Tod eines Flüchtlings in Berlin-Kreuzberg: Fast sechs Jahre Haft nach Messerstichen in der Hauptmann-Schule
In einem Streit vor der einzigen Dusche in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule zog ein Mann aus Gambia ein Messer. Mit neun Stichen brachte er einen Marokkaner um. Für die Richter war die Tat nicht durch Notwehr gerechtfertigt.
Der Mann aus Gambia hatte die Arme fest um seinen schmächtigen Körper geschlungen, als das Urteil gesprochen wurde. Schuldig des Totschlags. So sahen es die Richter nach vierwöchiger Verhandlung. In einem banalen Streit um die einzige Dusche in der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg habe Nfamara J. neunmal auf einen Marokkaner eingestochen. Der 41-jährige J. wurde zu fünf Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt.
„Die Tat war nicht durch Notwehr gerechtfertigt“, hieß es im Urteil. Strafmildernd wertete das Gericht aber das „sehr aggressive Auftreten des später Getöteten“. Der 29-Jährige habe den Streit provoziert, J. den Zugang zur Dusche versperrt, ihn beleidigt. Doch die Version des Angeklagten, er sei bei dem Geschehen am 25. April gegen 12.15 Uhr auch geschlagen und mit einem Gegenstand bedroht worden, habe sich nicht bestätigt. „Es bestand keine Gefahr für Leib und Leben.“
Die Richter folgten damit im Wesentlichen dem Antrag des Staatsanwalts, der sieben Jahre Haft verlangt hatte. Der Verteidiger war von einem Notwehrexzess ausgegangen. Er plädierte auf Freispruch und kündigte bereits Revision an. Der Angeklagte saß zusammengesunken zwischen Verteidiger und Dolmetscher. Er galt als ruhiger Typ, als Eigenbrötler.
Es gab öfter Streit um die Dusche
Mehr als 200 Menschen lebten damals in der früheren Schule, die im Dezember 2012 von Flüchtlingen besetzt worden war. J. war ein „Neuer“. Sein Schlafplatz befand sich in der Aula. Zwei Monate vor dem dramatischen Streit war er aus Spanien gekommen. Mit einer Aufenthaltsgenehmigung für den Schengenraum. „Zehn Jahre hat er in Spanien fleißig und unauffällig als Erntehelfer gearbeitet“, sagte der Richter. Von 2000 Euro schickte er 1000 Euro an seine Frau und die beiden Söhne. Als er ohne Job war, wollte er in Berlin sein Glück versuchen.
Der Anwalt von J. sagte über die blutige Eskalation: „Wenn so viele Menschen auf engem Raum unter so problematischen Umständen leben, werden solche Situationen noch befördert. Mein Mandant war einfach am falschen Ort und hatte Pech.“ Die Richter gingen darauf nicht ein. Sie merkten aber an: „Die hygienischen Zustände sind sehr primitiv, es gab öfter Streit um die Dusche.“
Nfmara J. hatte gehört, dass man in dem früheren Schulgebäude gut und ohne Probleme unterkommen könne. Zeugen wussten nicht viel über ihn und auch nicht viel mehr über das Opfer zu berichten. J. sagte im Prozess, er sei „eigentlich ein Stressvermeider“. Der Marokkaner habe zunächst eine Auseinandersetzung mit einem anderen Schwarzafrikaner begonnen. Vor den Stichen habe er ihm die Klinge zur Abschreckung gezeigt. Zeugen sahen es anders. J. habe sein Messer gezogen und „sofort zugestochen“. Der Marokkaner starb nur Minuten später.
Drogen, Alkohol und Messer im Hosenbund gehörten zum Alltag in der Schule, schilderten Zeugen. Derzeit leben noch etwa 45 Menschen dort und fordern ein Bleiberecht. Nfamara J. ging mit gesenktem Kopf aus dem Saal. Wird das Urteil rechtskräftig, geht es auch Abschiebung. Stimmt er zu, könnte er im günstigsten Fall nach der Halbstrafe abreisen.
Kerstin Gehrke