Klaus Stuttmann zum Anschlag in Paris: „Es braucht nur einen, der durchbrennt“
Tagesspiegel-Karikaturist Klaus Stuttmann kennt es, wegen Zeichnungen bedroht zu werden. Den Missbrauch von Religion will er weiter kritisieren – aber nicht um jeden Preis, wie er im Interview sagt.
Herr Stuttmann, ist Ihre Arbeit nach dem Mordanschlag auf die französischen Kollegen noch dieselbe wie zuvor?
Sie sollte es sein. Aber ich bin mir sicher, dass ich Zeichnungen zum Thema Islam vor dem Herausgeben noch genauer daraufhin prüfe, ob sie zu Eskalation führen oder missbraucht werden können. Wir Karikaturisten müssen natürlich nach wie vor gegen Verbrechen zeichnen, die angeblich im Namen Allahs begangen werden. Ich habe auch dieses Jetzt-erst-recht- Gefühl. Aber letztlich sitzt man dann doch allein in seinen vier Wänden.
Sie kennen ja das Gefühl, bedroht zu werden, seit 2006 eine innenpolitisch gemeinte Karikatur von Ihnen aus dem Tagesspiegel plötzlich zum Affront gegen Iran umgedeutet wurde. Daraufhin schickten Ihnen wildfremde Menschen Morddrohungen und in Teheran randalierte ein Mob vor der deutschen Botschaft.
Trotzdem empfand ich das Bedrohungsgefühl damals nur abstrakt. Ich habe diese Mails nie so ganz ernst genommen. Natürlich wusste ich, dass es nur einen Einzigen braucht, der durchbrennt. Deshalb musste ich ja auch eine Zeitlang abtauchen. Aber ich wollte es nicht so recht wahrhaben, dass jemand Ernst macht. Erst jetzt ist es mir ganz nahegekommen, dass man angreifbar ist.
Haben Sie Angst?
Nein. Aber wenn ich mich beim Thema Islam allzu sehr aus dem Fenster rauslehnen und solche Zeichnungen machen würde wie die ermordeten Kollegen, wäre das vielleicht anders.
Haben Sie schon Zeichnungen vorsorglich weggeworfen oder gar nicht erst gemacht?
Nein. Aber seit den Drohungen gegen mich überlege ich einmal mehr, ob etwas missverstanden werden kann, denn das waren ja Missverständnisse. Bei eindeutigen Botschaften weiß man ja, worauf man sich einlässt. Insofern wussten die Charlie-Hebdo-Kollegen in gewisser Weise, worauf sie sich einlassen – wenn auch natürlich nicht in dieser Brutalität.
Karikatur lebt ja von der Provokation. Kann man Angst haben und trotzdem ein guter Karikaturist sein?
Ja, natürlich. Das ist wie im wahren Leben: Man provoziert jemanden, obwohl man Bammel hat – vielleicht aus Trotz. 2006 habe ich mal eine dieser Zeichnungen von Kurt Westergaard – die mit dem Propheten mit der Bombe – als Bild im Bild wiedergegeben. Diese Zeichnung habe ich aber nach ein paar Stunden wieder von meiner Homepage entfernt, weil es mir doch zu heikel war. Das war es mir einfach nicht wert.
Kurt Westergaard lebt seit jenen Zeichnungen unter Polizeischutz. Sollte man als Karikaturist vom Islam doch lieber die Finger lassen?
Nein. Wenn jemand religiös ist, habe ich das ohnehin nicht zu kritisieren. Aber es bleibt natürlich unsere Aufgabe, den Missbrauch von Religion zu kritisieren.
Sehen Ihre Kollegen im Branchenverein „Cartoonlobby“ das genauso?
Ich weiß, dass einige vorsichtig sind und sich keine Aufregung einhandeln wollen. Ich selbst werde immer mal wieder angesprochen nach dem Motto, du gehst aber ganz schön weit. Dabei empfinde ich das gar nicht so, gerade auch im Vergleich zu den ermordeten Kollegen.
Haben Sie sich selbst Tabus auferlegt?
Mir ist am wichtigsten, mich nie über Opfer lustig zu machen. Ich zeichne auch ungern Blut und Gemetzel. Man sieht schon so viele Schrecklichkeiten auf Fotos, die muss ich nicht auch noch zeichnen. Die Enthauptungen durch die IS-Terroristen sind so ein Fall: ein naheliegendes Thema, aber mir ist das zu brutal. Es ist kein Tabu, aber ich tue es nicht.
Ist Ihnen nach dem Mord an den Kollegen eigentlich eher nach Reden oder nach Schweigen zumute?
Es sieht vielleicht nicht so aus, aber eigentlich ist mir eher nach Schweigen.