Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel: "Es geht hier ganz klar um Minderheitenrechte"
Beteiligung ja, aber keine Mitbestimmung der Anwohner: Katalin Gennburg (Linke) über das Verfahren der Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel in Wedding.
Seit Jahren wird um die Neubenennung einiger Straßen im sogenannten Afrikanischen Viertel in Wedding gestritten. Umbenannt werden sollen die Lüderitzstraße, die Petersallee und der Nachtigalplatz, weil sie Führer der deutschen Kolonialepoche ehren. Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus und Smart City der Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus, spricht im Interview über Fehler im bisherigen Verfahren und die Verantwortung des Senats.
Frau Gennburg, der Verein Berlin Postkolonial fordert eine stadtweite Erinnerungskultur, wenn es um den Umgang mit rassistischen Straßennamen geht. Bisher machen die Bezirke das eher in Eigenverantwortung. Wie stehen Sie dazu?
Ich finde es richtig, dass die Bezirke viele Kompetenzen behalten. Ein stadtweites Erinnerungskonzept, so wie es auch im Koalitionsvertrag steht, hat aber noch mal eine andere Dimension. Die Frage, wie Berlin als Hauptstadt des deutschen Kolonialreiches agiert hat und welche historische Verantwortung daraus erwächst, ist keine reine Bezirksangelegenheit, sondern man könnte sie eigentlich sogar als Angelegenheit der Bundesregierung bezeichnen.
Es ist wichtig, auf Berliner Ebene die historische Verantwortung sichtbar zu machen, um die Geschichte aufzuarbeiten. Und dazu gehört eben auch, Straßen, die nach den Führern der Kolonialepoche benannt sind, umzubenennen. Daran darf überhaupt kein Zweifel aufkommen.
Das bisherige Verfahren der Namensauswahl wurde stark kritisiert, unter anderem, weil die Zusammensetzung der Jury lange geheim war. Wie müsste Ihrer Ansicht nach der Prozess der Umbenennung organisiert werden?
Ich verstehe den Gedanken, die Jury solle geheim tagen, finde ihn aber nicht richtig. Ich hätte mir gewünscht, den Juryprozess offener zu gestalten und ihn gleichermaßen auch für die geschichtliche Aufarbeitung zu nutzen. Das heißt nicht, dass jeder mitreden kann, aber man kann die Bevölkerung über Transparenz mitnehmen.
Man muss aber ganz klar sagen, dass es hier um Minderheitenrechte geht und es nicht Sinn der Sache ist, die Mehrheitsgesellschaft darüber abstimmen zu lassen, ob es okay ist, dass Straßen nach Rassisten benannt sind, oder nicht. Beteiligung über Information, ja, aber wenn aus der Bevölkerung Namensvorschläge ohne konkreten Geschichtsbezug wie „Boatengstraße“ kommen, dann wird es schnell hanebüchen.
Ein weiteres Problem ist, dass, soweit ich weiß, keine klaren Kriterien veranschlagt wurden, nach denen die Namensvorschläge ausgewählt werden. Das führt uns in ein zentrales Konfliktfeld: Auf Afrika wird immer geschaut, als wäre es ein einzelnes Land. Dabei besteht Afrika aus ganz vielen unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Und diese Problematik hat sich wohl auch in dem Juryverfahren widergespiegelt.
Es wirkt so, als habe man gesagt: Komm, wir nehmen da so ein paar Vertreter und die werden sich schon einig. Die Kriterien für die Auswahl müssen jetzt dringend gemeinsam mit den Opfergruppen weiterentwickelt werden. Und die Profis der Berliner Unis, wie die HU mit den postkolonialen Studien, müsste man von Beginn einbeziehen und nicht erst, wie es jetzt passiert, später an sie übergeben.
Die Initiative Pro Afrikanisches Viertel schlägt vor, die bestehenden Namen einfach umzuwidmen, die Lüderitzstraße würde dann zum Beispiel an die Stadt Lüderitz erinnern. Was halten Sie davon?
Das ist anmaßend und wird der geschichtlichen Verantwortung überhaupt nicht gerecht. Und auch für die Leute, die das seit über zwanzig Jahren vorantreiben, wäre das ein Schlag ins Gesicht. Die Arbeit von Berlin Postkolonial ist deshalb so wertvoll, weil sie tatsächlich einen geschichtspolitischen Anspruch hat.
Ich selber bin Stadthistorikerin und habe mich mit der Frage von Erbe im Stadtraum sehr umfassend beschäftigt. Stadt ist produzierter Raum, über Jahrhunderte hinweg. Und deswegen ist Umdeutung im Stadtraum weder einfach noch trivial. Es mag sein, dass irgendwelche Leute, die von der kolonialen Vergangenheit Deutschlands keine Ahnung haben, finden, man solle einfach umwidmen, dann wäre das Problem vom Tisch. Aber Bewusstsein, das sich auch täglich neu im Stadtraum produziert, wird nicht einfach umgelenkt, nur weil man eine Straße jetzt nach einem Ort benennt.