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Gedenken. Am Savignyplatz wurde ein Radfahrer von einem Auto getötet.
© Mike Wolff
Update

Seit Jahresbeginn fünf Radfahrer getötet: Fast so viele wie im ganzen Jahr 2019

Die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther verspricht immer wieder, die „Vision Zero“ - einen Verkehr ohne Tote - zu verwirklichen. Doch was passiert?

Seit Anfang des Jahres sind zehn Menschen im Berliner Verkehr gestorben. Drei fuhren Motorrad, einer Moped, einer war mit dem Auto unterwegs. Fünf der Toten waren Radfahrer – das sind fast so viele wie im gesamten Jahr 2019, in nur sechs Wochen.

Erst am Wochenende ist Bernd W., 64 Jahre alt, gestorben. Am Savignyplatz in Charlottenburg wurde er am Freitagnachmittag von einem BMW-Fahrer gerammt, er starb im Krankenhaus an den Folgen des Unfalls. Am Sonntag gab es eine Mahnwache für ihn. Mehrere hundert Menschen kamen, legten Blumen, Karten und Fotos auf dem Baumstumpf ab, knapp drei Meter von der Stelle entfernt, wo Bernd W. stürzte.

Oslo gilt als Vorbild für Berlin

Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, nahm auch an der Mahnwache teil. „Mein Beileid gilt der Familie und den Angehörigen des Opfers. Wir werden mit unseren Anstrengungen für Vision Zero nicht nachlassen“, twitterte sie kurz darauf.

Vision Zero, das ist das Stichwort. Gemeint ist damit die Idee, den Verkehr so sicher zu gestalten, dass es keine Verkehrstoten mehr gibt. Vorbild ist unter anderem Oslo.

Dort starb 2019 nur ein Mensch durch einen Verkehrsunfall. In Berlin starben 15 Menschen allein im ersten Halbjahr 2019. Klar, der Vergleich zwischen den Städten ist schwierig: Oslo hat 680.000 Einwohner, Berlin mehr als das fünffache. Trotzdem: 90 Prozent der Osloer Innenstadt sind autofrei, Fahrzeuge dürfen nur langsam fahren und vor allem: Verkehrswege für Autos, Radfahrer und Passanten sind strikt getrennt.

Wert der getöteten Radfahrer stieg um 11,3 Prozent

Zwar verbucht das Bundesamt für Statistik die letzten Zahlen als Erfolg: Laut der Daten starben zwischen Januar und September 3090 Menschen im deutschen Verkehr. Das wäre der niedrigste Wert seit mehr als 60 Jahren. Dafür stieg die Zahl der getöteten Radfahrerinnen und Radfahrer um 11,3 Prozent.

In Berlin demonstrieren deshalb Radfahrerverbände für mehr Sicherheit. Am Montag standen Aktivisten an der Kantstraße mit Fahrrädern, Helmen und Protestschildern: „Mehr Platz fürs Rad“, hieß es auf einem, oder: „Es reicht! Stoppt das Töten.“

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Viele Radfahrerinnen, Anwohner und Politiker sehen die Kantstraße als ein Problem. Obwohl hier größtenteils Tempo 30 herrscht, wegen der Luftverschmutzung, ist die Straße eine beliebte Rennstrecke für Raser. Auf zwei der drei Spuren fahren Autos, auf der dritten parken sie. Oft parken Wagen auch in zweiter Reihe, was Radfahrer zu einem Spurwechsel drängt und die Sichtverhältnisse erschwert. Weil es an der Kantstraße keinen Radweg gibt, bleibt ihnen keine Wahl.

Jeden Montagmorgen demonstrieren Radfahrer

Das wollen die Demonstranten ändern. Sie fordern, die zwei Autospuren zugunsten eines Radwegs zu reduzieren: links die Autospur, in der Mitte die Parkspur, rechts ein Radweg. „Das macht den Verkehr für alle sicherer, gechillter und sogar flüssiger und staufreier“, schreibt Initiator Heinrich Strößenreuther. Groß umbauen müsse man dafür nicht, einige Pinselstriche reichten angeblich. Bis die Maßnahme umgesetzt wird, demonstrieren die Radfahrer jetzt weiter jeden Montagmorgen.

„Die Kantstraße ist für Radfahrer besonders gefährlich“, sagt Henner Schmidt, infrastrukturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Das Problem könne nur durch eine bauliche Umgestaltung der Kantstraße gelöst werden. Die FDP-Fraktion habe dazu ein Konzept vorgelegt.

Erst muss jemand sterben, bis jemand hinschaut

Verkehrssenatorin Regine Günther kündigte auf Twitter einen „Runden Tisch zur Verkehrssicherheit“ an. Dazu will sie in den nächsten Wochen Experten zusammenrufen, um nach Zwischenlösungen zu suchen, wie ein Sprecher am Montag sagte.

Als Beispiel für eine „kurzfristige Maßnahme“ nannte er die schnelle Einführung von Tempo 30 auf der Invalidenstraße nach dem schweren SUV-Unfall im September 2019.

„Das Schlimme ist, dass erst jemand sterben muss, bis jemand hinschaut“, sagt Nikolas Linck, Sprecher vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) in Berlin, dem Tagesspiegel.

Er verstehe nicht, wieso die Sicherheit für Radfahrer nicht schneller gestärkt werde. Es brauche schnelle Maßnahmen, wie getrennte Ampelschaltungen für Autofahrer und Radfahrer, sowie Poller oder Blumenkübel, die einen provisorischen Radweg bilden.

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Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer müsse endlich im Vordergrund stehen. Im Moment, so sieht es Linck, konzentriere man sich darauf, dass der Verkehr flüssig fließt. „Kampf gegen den Stau“, so nennt er das. Deshalb verzichte man auf Radwege. „Irgendwo muss der Platz ja herkommen“, sagt Linck.

Eigentlich ist die „Vision Zero“ im Berliner Mobilitätsgesetz längst verankert. Es schreibt auch sichere Radwege an allen Hauptverkehrsstraßen vor.

Die Realität auf Berlins Straßen sieht anders aus

Die Realität in Berlin sieht anders aus. Deshalb packen Radfahrer selbst an. Einen maroden Radweg an der Spree besserten sie kurzerhand aus, erzählt Linck. „Die Leute haben Spezialsand bestellt, sind mit Lastenrädern hingefahren und haben die Lücken selbst ausgebessert.“ Die Kosten trugen sie selbst: mehrere Hundert Euro.

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