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Im Plan. Thorsten Metzner kennt den BER wie kaum ein zweiter.
©  Manfred Thomas

2000 Tage Nichteröffnung: Der BER, mein Lebensbegleiter

Seit fünf Jahren berichtet Thorsten Metzner für den Tagesspiegel über den werdenden Hauptstadtflughafen. Der BER wurde für ihn nicht nur journalistisch, sondern auch privat ein Lebensbegleiter.

Irgendwann hatte meine Tochter Lia mir diese Figur hingestellt. Einen Playmobil-Piraten, ein paar Zentimeter groß, Augenklappe, grimmiger Blick. Sie lächelte mich an: „Das ist Oberpirat Mehdorn!“ Was es ziemlich perfekt traf, Kinder und ihre Antennen. Das muss 2013 gewesen sein. Sie war damals fünf, ging noch in den Kindergarten, hatte aber schon eine Intensiverfahrung mit dem Flughafen ihrer Kindheit, über den ihr Papa ständig schrieb und wohin der so oft düste.

Wenn sie darüber sprach, klang das so: „Der Flughafen, den sie nicht fertig bauen“. Einmal hat sie für Hartmut Mehdorn extra ein Bild gezeichnet, mit einem Flugzeug drauf, und mir diktiert, was ich daneben schreiben soll: „Ich wünsche mir, dass der Flughafen schnell eröffnet!“ Und dann, als sie kurz danach zu einer Aufsichtsratssitzung mitdurfte, weil die Kita geschlossen war, übergab sie die Zeichnung. Musste sein, unbedingt. Half aber leider auch nicht.

Oberpirat Mehdorn. Die Figur, die den einstigen Flughafenchef darstellt, bekam Thorsten Metzner von seiner Tochter.
Oberpirat Mehdorn. Die Figur, die den einstigen Flughafenchef darstellt, bekam Thorsten Metzner von seiner Tochter.
©  Thomas

Ja, dieser ewige Flughafen draußen in Schönefeld. Diese Baustelle, die ich seit der geplatzten Eröffnung im Mai 2012 für diese Zeitung journalistisch begleite, die begleitet mich auch privat. Denn die Kinder werden schneller älter, ja erwachsen, als es Fortschritte am BER gibt. Für die Nachfolger Mehdorns, weniger markante Typen, gab’s jedenfalls schon keine Playmobil-Figuren mehr. Lia ist mittlerweile das dritte Jahr in der Schule.

Und mit Jonas, meinem Ältesten, 2012 noch 14, habe ich einmal nach einem Kinoabend in Berlin auf dem Rückweg spontan einen Abstecher zum BER gemacht. Kurz vor Mitternacht, auf dem Schönefelder Highway, das Radio aufgedreht, fuhren wir in der Dunkelheit auf diese hell erleuchtete Glas-Kathedrale mit dem roten Flugzeug an der Decke zu. Aha-Effekt. Fand er cool, damals. Kann ich jedem nur empfehlen. Und heute? Er studiert inzwischen, und die Jüngste, Ava, jetzt vier, hat mir neulich erzählt, was sie werden will: „Feuerwehrfrau“, sagte sie. „Bei der Flughafenfeuerwehr“.

Die Manager kamen und gingen, einige Journalisten sind geblieben

Der BER und seine unplanbaren Nebenwirkungen, überall. Wir Journalisten, die regelmäßig über die Baustelle berichten, haben da schon viel erlebt. Es sind inzwischen weniger geworden, auch einige neue Gesichter hinzugekommen. Aber während die Manager kamen und gingen, sind einige wie ich seit damals dabei, etwa Thomas Rautenberg vom Inforadio oder Burkhard Fraune von der Deutschen Presseagentur. Uns alle verbindet vor allem eins – das gemeinsame Warten auf das Ende von Sitzungen des BER-Aufsichtsrates.

Stunden über Stunden, oft bis in die Nacht hinein. Jahrein, jahraus. Und wenn wir dann wieder sitzen und warten, gibt es fast immer diesen philosophisch-melancholischen Moment: Wie viel Lebenszeit haben wir mit diesem BER schon verbracht? Drama, das hat man uns dabei geboten. Alles dabei. Und den Reporter-Kollegen vom RBB ist es nicht nur einmal passiert, dass der Übertragungswagen in Schönefeld zu nächtlicher Stunde – während der Aufsichtsrat noch tagte – kurzerhand Feierabend machte und abgefahren war. Denn die Techniker und Fahrer hatten, da sind sie streng beim RBB, auf ihre reguläre Arbeitszeit gepocht. Nur die RBB-Korrespondenten, seit früh am Morgen und viel länger im Einsatz, standen ohne Kamerateam da, als es dann endlich losging.

Unvergessen ist mir eine Nacht geblieben. Es war die wohl längste Sitzung des Aufsichtsrates, an jenem 13. Dezember 2013 in einem Hotel am Motzener See, auf der Klaus Wowereit wieder Aufsichtsratsvorsitzender geworden war. Matthias Platzeck war vorher zurückgetreten. Mit dem hatte der Regierende nach der erneut gescheiterten BER-Eröffnung Anfang 2013 getauscht. Das Echo auf das Comeback des „Bruchpiloten“, wie er seit 2012 oft tituliert wurde, ist bekannt.

„Oh, Gott, das geht jetzt noch bis halb fünf!“

In dieser Nacht aber nahm Wowereit seinen Aufseherjob ernst, sehr ernst sogar. Ich kann es bezeugen. Es war die Zeit, als Mehdorn, selbst gerade ein halbes Jahr da, den BER enterte: Mit „Sprint“, Teileröffnungsideen, Forderungen nach mehr Befugnissen (für sich) und mehr Geld (für den BER). Der Kollege Jan Siegel von der Lausitzer Rundschau und ich harrten im Foyer aus, während drinnen ein „Kampf der Titanen“ zwischen Klaus Wowereit und Hartmut Mehdorn tobte. Stundenlang. Und zwar so, das man zwischendurch das Brüllen des Regierenden hören konnte.

Als die siebzehnstündige Sitzung vorbei war, war es 2:36 Uhr. Die Tür öffnete sich, und dann kamen sie, wie zwei Gladiatoren aus der Arena. Mehdorn, sonst immer auskunftsbereit, verschwand mit einem kargen „Alles gut!“ Und dann trat Wowereit aus dem Saal, abgekämpft, schweißgebadet, erschöpft, aber voller Adrenalin, zufrieden mit seinem Tag-, Nacht- und Morgenwerk. Seinem Triumph. Vorher und nachher habe ich niemals einen Politiker so erlebt, und ja, er hatte da meinen Respekt. Nur seine Bodyguards, die endlich nach Hause wollten, hatten sich zu früh gefreut: „Oh, Gott, das geht jetzt noch bis halb fünf!“ Sie kannten ihr Schutzobjekt. Denn statt zum Ausgang war der Regierende in die Bar abgebogen, um mit Mitstreitern beim Rotwein erstmal seelenruhig alles auszuwerten und den gerade eingetroffenen druckfrischen Tagesspiegel mit dem Bericht zu seiner Wiederwahl zu studieren.

Wird der Flughafen überhaupt eröffnet? Die Zweifel sind längst da

Kürzlich wurde mir auf einer privaten Geburtstagsfeier die Frage der Fragen gestellt. „Sag mal, Du schreibst doch immer über den BER! Wird der Flughafen überhaupt eröffnet?“ Und noch 2013, 2014, 2015 und auch 2016 hätte ich ohne ein Wimpernzucken sofort geantwortet: „Natürlich.“ Aber diesmal habe ich gezögert, zum ersten Mal. Denn auch bei mir sind, wenn Wissen und Bauchgefühl zusammentreffen, die Zweifel längst da. Auf dieser Baustelle ist schon so viel passiert, was nie hätte passieren dürfen.

Ich habe also so geantwortet: „Ja, ich glaube immer noch, dass der BER eröffnet. Aber ich schließe es auch nicht mehr aus, dass es nicht klappt. So 70 zu 30.“ Vielleicht schaffen sie es. Vielleicht aber auch nicht. Ava kommt bald in die Schule.

So alt, wie der BER sein sollte: Die fünfjährige Flora erklärt im Interview, wie man einen Flughafen baut.

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