Nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo": Wenn Kunst und Satire polarisieren
Der Anschlag auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ ist der bislang blutigste Angriff auf die Meinungsfreiheit. Aber seit langem werden Künstler und Satiriker angefeindet, wenn sie an religiöse und gesellschaftliche Tabus rühren.
Der blutige Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ hat weltweit Empörung ausgelöst. Die Täter gingen geplant und gezielt gegen das Blatt vor, das in der Vergangenheit nicht nur mit zugespitzten islamkritischen Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht hat.
Was zeichnet die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ aus?
„Submission – Unterwerfung“ hieß der Dokumentarfilm über die Unterdrückung islamischer Frauen, den der niederländische Regisseur Theo van Gogh 2004 gedreht hatte. Nach dessen Ausstrahlung wurde van Gogh am 4. November 2004 von einem islamischen Fundamentalisten ermordet. „Soumission – Unterwerfung“ heißt auch das am gestrigen Mittwoch in Frankreich erschienene Buch von Michel Houellebecq, in dem Frankreich 2022 von einem muslimischen Präsidenten regiert wird, der die Scharia einführt. Houellebecqs Konterfei ist auf dem Cover der am Mittwoch herausgekommenen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ abgebildet, dessen Mitarbeiter nun zum Opfer eines der brutalsten Anschläge auf eine Redaktion seit Erfindung der Pressefreiheit geworden sind.
Im Satire-Magazin findet sich auch eine Karikatur des nun mit 46 Jahren ermordeten Zeichners und Chefredakteurs Stéphane Charbonnier alias Charb, die einen Terroristen mit Kalaschnikow zeigt. Der Text: „Immer noch keine Attentate in Frankreich? – Abwarten! Bis Ende Januar bleibt Zeit für Wünsche.“ „Submission“, „Soumission“, das Attentat auf „Charlie Hebdo“: So kulminiert auf makabre Weise die Geschichte der Anschläge auf Islamkritiker, die 1989 mit der Fatwa gegen Salman Rushdie begann, gegen den britisch-indischen Autor der „Satanischen Verse“. Seitdem lautet die Frage immer wieder, was Kunst und Satire dürfen.
„Charlie Hebdo“ ist zu allen immer rotzfrech gewesen und karikierte keineswegs nur den Islam. Intelligent, raffiniert, drastisch oder subversiv und immer unerschrocken knöpft sich das Magazin die Autoritäten und Tabuthemen der westlichen Welt vor. Auf diese Weise verteidigt es den Laizismus gegen religiöse Fundamentalisten und hält den vorauseilend Furchtsamen in Sachen Meinungsfreiheit den Spiegel vor. Tenor: „Wenn ihr Euch nicht totlacht, gibt es 100 Peitschenhiebe.“
„Charlie Hebdo“ ist das enfant terrible unter den Satire-Zeitschriften; seit seiner Gründung 1992 reißt das Blatt Witze über den Papst und Mohammed, über die Schoah und die Scharia, über François Hollande und die gesamte französische Politik. Wiederholte Drohungen, ein Brandanschlag 2011 – die Redaktion ließ sich nicht einschüchtern. 2006 druckte das Magazin als eins der wenigen europäischen Medien jene dänischen Mohammed-Karikaturen nach, deren Schöpfer Kurt Westergaard seinerseits mit dem Tode bedroht worden war. 2012 veröffentlichte „Charlie Hebdo“ erneut Mohammed-Karikaturen, als das Trash-Video „Innocence of Muslims“ zu gewaltsamen Protesten in der gesamten arabischen Welt führte – mit über 30 Todesopfern. Die Website der Zeitschrift wurde gehackt, wieder gab es Drohungen. 2013 publizierte das Magazin ein eigenes ComicHeft: „Das Leben Muhammads“, 64 Seiten, von Charb gezeichnet.
Warum fühlen sich Muslime durch Karikaturen und Bilder provoziert?
Gott als Witzfigur, der Prophet als kleines gelbes Männchen mit Kulleraugen – jeder religiöse Mensch, jegliche Macht, jede Minderheit kann sich von Karikaturen provoziert fühlen. Die Grenzüberschreitung liegt schließlich im Wesen der Satire als kulturell sanktioniertem, mehr oder weniger aggressivem Tabubruch. Auch die christliche Welt kennt zahllose Blasphemie-Prozesse.
Oft ist von einem Bilderverbot im Islam die Rede, vor allem in Bezug auf Mohammed. Religionswissenschaftlich ist dies jedoch umstritten. Der Überlieferung zufolge wollte der Prophet Mohammed keine Abbildungen von sich, vermutlich weil er die Anbetung Allah vorbehalten wissen wollte. In muslimischen Publikationen wird er ohne Gesicht gezeigt, verschleiert oder als Wolke. Ein generelles, im Koran begründetes Bilderverbot existiert jedoch nicht. „In der turko-iranischen Tradition und auf dem indischen Subkontinent gab es immer Mohammed-Darstellungen, auch von seiner Tochter Fatimah, dem Schwiegersohn Ali und seinen Enkeln“, sagte die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer anlässlich der Debatte um das Video „Innocence of Muslims“ 2012. Es gebe nicht den Islam, sondern „unterschiedliche kulturelle Sensibilitäten, Ausdrucksweisen und Tabus“.
In welchen Fällen ist das bisher in Gewalt umgeschlagen?
Bei der Fatwa von Ajatollah Khomeini gegen Salman Rushdie wurde 1991 der japanische Übersetzer der „Satanischen Verse“ Hitoshi Igarashi erstochen. Der New Yorker Verlag erhielt eine Bombendrohung, bei Demonstrationen in Indien und Pakistan gab es Tote. Der Autor des Romans, dessen Protagonist eine obszöne Allegorie von Mohammed albträumt, wurde bewacht und musste sich über Jahre an geheimen Orten aufhalten.
Nach der Ermordung des niederländischen Lowbudget-Filmers Theo van Gogh 2004 kam es 2005 zum dänischen Karikaturenstreit. Auf den 70-jährigen Zeichner Westergaard wurde ein Mordanschlag verübt, den er nur knapp überlebte. Dänische Botschaften in islamischen Ländern wurden gestürmt, bei Ausschreitungen gab es zahlreiche Tote in der islamischen Welt. Ähnliches geschah 2012, als der 14-Minuten-Trailer „Innocence of Muslims“ im Internet auftauchte.
Es handelte sich weniger um einen Film als um eine wirre Wüstenbilder-Montage mit einem blutrünstigen falschen Propheten samt angeklebtem Bart. Etliche Protestierer in der islamischen Welt kannten das Video gar nicht, so wie viele 2005 die Mohammed-Karikaturen nicht kannten oder 1989 Rushdies Roman. Oft genügte das bloße Wissen, da habe jemand den Propheten beleidigt.
Rushdie hatte sich 1989 angesichts des auf ihn ausgesetzten Kopfgeldes – eine Million Dollar – zunächst für die „Satanischen Verse“ entschuldigt, was er jedoch bald als Fehler bezeichnete. Westergaard lehnte jede Entschuldigung ab.
Wie wurde darauf reagiert?
In allen Fällen lösten die Anschläge und Attentate Angst aus. Und heftige Debatten über die Frage, ob es nicht besser sei, auf die religiösen Gefühle der Muslime Rücksicht zu nehmen, Bücher nicht zu drucken, Filme zu verbieten, Bilder nicht zu veröffentlichen. So etwa beim Berliner Streit um die von der Deutschen Oper zunächst abgesetzte „Idomeneo“-Inszenierung, in der Gott, Buddha und Mohammed mit abgeschlagenem Kopf auftauchten.
Auch ließ die Solidarität mit den Bedrohten immer wieder zu wünschen übrig: So weigerte sich British Airways lange, Salman Rushdie zu befördern. Abgewogen wurden Freiheit gegen Sicherheit, Meinungsfreiheit gegen Religionsfreiheit. Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani nennt das Pariser Attentat denn auch einen Anschlag auf ein Europa, das allen gleiche Rechte zuspricht. „Tun wir, was den Tätern am meisten missfällt und den Opfern am meisten entspricht: Bleiben wir frei.“