Chef der Berliner Museumsinsel zur Pergamon-Baustelle: "Es muss alles auf den Prüfstand"
Der Chef der Museumsinsel, Hermann Parzinger, über die Folgen von Kostenexplosion und Verzögerung beim Bauprojekt Pergamon-Museum.
Herr Parzinger, haben Sie den Schock über die beinahe Verdoppelung der Sanierungskosten am Pergamon-Museum schon verdaut, oder wussten Sie eh schon alles?
Naja, die Zahlen, die wir im Lauf der Zeit hörten, sind immer weiter gestiegen. Am Schluss war es wirklich Besorgnis erregend. Dass wir es mit einer komplexen Bauaufgabe zu tun haben, war ja allen bewusst, ein Anstieg in dieser Größenordnung aber in keiner Weise absehbar.
Die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, hat im Tagesspiegel den Verzicht auf den Bau des vierten Flügels ins Gespräch gebracht. Ziehen Sie mit?
Ja, es muss alles auf den Prüfstand. Alle Beteiligten müssen nun Wege suchen, wie wenigstens partiell die enorme Steigerung der Baukosten aufzufangen ist und da wird man auch über den vierten Flügel reden müssen. Aber wir müssen uns auch klar machen, dass dann der geplante Gang durch die Architekturen der Antike nur eingeschränkt möglich wäre.
Der Neubau des vierten Flügels ist wie die Sanierung des Südflügels Teil des zweiten Bauabschnittes. Dazu müssen zunächst die laufenden Arbeiten abgeschlossen werden. Das wird bis zum Jahr 2023 dauern. Wir reden hier also von Entscheidungen, die man erst in einigen Jahren treffen muss.
Außerdem müssten Sie dann das Raumprogramm im Pergamon-Museum ändern, oder?
Ja, in dem neuen, vierten Flügel sollen die Exponate aus Altägypten ausgestellt werden, die bisher gar nicht oder am falschen Ort zu sehen sind, etwa das Kalabscha-Tor und der Tempelhof aus dem Totentempel Sahures. Vor allem aber würde der geplante Rundgang durch die Architektur der Antike nicht mehr stattfinden können.
Die Besucher würden vom Hauptgebäude in den Nordflügel abbiegen und am Ende wieder kehrtmachen und den ganzen Weg zurückgehen müssen, um die Exponate im Südflügel besichtigen zu können.
Vier Jahre länger als geplant dauert die Sanierung von Nord- und Hauptflügel des Pergamon-Museums mindestens. So lange wird die Stiftung auch auf Einnahmen verzichten müssen. Wie stark ist der Besucherschwund seit der Schließung?
Der Rückgang ist schon enorm, wir hatten davor 1,4 Millionen Besucher, inzwischen sind es nur noch 800.000 jährlich. Trotzdem ist es überraschend und sehr erfreulich, dass auch jetzt so viele kommen, denn zwei Drittel des Museums sind zu und die große Hauptattraktion, der Altar, ist gar nicht zugänglich. Wir hatten mit einem stärkeren Rückgang gerechnet.
Trotzdem fehlt die Hälfte der Einnahmen. Wie stecken Sie das weg?
Wir versuchen unsere Einnahmen zu steigern, durch attraktive Ausstellungen anderswo oder etwa auch durch einen neuen Online-Shop für die Gipsformerei. Mit den Einsparungen sind wir am Anschlag, da ist mittlerweile alles ausgereizt. Uns war klar, dass die Schließung von zwei Publikumsmagneten, also von Pergamonmuseum und Neue Nationalgalerie, die mittelfristige Finanzplanung belasten würden. Aber durch die Zuwendungen von Bund und Berlin sind wir in keiner so schwierigen Situation.
Staatsoper, Elbphilharmonie, Pergamon-Museum – überall dauert es länger und die Kosten laufen aus dem Ruder. Kann man Sanierung oder Neubau von Kulturbauten überhaupt noch vertreten?
Das hat weniger mit Kulturbauten zu tun, es betrifft auch andere Bereiche. Es ist unter anderem auch eine Frage der Kommunikation. Man muss offener über die Komplexität derartiger Bauaufgaben informieren. Die ganze Museumsinsel steht auf Pfählen, ähnlich wie Venedig. Und man kann durch Voruntersuchungen nicht 100-prozentig alle Risiken ausschließen.
Die Bauverantwortlichen müssen aber auf absehbare kostenrelevante Risiken frühzeitig hinweisen, so dass allen klar ist, dass wir uns auf hochkomplexe Projekte einlassen. Zum Pergamonmuseum muss man außerdem wissen, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg zwar funktionstüchtig wiederhergestellt wurde, aber eher notdürftig.
Wir haben jetzt noch Schäden aus den Kriegsjahren entdeckt, verbogene Stahlträger zum Beispiel. Gegenwärtig läuft also die erste Sanierung seit 80 Jahren bei diesem Kernstück der Museumsinsel. Deshalb ist es wichtig, das Haus wieder in einen Zustand zu bringen, der diesem Bau angemessen ist.
Das klingst als forderten Sie Blankoschecks für Kulturbauten, sanieren, koste es, was es wolle?
Ganz und gar nicht. Wir gehen sehr verantwortungsvoll mit Steuergeldern um. Das Neue Museum ist um etwa 40 Millionen Euro günstiger geworden. Bei der James-Simon-Galerie und dem Pergamon-Museum gab es erhebliche Fehlleistungen beauftragter Firmen, das war nicht vorzusehen. Außerdem entfallen von den Zusatzkosten beim Pergamon-Museum 57 Millionen Euro auf den Anstieg der Baupreise.
Seit der Bewilligung der Gelder im Jahr 2007 sind fast zehn Jahre vergangen. Diese Kosten wären ohnehin angefallen, auch wenn die Komplikationen auf der Baustelle nicht eingetreten wären. Wir sind nicht die für den Bau zuständigen Fachleute, wir können nur appellieren, von Anfang an realistische Zahlen zu kommunizieren.
Ausstellungsstücke aus dem Pergamon-Museum sollen nun in einem Provisorium gezeigt werden. Was wird dieses Gebäude kosten und müssen das wiederum Bund und Berlin bezahlen?
Nein, das wird von einem privaten Investor finanziert. Das Gebäude entsteht auf einem Grundstück gegenüber der Museumsinsel an der Bahntrasse. Der Telefos-Fries wird dort zu sehen sein, das Pergamon-Panorama und wechselnde Ausstellungen.
Genauer werden wir die Öffentlichkeit in der kommenden Woche informieren. Den Interimsbau können wir gut gebrauchen. Denn später wird auch der Südflügel des Pergamon-Museums mit dem Ischtar-Tor und der Prozessionsstraße aus Babylon saniert.
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