Gedenkfeiern zum Mauerfall: Erzählt endlich von der Zukunft!
Adriana Lettrari vom Netzwerk „Dritte Generation Ost“ über die Erinnerung ihrer Eltern 25 Jahre danach – und was ihr daran fehlt. Ein Kommentar.
Schon jetzt lesen wir fast jeden Tag Sonderformate zu 25 Jahren Friedlicher Revolution, auch hier im Tagesspiegel. Wir haben die Gelegenheit, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, die das Geschehen der Jahre 1989/90 in Erinnerung bringen. Die Bilder und Events beleuchten die Ereignisse aus einer uns bekannten Perspektive. Diese ist aus Sicht meiner, also der jüngeren ostdeutschen Generation etwas statisch geworden und versäumt eine tiefer gehende sowie differenzierte Auseinandersetzung, die in konkreten Zukunftsentwürfen mündet.
Die bisherigen Feierlichkeiten sehen bisher so aus: Es gibt bewegende Bilder und Geschichten unserer Eltern, welche vor dem Mauerfall gelungene und misslungene Fluchtversuche unternahmen, sich als Bürgerrechtler engagierten oder am 9. November 1989 zwischen Euphorie und Weltuntergangsstimmung taumelten. Auch die ersten öffentlichen Veranstaltungen haben in altbekannten Formaten stattgefunden, wie das Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit in Hannover. Zelebriert wurde hier die Einheit in Vielfalt mit Musik- und Bratwürstchenprogramm. Ähnlich war es am 3. Oktober in Berlin am Brandenburger Tor.
Die drängendste Frage steht am Rand der Feierlichkeiten - wenn überhaupt
Selbst der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 nimmt die traditionelle Erzählung auf: Beschrieben werden in vielen eindrucksvollen Daten die wirtschaftlichen Errungenschaften der letzten 25 Jahre in Ostdeutschland. Eingeräumt werden einzelne notwendige Justierungen für die Zukunft, aber die Frage nach der kulturellen inneren reflektierten Einheit hält der Bericht gleich gar nicht mehr für thematisierungswürdig. Unter dem Stichpunkt „Soziale Einheit“ werden die Rentenfrage und Wanderungsaspekte bearbeitet. Doch die drängendste Frage wird, wenn überhaupt, nur am Rande der Feierlichkeiten stehen: Was ist von der „Revolution“ eigentlich geblieben? Welches Momentum bedeutete 1989/90 konkret für die gemeinsame zukünftige bundesdeutsche Entwicklung? Ist die geistige Wende in allen Teilen der Bundesrepublik vollzogen? Welche reflektierten Versäumnisse werden eingestanden, welche Errungenschaften können in der Zukunft genutzt werden?
Die Formate der Feierlichkeiten, organisiert von unseren Eltern, bleiben uns, der jüngeren Generation in der Bundesrepublik, bislang die tatsächlich kritische Analyse der inneren deutschen Einheit und eine Antwort auf konkrete Handlungsschwerpunkte schuldig. Dieses zu beginnen, wäre tatsächlich praktizierter Generationendialog. Zeigt sich hier die Angst vor dem kreativen Neuen im Umgang mit Aufarbeitung und Zukunftsgestaltung entlang anderer Denk- und Erfahrungsdimensionen?
25 Jahre Feierlichkeiten und ein Trugschluss
Dabei wäre gerade Berlin als Zentrum des neuen Denkens der Ort, an dem kreatives, mutiges Handeln möglich wäre: Warum gab es auf dem Bürgerfest keinen Tiefgang, etwa in Biografieworkshops? Warum werden medial nicht Westdeutsche aus Heidelberg interviewt, für die bis heute der Mauerfall, wenn überhaupt, ein Happening darstellt, aber ansonsten der Wimbledon-Sieg von Boris Becker 1985 den größeren Einfluss auf ihr Leben hatte? Warum sagt der Jahresbericht zum Stand der Einheit nichts darüber, dass unsere ostdeutschen Eltern noch immer zu wenig im öffentlichen politischen Raum zu hören oder als Führungskräfte unterrepräsentiert sind?
Hier wird ein Trugschluss des bisherigen Designs der Feierlichkeiten zu 25 Jahren Mauerfall sichtbar: Wenn alte Geschichten in neuen Bildern produziert und damit erinnert werden, sollte jedoch mit wachsendem Abstand zu den Ereignissen der Fokus erweitert werden. Andernfalls vergeben wir in den nächsten Wochen und Monaten die Möglichkeit, eine nach vorne gerichtete, innovative Erzählung eines vereinigten Deutschlands in der Zukunft zu schreiben.
Adriana Lettrari