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Reicht es? Die Armutsgefährdung von Rentnern ist höher als bisher angenommen.
© Marijan Murat/dpa

Neue Statistik für Rentnerhaushalte: Fast jeder Fünfte von Armut bedroht

Gut versorgte Pensionäre haben die Statistiken geschönt. Wenn man nur Rentnerhaushalte betrachtet, ist das Risiko von Altersarmut größer als bisher bekannt

Wie viele Rentner in Deutschland sind von Armut bedroht? Erstaunlicherweise wusste das bisher niemand so genau, trotz aller hitzigen Debatten über das Thema. Oder es wollte niemand wissen, denn es gab nur Erhebungen, für die man ziemlich große Gruppen bedenkenlos in einen Topf geworfen hatte. Entweder sah man sich ganz pauschal das Einkommen aller über 64-Jährigen im Land an – da kam man dann für 2017 (neuere Zahlen gibt es nicht) auf eine Armutsgefährdungsquote von 14,6 Prozent. Oder man blickte – etwas gezielter – auf die Rentner und Pensionäre. Das ergab eine Quote von 16 Prozent.

Beides schien nicht sonderlich beunruhigend, denn die Armutsgefährdungsquote der Gesamtbevölkerung – also derer, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben – liegt bei 15,8 Prozent. Die 21 Millionen Rentner und Rentnerinnen hierzulande wären demnach nicht stärker von Armut bedroht als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Pensionäre kennen das Problem so gut wie gar nicht

Allerdings sind die bisherigen Statistiken grob irreführend. Wenn man nämlich die finanziell fast ausnahmslos gut situierten Pensionäre herausrechnet, liegt die Quote der armutsgefährdeten Rentner deutlich höher. Mit 19,5 Prozent ist dann in deutschen Rentnerhaushalten nahezu jede fünfte Person von Armut bedroht. Die 1,25 Millionen Pensionäre, in deren Haushalten die Armutsgefährdungsquote über die Jahre nahezu unverändert bei nur 0,9 Prozent liegt, haben die bisherigen Zahlenreihen gewaltig geschönt.

Herausgefunden hat das jüngst ein Mathematiker und ehemaliger Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes. „Mir war die Zusammenfassung der verschieden armen Gruppen der Rentner und der Pensionäre schon seit 2010 ein Dorn im Auge“, sagt der Koblenzer Professor für Statistik und empirische Sozialforschung, Gerd Bosbach. Wiederholte Bitten an amtliche Statistiker, das vorliegende Material aus dem Mikrozensus getrennt auszuweisen, seien mit Hinweis auf die hohen Kosten einer solchen Unternehmung abgewiesen worden, sagt Bosbach, der bereits zwei Bücher über „Statistiklügen“ veröffentlicht hat.

Armutsquoten um bis zu 3,7 Prozentpunkte unterschätzt

Dass es nun dennoch genauere Zahlen zur Situation der Rentner gibt, ist seiner Idee zu verdanken, einen Bundestagsabgeordneten einzuschalten. In der Hoffnung, dass doch wenigstens eine Parlamentspartei „diese wichtige sozialpolitische Größe“ bekommen müsse, wandte sich der Statistiker an den rentenpolitischen Sprecher der Linken, Matthias Birkwald. Die beiden stellten ihren Antrag beim zuständigen Landesamt für Statistik in Nordrhein-Westfalen – und bekamen eine differenziertere Auswertung. Allerdings auch nur gegen Bezahlung.

Doch das war es ihnen wert. Bosbach und Birkwald nennen das Ergebnis erschreckend. „Die Armutsquoten wurden seit Jahren um bis zu 3,7 Prozentpunkte unterschätzt“, sagt der Linkenpolitiker. Fast jeder Fünfte in einem Rentnerhaushalt müsse entweder allein von weniger als 999 Euro oder zu zweit von weniger als 1499 Euro im Monat leben. Und der Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre lasse auch „für die Zukunft Böses erahnen, wenn nicht energisch gegengesteuert wird“, meint Bosbach. 2007 betrug die Armutsgefährdungsquote der Rentner nach den nun herausgegebenen Zahlen noch 14 Prozent. 2011 lag sie bei 17 Prozent, 2014 waren es 19,2 Prozent.

SPD sieht neue Statistik als Beleg für Notwendigkeit der Grundrente

Der für das Rententhema zuständige SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach bezeichnete die neue Auswertung als nachvollziehbar und „in sich schlüssig“. Die Ergebnisse seien „ein weiterer Beleg dafür, dass die Grundrente unbedingt kommen muss“, sagte er dem Tagesspiegel. Andernfalls laufe man „sehenden Auges in ein großes soziales Problem“.

Birkwald dagegen sieht in der von der SPD verlangten Rentenaufbesserung nur einen „ersten Schritt“ gegen Altersarmut. Das Konzept von Sozialminister Hubertus Heil habe ausschließlich das Ziel, Menschen mit langen Phasen im Niedriglohnsektor aus der „Grundsicherung im Alter“ herauszuholen. Die Grundsicherungsschwelle liege derzeit aber bei nur bei 796 Euro. Die Linke fordere eine „Solidarische Mindestrente“, die sicherstellt, dass im Alter niemand von weniger als 1050 Euro netto leben muss.

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