„Er hat die Probleme nicht angesprochen“: Erneute Proteste nach Rede von Gorillas-Chef
Der Gorillas-Geschäftsführer Kağan Sümer sprach per Videokonferenz zu Hunderten Beschäftigten. Doch schon am Abend gab es erneut eine Blockadeaktion.
Mithilfe der Videokonferenz-Software Zoom hat sich der Gorillas-Chef Kağan Sümer am Freitag an mehrere Hundert Beschäftigte seines Unternehmens gewendet. Seit einigen Tagen wird der Express-Bringdienst, den Sümer erst 2020 gemeinsam mit Jörg Kattner gegründet hat, von wilden Streiks erschüttert.
Doch die Rede beeindruckte die streikenden Fahrradkurier:innen offenbar nicht. Schon am Abend gab es eine neue Blockade in Kreuzberg.
“Die letzten Tage haben mich zutiefst erschüttert”, sagte Sümer auf Englisch. Es sei ihm persönlich wichtig, dass alle Beschäftigten stolz auf ihr Unternehmen sein könnten. Insgesamt beschäftige Gorillas 6000 Rider, also Fahrradkuriere. Sie stellten die Basis der gesamten Organisation dar.
400 ehemalige Rider seien inzwischen in anderen Bereichen des Unternehmens tätig, etwa in der Kundenbetreuung oder im Personalmanagement. Den Vorwürfen, Gorillas würde die Rider unfair behandeln, widersprach Sümer energisch.
Solche Behauptungen kämen “von außen”. Im Internet würden Unwahrheiten verbreitet. Von Leuten außerhalb der Firma, die mit dem Fall Politik machen wollten. “Wir sind kein politisches Unternehmen”, sagte er.
Umstrittene Kündigung eines Riders
Kağan Sümer ging auch auf den Fall des Fahrers Santiago ein, dessen Entlassung die Proteste ausgelöst hatte. Santiago habe während seiner sechsmonatigen Probezeit mehrfach gegen Verhaltensregeln für Rider verstoßen. Zum Beispiel sei er deutlich zu spät zur Arbeit erschienen.
Daraufhin sei er zunächst verwarnt und dann schließlich entlassen worden. Das "Gorillas Wokers Collective", das die Proteste organisiert, widerspricht dieser Darstellung: Es habe keine Verwarnung gegeben.
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Sümer distanzierte sich auch von Unternehmen, die mit unsicheren Rahmenbedingungen und formal unabhängigen Selbständigen arbeiten: "Wir sind kein Teil der Gig Economy. Wir stellen unsere Rider fest an.” Dass wegen des rasanten Ausbaus des Unternehmens nicht alles glatt läuft, räumte Sümer ein. Doch das sei kein Grund für Proteste. “Wenn ihr etwas ändern wollt, dann kommuniziert.”
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Doch die streikenden Rider und ihre Unterstützer:innen scheint die Rede nicht überzeugt zu haben. Bereits am Freitagabend wurde erneut ein Lagerhaus blockiert, diesmal in der Muskauer Straße in Kreuzberg.
Die Rede des Chefs sei "enttäuschend" gewesen, sagt Jamil, der als Rider in einem anderen Lagerhaus tätig ist. "Er hat die Probleme nicht angesprochen." Eigentlich heißt Jamil anders, aber seinen echten Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen.
Mit dem Rad zu allen Lagerhäusern
Dass Sümer zu Kommunikation aufruft, empfindet der Rider als blanken Hohn. Wenn er ein Problem anspreche, würde das lokale Management auf die Führungsebene verweisen. Doch die sei für die normalen Beschäftigen nicht zu erreichen. Außerdem gebe es viele Gerüchte und eine Kultur der Intransparenz im Unternehmen, sagte er.
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In seiner etwa 15-minütigen Rede hat Kağan Sümer auch einen eigenwilligen Plan vorgestellt. Er wolle demnächst mit dem Rad zu allen Lagerhäusern in Deutschland fahren. Dort werde er die Beschäftigten treffen, um sie für die gemeinsame Sache des Radfahrens begeistern, sagte er.
Jamil schüttet mit dem Kopf. Der Chef solle die Forderungen der Streikenden erfüllen. Die Arbeitsverhältnisse seien zum Teil "Ausbeutung". Wenn die Führungsebene die Missstände nicht abstelle, gingen die Proteste eben weiter, sagte er.
Die Gruppe “Gorillas Workers Collective” machte sich auf ihrem Twitter-Account über den Sprechstil des Chefs lustig: “Was waren eure liebsten Bingokarten-Momente in der Pressekonferenz unseres geliebten Führers?”, fragte der Account. Als Antworten waren zum Beispiel “Ich bin super offen für Feedback” und “Wir sind eine Familie” auswählbar. Am Nachmittag hatten bereits fast 300 User:innen abgestimmt.
"Das Arbeitsklima ist kollegial."
Allerdings sind nicht alle Beschäftigten von Gorillas unzufrieden mit den Verhältnissen im Unternehmen. Bei den Protestaktionen gab es wiederholt Diskussionen mit Leuten, die weiterarbeiten wollten und die die wilden Streiks ablehnten.
Ein Büroangestellter sagt dem Tagesspiegel: “Viele Leute sind zufrieden bei Gorillas.” Das Unternehmen werde in vielen Medienberichten “ungerecht” dargestellt. "Das Arbeitsklima ist kollegial." Es sei einfach, Karriere zu machen. “Generell muss man unten anfangen, aber kann sich sehr schnell hocharbeiten."
Die Proteste treffen das Unternehmen in einer heiklen Phase. Einem Bericht des Handelsblatts zufolge haben mehrere Topmanager das Start-up in den vergangenen Monaten verlassen. Außerdem seien wichtige Softwarekomponenten wie das Warenwirtschaftssystem noch nicht ausgereift.
Gorillas gibt momentan viel Geld aus für eine aufwändige Werbekampagne. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass der Konkurrenzdruck wächst. Der Mitbewerber Flink hat vor Kurzem eine Zusammenarbeit mit Rewe verkündet und Millionen von Investoren eingesammelt. Außerdem stehen sowohl Delivery Hero als auch das türkische Start-up Getir kurz davor, mit eigenen Express-Lieferdiensten in den deutschen Markt einzutreten.
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