Diskussion um Ost-Quote in Chefetagen: "Es geht um den Bestand der gesellschaftlichen Ordnung in Deutschland"
Ostdeutsche sind in Führungspositionen unterrepräsentiert. Auf die Minderrepräsentanz und auf ihre Folgen muss hingewiesen werden. Ein Gastbeitrag.
Es ist Realität, Ostdeutsche sind in Führungspositionen der ostdeutschen Länder und erst recht in der Bundesrepublik unterrepräsentiert. Das hat sich in den Jahren seit der Wiedervereinigung nicht wesentlich geändert. Es ist allerhöchste Zeit, darauf verstärkt hinzuweisen. Denn in den ostdeutschen Ländern wird das wahrgenommen, verstärkt die Distanz zum demokratisch-rechtsstaatlichen System und verführt zu extremen Positionen, vor allem zum Rechtspopulismus. Das gefährdet den Zusammenhalt in den Ländern.
Was tun? Es muss auf die dramatische Minderrepräsentanz der Ostdeutschen in Entscheidungspositionen und ihre Folgen hingewiesen werden. Die Zahlen sind zu benennen und die Gleichbehandlung muss gefordert werden. Ich rate ab, das in einer gesetzlichen Quotenregelung zu fordern. Das verzettelt sich in formalen Streitigkeiten und die Substanz kann zerredet werden. Es geht um sehr viel mehr. Nämlich um den Bestand der gesellschaftlichen Ordnung in Deutschland.
Wir müssen beachten, wie diese Entwicklung zustande kam. Entscheidend war der Mehrheitswille der Ostdeutschen, schnell voll in die Bundesrepublik eingegliedert zu werden. Die ostdeutschen Länder mussten sofort funktionieren, ohne auf allen Ebenen Fachkräfte zu haben. Zwangsläufig mussten Fachleute aus den westdeutschen Bundesländern geworben werden. Diese Aufbauhelfer waren unverzichtbar. Sie brauchten weitere Fachkräfte und warben in ihrer Heimat. So wuchs eine funktionierende westdeutsche Schicht von Entscheidern in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Militär.
Kam hinzu, dass die Ostdeutschen im DDR-System gelernt hatten, abzuwarten, sich nicht vorzudrängen. Außerdem merkten sie schnell, ein unbekanntes System vor sich zu haben. Nur wenige wagten den Einstieg. Eine systematische Förderung von ostdeutschen Interessenten war selten. Es ist höchste Zeit, den ostdeutschen Nachwuchs zu fördern. Zumal die Altersstruktur Nachwuchs fordert. Westdeutsche haben seit Jahrzehnten gelernt, sich wirkungsvoll zu präsentieren. Dem ostdeutschen Nachwuchs muss geholfen werden.
Manfred Stolpe, 82, war zwölf Jahre Ministerpräsident Brandenburgs.
Lesen Sie hier aus der Debatte:
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- Linken-Politiker Gregor Gysi unterstützt eine Ost-Quote bei der Besetzung von Chefetagen
Manfred Stolpe