371 Tatra-Straßenbahnen verkauft: BVG-Gelb durch Osteuropa
Sie überlebten die Wende, aber nicht die Bedingungen an modernen Transport: Die Tatra-Straßenbahnen sind von den Berliner Gleisen verschwunden – und fahren woanders weiter.
Sie prägten jahrzehntelang das Bild bei der Berliner Straßenbahn. Und nun sind sie (fast) alle weg: Die Tatras. Hunderte Züge des ehemaligen tschechoslowakischen Herstellers CKD Tatra fuhren in Berlin. Erst natürlich nur im Ostteil, nach der Wende auch im Westteil. 2006 hatte die BVG begonnen, nicht mehr benötigte Fahrzeuge auszumustern. Für den Schrott waren sie zu schade, also wurden sie verkauft. Im November wurden nun die letzten Tatras in die Ukraine verladen, meldet die BVG in ihrer Mitarbeiterzeitung. Sie rollen künftig durch Lviv (Lemberg) und Saporischschja, heißt es auf der Straßenbahn-Fanseite www.berlin-straba.de.
Seit 2006 wurden genau 371 Tatra-Wagen verkauft, überwiegend nach Osteuropa, aber auch nach Skandinavien oder ins ägyptische Alexandria zum Beispiel. Was die BVG eingenommen hat, wollte ein Sprecher auf Nachfrage nicht sagen, zu „Geschäften mit Dritten“ gebe es keine Auskunft. Reich dürfte die BVG damit aber nicht geworden sein. Nach der Wende waren nicht modernisierte Wagen teilweise noch verschrottet worden.
Wie berichtet, bleiben 40 Tatras doch noch eine Zeit lang im Einsatz. Nachdem der Senat als Reaktion auf steigende Fahrgastzahlen in der „wachsenden Stadt“ mehr Fahrten bei der BVG bestellt hatte, bekamen die verbliebenen Tatras eine Schonfrist.
2010 sollte eigentlich die letzte Tatra fahren
2006 hieß es, dass 2010 Schluss ist mit den nicht barrierefreien Tatras. Dann war von 2015 die Rede, nun sollen 40 Wagen bis 2020 weiterfahren, teilte die BVG mit, als Verstärker in der Hauptverkehrszeit und auf der Linie M17 (Falkenberg-Schöneweide). Ob 2020 realistisch ist, wird sich zeigen. Behindertenverbände sind nicht glücklich über den um fünf Jahre verlängerten Tatra-Einsatz.
Der erste Wagen vom Typ KT4D traf am 3. April 1976 in Ost-Berlin ein, am 14. April berichtete sogar der Tagesspiegel – in der Rubrik „Ost-Berlin in der Ost-Presse“ (siehe Faksimile). Am 11. September des Jahres rollte die erste Tatra mit Fahrgästen durch Ost-Berlin, auf der Linie 75 zwischen Hackescher Markt und Betriebshof Weißensee – für die Fahrgäste ein Fortschritt, trotz der Hartschalensitze in Kreisch-Orange und des hohen Einstiegs. Generationen von Müttern haben ihre Kinderwagen über mehrere Stufen in den Waggon gewuchtet, Rollstuhlfahrer versuchten es gar nicht erst. Zwischen 1976 und 1997 kaufte die BVG 582 Tatras des Prager Herstellers, zunächst die Gelenkwagen vom Typ KT4D, ab 1988 Wagen des Typs T6A2.
Straßenbahnen nur noch aus der Tschechoslowakei
Es war eine Absprache des Ostblocks, dass nur noch die Tschechoslowakei als einziges Land im „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW) Straßenbahnen bauen darf. Rumänien zum Beispiel lieferte die (für ihren Lärm und Qualitätsmängel berüchtigten) Dieselloks für die Eisenbahnen, Ungarn baute Omnibusse („Ikarus“) zusammen. Und die DDR? Die baute für den RGW Fischtrawler. Ein gemeinsames „RGW“-Auto blieb nur eine Idee.
Zurück zur Tram. Die Webseite www.berlin-straba.de nennt für jeden einzelnen BVG-Wagen den Verbleib. So wurden 40 Wagen vom Typ T6A2 nach Alexandria verkauft, sechs Wagen ins schwedische Norrköping. Die meisten gingen aber nach Osteuropa, das hat einen einfachen Grund: Die dortigen Betriebe kannten die Fahrzeuge und ihre Technik von früher, die Wagen waren wegen ihrer guten Pflege begehrt. Tatras gingen nach Rumänien, Russland, Kasachstan, Polen und in die Ukraine. In Stettin fahren Dutzende Wagen, und zwar weiter im „Sonnengelb“ der BVG. Der städtische Verkehrsbetrieb Tramwaje Szczecinskie hat sich das Neulackieren schlicht gespart. Einer der wichtigsten Umsteigepunkte im Stettiner Netz, Brama Portowa, hieß früher übrigens „Berliner Tor“.
In Berlin prägen jetzt moderne Züge vom Typ GT6N und „Flexity“ das Stadtbild. Alle sind barrierefrei, die letzten Flexity aus der Bestellung von 2006 sollen 2020 ausgeliefert werden. Wie im Oktober berichtet, hat die BVG nun für 74 Millionen Euro weitere Bahnen dieses Typs bei Bombardier bestellt. Da diese Option 2006 vereinbart worden war, konnte auf eine Ausschreibung verzichtet werden. Gebraucht werden neue Züge, schließlich sind mehrere Streckenverlängerungen geplant, so nach Moabit und von Adlershof nach Schöneweide. Gut 200 Millionen Menschen steigen jedes Jahr in eine Berliner Straßenbahn.