Mahnwache von Berliner Radaktivisten: „Es gibt keinen toten Winkel"
Ein Dutzend Fahrräder und nochmal so viele Radler stellen sich quer. Nach dem Urteil gegen einen Unfallfahrer protestieren Aktivisten am Donnerstag vor dem Amtsgericht in der Turmstraße.
Im November vergangenen Jahres wurde die 76-jährige Bärbel M. an einer Kreuzung in Neukölln von einem nach rechts abbiegenden Kieslaster überfahren. Unfallverursacher Ralf F. wurde deshalb gestern vom Amtsgericht in der Turmstraße zu einer Geldstraße von 2700 Euro verurteilt.
Den Aktivisten vom Volksentscheid Fahrrad geht die Strafe nicht weit genug. „Dass ein LKW-Fahrer nach diesem Unfall seinen Führerschein nehmen und weiter fahren darf, das ist ein Skandal. Mich nervt, dass hier Urteile gefällt werden, die keinerlei Wirkungen auf andere LKW-Fahrer haben“, verkündet Mitinitiator Heinrich Strößenreuther.
Er hält ein Schild mit der Aufschrift #AutoJustiz in die Luft, vor ihm steht ein Geisterfahrrad, das weiß angestrichen ist. Ein weißes Fahrrad für jeden Fahrradtoten in der Stadt. Hinter ihm stehen rund ein Dutzend anderer Aktivisten mit ihren Rädern.
„Es handelt sich hier um ein Augenblicksversagen das auch im Führungszeugnis vermerkt wird.“ So schätzt Lisa Jani, Sprecherin des Strafgerichts, den Fall ein. Die Spiegel des Fahrers seien geprüft worden und es sei nichts zu beanstanden gewesen. Da sich der Fahrer in seinen 32 Jahren als Kraftwagenfahrer noch nichts zu Schulden hat kommen lassen, habe er eine milde Strafe erhalten. Bei einem zweiten Vergehen würde der Angeklagte mit härteren Konsequenzen zu rechnen haben, sagt Jani.
Der tote Winkel im Visier
Am Unfallort an der Gutschmidtstraße in Neukölln fällt auf: Die Straße mit je zwei Spuren in beide Richtungen ist sehr eng. Direkt neben der Ampel steht ein Schild mit Geschwindigkeitsbegrenzung 50. „An einer Kreuzung muss man langsam genug abbiegen, um alle Spiegel im Blick zu behalten.“, findet Strößenreuther.
Wenn es um Unfälle geht, die im toten Winkel von LKWs passiert sind, wird immer wieder eine bessere Technik im Fahrzeug gefordert. Ein akustisches Warnsignal, das in einigen Lkws eingebaut ist, ist derzeit noch nicht obligatorisch für die Fahrbetriebe. Strößenreuther hält davon nicht viel. Er meint, die Fahrer würden die Systeme oft ausstellen, weil ihnen das häufige Piepen auf die Nerven gehe.
„Es gibt keinen toten Winkel“, betont er. Wer langsam genug fahre, habe zu jedem Zeitpunkt genaue Einsicht, wer sich von hinten nähere, möchte Strößenreuther damit sagen.
Ehemann erst am späten Abend kontaktiert
Die Initiative bemängelt auch, dass der Mann von Bärbel M. am Unfalltag im November zu spät benachrichtig worden sei. Die Nichte der Verstorbenen habe sie kontaktiert und ihnen mitgeteilt, dass der Mann erst am späten Abend vom Unfall seiner Frau erfahren habe. Und dass, obwohl sie bereits um 16 Uhr am Nachmittag verunglückt war.
Nach der Aktion vor dem Amtsgericht am Donnerstagmittag wurde das Geisterfahrrad wieder zurück nach Neukölln gefahren, wo es fortan am Unfallort stehen wird. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Clubs (ADFC) hat bereits mehrere solcher Räder in der Stadt verteilt, nachdem Fahrradfahrer auf Berliner Straßen verunglückt sind.
Milan Ziebula