Museumsinsel in Berlin: Warum explodieren die Kosten für die Pergamon-Baustelle?
Die Sanierungsarbeiten verzögern sich um Jahre, die Kosten steigen von 261 auf 477 Millionen Euro - und das in der ersten Bauphase. Suche nach Gründen bei einem Baustellenrundgang.
Verpackt und verhüllt steht der weltberühmte Pergamonaltar inmitten von Schutt und Staub. Riesenhafte Türme aus Gerüsten reichen bis an das Skelett aus frei gelegten Deckenbalken. Ein Gewirr aus Stahlträgern und Stützen verläuft quer durch jenen Raum, der einmal Besucher in Scharen anlockte und das Haus zum bestbesuchten Museum Berlins machte.
Das ist vorbei, seit drei Jahren riskiert ein Team aus Planern und Architekten, Denkmalschützern und Bauleuten eine Operation am offenen Herzen des Weltkulturerbes und seiner nicht minder bedeutsamen Sammlung. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn überall in dem Gebäudeensemble mit seinen drei Flügeln haben die Ingenieure Sensoren angebracht – an Säulen, Wänden, am Altar, am Fries. Alles ist verkabelt und vernetzt wie ein Patient auf der Intensiv-Station.
Bund rechnet mit Gesamtkosten von 477 Millionen
Und so wie dort die Geräte öfters mal Alarm geben, so schlugen auch am Kupfergraben die Zeiger 30 bis 40 Mal unheilverkündend aus. Dann musste augenblicklich das Hämmern und Meißeln, das Dröhnen der Pressluftbohrer stoppen. „Mit Weltkulturerbe geht man besser vorsichtig um“, sagt Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.
Wessler ist die Herrin über diese und viele anderen Baustellen des Bundes. Und sie wirbt an diesem Tag um Verständnis dafür, dass ein weiteres Gebäude des Bundes nicht zum versprochenen Zeitpunkt und nicht zu den veranschlagten Kosten fertig gestellt werden wird.
Beim ersten Bauabschnitt des Pergamon-Museums rechnet der Bund inzwischen mit Gesamtkosten von 477 Millionen Euro – fast doppelt so viel wie die ursprünglich 261 Millionen Euro „haushaltsmäßig anerkannten Baukosten“. Und fertig werden die Arbeiten nicht im März 2019 wie in der ursprünglichen „Prognose“, die Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) den Mitgliedern des Bauausschusses vorgelegt hatte, sondern vier Jahre später: „Mitte 2023“.
Schuld sind Baufehler aus den 1930ern
Hätte man das nicht alles voraussehen können? Anders als bei der Staatsoper Unter den Linden trifft wenigstens die Nutzer keine Schuld: Sonderwünsche oder späte Änderungen der Planungen verlangte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ebenso wenig wie die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Und „das alte Pumpwerk, das unter der Erde entdeckt wurde, war in keinem historischen Bauplan eingezeichnet“, sagt Petra Wessler. Diese „massive Betonkonstruktion“ hätte eigentlich sowieso nicht stehenbleiben dürfen. Vier Pumpwerke hatten die Bauleute bei der Errichtung des Gebäudes zwischen 1910 und 1930 an verschiedenen Stellen des Ensembles aufgebaut. Sie sollten das Grundwasser abschöpfen, damit die Pfeiler, die das Museum tragen, in den Untergrund gerammt werden konnten. Danach wurden die Pumpen planmäßig wieder abgerissen – nur diese eine eben nicht.
Ausgerechnet dieser Betonmoloch blieb hier stehen und befand sich nun mitten im Weg der geplanten „Archäologischen Promenade“, die später einmal vom neuen Empfangsgebäude an der James-Simon-Galerie zum Pergamon-Museum führen wird und von dort weiter über die Museumsinsel. Der Beton muss nun weg, aber behutsam, damit die Sensoren am Baukörper des Denkmals nicht anschlagen. Der Einsatz schweren Geräts kommt daher nicht in Betracht und deshalb dauert es – und es kostet.
Planer mussten ein zweites künstliches Skelett aus horizontalen Stahlträger aufbauen
Hinterlassenschaften der historischen Bauherren ist auch geschuldet, dass die gewaltigen Stahlträger zum Sichern der nördlichen Museumsfassade nicht wie geplant auf dem Grund der Baustelle abgestützt werden können. Stattdessen mussten die Planer ein zweites künstliches Skelett aus horizontalen Stahlträger provisorisch aufbauen, das von mächtigen Betonwürfeln im Inneren des Museums nach außen ragen. Auch das ist ein gewaltiger Aufwand, der Zeit und Geld verschlingt.
Die gute Nachricht ist: „Die Rohbauten sind so gut wie abgeschlossen und das Gebäude hat sich so gut wie nicht gesetzt“, sagt Petra Wesseler. Maximal zwei Zentimeter hätte das Gebäude theoretisch in sich zusammensacken dürfen, damit es nach der Überzeugung von Denkmalpflegern und Statikern keinen Schaden nimmt – und diese Grenze wurde nicht überschritten.
Deshalb wird nun auch der bisherige Verlauf der Sanierungsarbeiten in der kommenden Woche der Öffentlichkeit vorgestellt. Zu sehen sind im Inneren sorgfältig freigelegte Wände, in Spanplatten eingehauste Treppenhäuser, frei gelegte Decken und überall Stützen und Gerüste – ein passgerechtes Korsett für das alte Haus.
Dessen Schätze sind im Inneren wohl gehütet in einem teils gut geheizten Rohbau: Der Todeskampf des Laokoon mit der von Apollo gesandten Schlange, dessen Schilderung Peter Weiss Monumentalwerk „Ästhetik des Widerstandes“ einleitet, lässt sich heute als Allegorie auf den Kampf der Bauherren mit dem schicksalhaften Berliner Baugrund deuten. Buchstäblich, denn die in Stein gemeißelten Figuren des Frieses verfangen sich nicht nur im Körper der Schlange, sondern auch in die schwarzen Strippen, die Sensoren mit Computern auf dem Boden des Rohbaus verbinden. Diese funken ihre Daten per W-Lan direkt an die Zentralrechner der Baustelle.
Besucher müssen mit visualisiertem 3-D-Altarsaal vorlieb nehmen
Bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zuständig für das Pergamon-Museum, gibt man sich unverdrossen angesichts der Hiobsbotschaft: „Der Pergamonaltar steht gut eingehaust weiterhin im Altarsaal und wird dort auch bis zum Abschluss der Sanierung bleiben“, sagt Sprecher Ingolf Kern. Die Stiftung arbeite „mit Hochdruck daran, mit einem Interimsbau Besuchern ein Alternativangebot machen zu können“. Dort werden die Besucher nicht das Original besichtigen können, sondern mit einer „3D-Visualisierung des Altarsaals“ vorlieb nehmen müssen. Dazu will die Stiftung außerdem „wichtige Originale wie den Telephos-Fries sowie Skulpturen der Antikensammlung ausstellen“.
Die Verantwortlichen aus der Stiftung tun wohl gut daran, sich auf eine nicht wirklich kalkulierbare Dauer für die Sanierung der drei Teile des Pergamon-Museums sowie des anschließenden Neubaus des vierten Flügels einzurichten. Zumal zurzeit überhaupt nur der erste Teil der Sanierung des Pergamon-Museums angelaufen ist. Der zweite Bauabschnitt, der die Sanierung des Südflügels vorsieht sowie den Neubau des vierten Flügels, sollte ursprünglich 2019 beginnen, also nachdem die zur Zeit laufende Sanierung des Mittelbaus abgeschlossen ist. Nach der Prognose aus dem Hause von Bauministerin Hendricks ist dieser zweite Bauabschnitt mit „weiteren Kosten in Höhe von 134 Millionen Euro“ veranschlagt.
Allerdings dürften auch in dieser Summe keine Rücklagen für nicht absehbare Risiken sowie für die davon galoppierte Baupreise in Berlin eingerechnet sein – kurzum, auch der zweite Bauabschnitt wird wohl wesentlich teurer kommen als geplant.
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