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Thomas Mücke arbeitet seit 25 Jahren mit radikalisierten Jugendlichen.
© Hasan Gökkaya

Salafisten in Berlin: „Extremisten setzen auf Emotionen“

Thomas Mücke arbeitet seit 25 Jahren mit radikalisierten Jugendlichen. Er hilft, Kinder aus den Fängen von Salafisten zu befreien - durch Gespräche.

Beim „Tatort“ ging es am Sonntag um radikalisierte junge IS-Unterstützer in Deutschland. Vergangene Woche wurde in Berlin ein 27-jähriger als mutmaßlicher Terrorist festgenommen. Er kam als Flüchtling nach Deutschland. Hätte es Sie überrascht, wenn er kein Flüchtling, sondern Berliner wäre?

Nein, hätte es nicht. Der IS ist die reichste Terrororganisation, die es gibt. Sie verfügt über eine wahnsinnige Propagandamaschinerie. Hier lebende Menschen sind für ihre Botschaften genauso empfänglich. Die meisten radikalisierten Personen, mit denen wir es in Deutschland zu tun haben, sind übrigens auch hier geboren und aufgewachsen.

2015 sind 100 Personen aus der Hauptstadt nach Syrien aufgebrochen, um sich dem IS anzuschließen. Waren diese Menschen schon immer radikal oder sind sie es erst kurz vor der Abreise geworden?

Es gibt nicht den einen Radikalisierungsverlauf; die Gründe, warum die Menschen in die Szene schlittern, sind ganz unterschiedlich. Zum Teil sind das Menschen, die aus schwierigen Familienverhältnissen kommen und keine günstigen sozialen Perspektiven haben. Es gibt aber auch Vorfälle in anderen sozialen Schichten. Die Tochter eines Polizeibeamten oder einer Lehrerin kann genauso gut betroffen sein.

Warum ist das so?

Weil Extremisten an emotionalen Gedanken von Jugendlichen ansetzen, die auf der Suche nach ihrer Identität, Geborgenheit oder Orientierung sind. Diese Situation missbrauchen sie. Genauso gefährdet sind aber auch Menschen, die in einer temporären Krise sind. Es gibt das Beispiel einer 17-jährigen Deutschen. Ihr Vater starb, daraufhin wurde sie von Gleichaltrigen angesprochen und in die salafistische Szene gebracht. Dort konnte sie trauern, anders als in ihrer eigenen Familie. Das Ergebnis: Sie hatte wenige Wochen später vor, nach Syrien aufbrechen. Salafisten haben es auf Menschen abgesehen, die an sich zweifeln.

Radikalisierung ist also kein islamisches, sondern ein psychosoziales Problem?

Natürlich muss man sagen, dass die Vermischung aus Islam und Traditionalismus einen Nährboden für absolute Gehorsamkeit bieten kann. Dennoch spielt im Grunde der familiäre muslimische Hintergrund bei radikalisierten Frauen, Männer und Kindern zumeist keine Rolle. Wenn wir uns um Jugendliche kümmern, haben wir es nicht selten mit weltoffenen Elternhäusern zu tun. Es gibt nur ganz wenige Fälle, wo wir sagen konnten, dass die Eltern eine Art Vorideologisierung geleistet haben. 20 Prozent der radikalisierten sind übrigens Deutsche, die in den politischen Extremismus konvertiert sind. Auch zwischen ihnen und denjenigen mit arabischen oder türkischen Migrationshintergrund gibt es keine besonderen Unterschiede.

Wie bahnen Salafisten die Radikalisierung genau an?

Jugendliche werden in einer Sprache angesprochen, die sie verstehen. Da kommt zum Beispiel ein Gleichaltriger zu einem Jungen und fragt ihn, ob er nicht mal zu der „Lies!-Aktion“ seiner Brüder mitkommen will. Im engen Kreise wird er dann warmherzig aufgenommen und in weitere Gesprächskreise gebracht. Schnell verbringt man auch die Freizeit zusammen – man spielt Fußball oder kocht gemeinsam. Sie vermitteln also das emotionale „Wir-Gefühl“.

Das klingt bisher ziemlich nett …

Genau. Plötzlich kommt dann aber der Punkt, wo gesagt wird, dass es in Deutschland nicht einfach ist, Moslem zu sein. Dann werden gerne wissenschaftliche Ergebnisse präsentiert. Es wird dann gezeigt wird, dass Frauen mit Kopftuch diskriminiert werden. Am Ende fallen dann Sätze wie „als Moslem darfst du nicht in einem säkularen Staat leben“. Bei religiösen Analphabeten, also Menschen mit wenig Wissen über ihre Religion, haben die Extremisten ein einfaches Spiel.

Wie helfen sie radikalisierten Jugendlichen konkret?

Wenn besorgte Eltern bei uns anrufen, nehmen wir direkt Kontakt zu den Jugendlichen auf. Das kann in der Moschee oder auch im Elternhaus sein. Wenn die Jungen und Mädchen uns dann im Wohnzimmer sehen, gehen sie oft direkt weiter in ihre Zimmer und schotten sich erst mal ab. Manchmal reichen wir dann Zettel unter der Tür durch und stellen uns vor. Da kann dann aber auch mal eine kleine religiöse Geschichte stehen. Es kommt auf die Person an, je nachdem, für was die Ohren offen sind. Man muss als Berater vor Ort also viel Geduld mitbringen. Meistens kommt es nach zwei bis drei Wochen zu ersten Gesprächen, weil die Jugendlichen sich dann an unsere Besuche gewöhnt haben.

Worüber reden Sie dann?

Im Grunde geht es darum, die Jugendlichen zu eigenen Gedankengängen anzuregen. Wir stellen ihnen also Fragen oder wollen wissen, ob sie denn auch einmal eine andere Sichtweise hören wollen. Denn radikalisierte Jugendliche haben sich stark manipulieren lassen und ihren Verstand in der Jackentasche eines anderen Menschen abgegeben. Eigene Gedanken wieder zu erzeugen ist das beste Mittel dagegen. Wichtig ist vor allem, darauf zu achten, dass man ihnen nicht sagt, was falsch und richtig ist. Sonst wäre man im gleichen Muster drin, das die Jugendlichen aus der salafistischen Szene kennen.

Thomas Mücke ist Geschäftsführer von „Violence Prevention Network“, das mit Bund und Ländern kooperiert. Hotline beim Bundesamt BAMF für Angehörige: Tel 0911 - 943 43 43.

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