Mut, eine Teilprivatisierung der Flughafengesellschaft in Betracht zu ziehen. „Auf diese Weise könnte nicht nur das dringend erforderliche frische Kapital, sondern vor allem ein neuer Blickwinkel in die Flughafengesellschaft eingebracht werden!“, sagte Evers. Von jeher sei das „Übermaß an Politik das Gift in den Adern der Flughafengesellschaft“ gewesen.
Die Zeiten haben sich dabei gewandelt. Dem Vernehmen nach gäbe es Interessenten, auch wegen des Passagierwachstums in Berlin. Nach früheren internen Szenarien der FBB hätte man einem privaten Miteigner für einen Einstieg vor BER- Start noch einige hundert Millionen Euro überweisen müssen, was auch deshalb in der Vergangenheit verworfen wurde. Einen anderen Vorschlag hat Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter gemacht, der als „Plan B“ den Neubau von provisorischen Abfertigungsterminals – ähnlich der früheren Air-Berlin-Halle in Tegel – ins Spiel brachte.
Gibt es auch Marketing-Ideen, aus dem Schaden Nutzen zu ziehen? Zum Beispiel die Pflänzchen aus dem zuwuchernden Asphalt verkaufen?
Na ja, der Asphalt wuchert ja nicht zu: Die nördliche Start- und Landebahn ist für den alten Schönefelder Airport, der 2017 mit einem Rekord von zwölf Millionen Passagieren am Airport Köln-Bonn vorbeizog, in Hochbetrieb. Und die BER-Südbahn wurde zwischenzeitlich auch schon mehrfach genutzt. Auf eine offensive Vermarktung des BER-Desasters ist bei der FBB noch niemand gekommen. Das machen eher private Unternehmer, etwa mit einem Kartenspiel oder einem Brettspiel.
Müssen eigentlich die ganze Zeit auch Schadensersatzforderungen wegen der geplatzten Eröffnung 2012 beglichen werden?
Nein. An dieser Flanke hat die Flughafengesellschaft hinter den Kulissen ganz erfolgreich gearbeitet, viele Vergleiche geschlossen, etwa mit den Airlines oder der Deutschen Bahn. Die Aufwendungen halten sich in Grenzen, deutlich unter 50 Millionen. So haben die meisten Einzelhändler, die am BER aufmachen wollten, zum Ausgleich Flächen in Tegel bekommen – wo sie in den letzten Jahren gute Geschäfte machen konnten. Jüngst hatte Lütke Daldrup mit dem früheren, 2012 gefeuerten GMP-Generalplaner um das Architekturbüro Gerkan einen Vergleich abgeschlossen, nachdem der Flughafen – bezahlt aus Versicherungen – rund 20 Millionen Euro bekommt.
Was wäre eigentlich, wenn man dem BER den Geldhahn zudreht?
Man kann auch diesen „Worst Case“ durchspielen, theoretisch. In der Praxis wäre das der Supergau. Das Flughafenterminal, das inzwischen bereits 2,8 Milliarden Euro gekostet hat, bliebe eine Investitionsruine. Berlin und Brandenburg hätten mit Tegel und dem alten Schönefelder DDR-Airport zwei sanierungsreife Altflughäfen, die mit rund 33 Millionen Passagieren am Limit sind, ohne Expansionsmöglichkeiten für weiteres Wachstum. Die Flughafengesellschaft müsste aber trotzdem Monat für Monat den Schuldendienst für die öffentlich verbürgten BER-Milliardenkredite finanzieren, ohne neuen Hauptstadt-Airport. Wenn die Banken die von den Eignern verbürgten Darlehen fällig stellen, was zu erwarten wäre, müssten die Milliarden vor allem aus den Haushalten Berlins und Brandenburgs aufgebracht werden. Die Dimension wäre dramatischer als beim Berliner Bankenskandal.