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Unter Druck: Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).
© Carsten Koall/dpa
Update

Förderaffäre um Flüchtlingsprojekt „Berlin hilft“: Ermittlungen wegen Untreue-Verdachts gegen Sozialsenatorin Breitenbach

Es war politisch gewollt: Mit Zuschüssen von 40.000 Euro im Jahr bestückte ein Flüchtlingsprojekt vor allem eine Website. Fordert das Land das Geld nun zurück?

Es geht um bis zu 40.000 Euro im Jahr, Tricksereien mit den Fördergeldern für die Flüchtlingshilfe - und um Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Breitenbach und gegen ihren Staatssekretär Daniel Tietze (Linke) wegen des Verdachts der Untreue eröffnet. Das sagte Breitenbach am Donnerstagmorgen im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses. Sie sei von der Staatsanwaltschaft über die Ermittlungen informiert worden.

In dem Verfahren geht es um das Projekt „Berlin hilft“, mit dem Flüchtlinge und Migranten in Berlin vernetzt werden sollen. Das Projekt wird seit Jahren über das Stadtteilzentrum Steglitz abgewickelt. Breitenbach und Tietze hatten die Auszahlung von Fördergeld für das Projekt „Berlin hilft“ gegen den Rat und den Protest der eigenen Fachleute und trotz Hinweisen auf Mängel und Straftaten durchgesetzt.

Auslöser für die Ermittlungen waren Berichte des Newsletters Checkpoint. und des Tagesspiegel. Daraufhin hatte der AfD-Abgeordnete Hanno Bachmann Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt.

Weil Breitenbach und Tietze direkt involviert und „befangen waren“, ist Staatssekretär Alexander Fischer (Linke) mit der erneuten Überprüfung der Förderaffäre betraut worden. Es ließ einen Revisionsbericht erstellen und hat nun seinen Abschlussbericht vorgelegt. „Wir werden diesen prüfen und die notwendigen Konsequenzen ziehen“, sagte Breitenbach im Ausschuss.

Die Berliner Sozialverwaltung will Fördergelder für das Projekt „Berlin hilft“, mit dem Flüchtlinge und Migranten in Berlin vernetzt werden sollen, nun zurückfordern. Nach Tagesspiegel-Informationen sind die Prüfer zu dem Ergebnis gekommen, dass der Verein jahreslang zu Unrecht Fördergelder bekommen hat. Für das Jahr 2020 wird die Förderzusage in Höhe von 20.000 Euro aufgehoben. Auch für die Jahre 2018 und 2019, als das Projekt jeweils 40.000 Euro bekam, prüft das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) eine Rückforderung. Intern wird damit gerechnet, dass auch für diese Jahre die Gelder zurückverlangt werden müssen.

Zudem sieht sich die Sozialverwaltung gezwungen, die Staatsanwaltschaft darüber zu informieren, dass bei der internen Prüfung Hinweise auf mögliche Straftaten erkannt worden sind. Es geht um den Verdacht des Subventionsbetrugs und Steuervergehen.

Sozialverwaltung will Stadtteilzentrum Steglitz untersuchen

Als Konsequenz aus der Förderaffäre will die Sozialverwaltung zudem das Stadteilzentrum Steglitz näher untersuchen. Es hat auch von anderen Förderprojekten profitiert und soll nun einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen werden. Bis zurück ins Jahr 2017 soll untersucht werden, wie das Stadtteilzentrum Fördergelder verwendet und abgerechnet hat.

Grundsätzlich will die Sozialverwaltung aber an der Förderung von Projekten der Flüchtlingshilfe festhalten. Dafür sollen nun neue Richtlinien erarbeitet werden, um die Förderung rechtssicher zu machen.

Dass es überhaupt soweit kommen musste, lag auch an der Spitze der Sozialverwaltung. Bereits seit 2019 ist der Fall untersucht worden, zunächst beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Dessen Präsident Alexander Straßmeir wollte die Auszahlung der Fördergelder schon damals - Ende 2019 - stoppen. Doch Staatssekretär Daniel Tietze (Linke) wies den Behördenleiter an, das Geld zu überweisen. Straßmeir protestierte und erklärte, dass er die Weisung für rechtswidrig hält. Dennoch musste er das Geld auszahlen.

Staatssekretär Tietze holte sich Unterstützung der Senatorin

Zwar hatte er offiziell remonstriert und damit deutlich gemacht, dass er den Förderbescheid nicht unterzeichnen kann und darf, auch weil „ein Verstoß gegen Bestimmungen der Landeshaushaltsordnung gemäß Paragraf 48 Beamtenstatusgesetz zu einer Schadensersatzpflicht führen kann.“ Auch anderen Mitarbeiter des LAF fanden deutlichen Hinweise auf mögliche Straftaten.

Am Ende musste Straßmeir den Förderbescheid dennoch unterzeichnen – deshalb wird auch gegen ihn wegen Untreueverdachts ermittelt. Am Ende hatte Straßmeir dem Druck direkt aus der Spitze der Senatsverwaltung nachgegeben. Der Staatssekretär hatte sich dafür sogar Verstärkung von Senatorin Breitenbach geholt.

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Tietze bestand stets darauf, dass das Projekt auf jeden Fall förderwürdig sei, weil es der Vernetzung von Flüchtlingen diene – und weil das Land Berlin das Engagement von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe fördere. In Kooperation mit dem Stadtteilzentrum Steglitz betreibe das Netzwerk „Berlin hilft" seit 2016 ein Online-Angebot zur Beratung, Information und Hilfe für Geflüchtete. „Staatssekretär Tietze hat in Anerkennung der ehrenamtlichen und für alle sichtbaren Flüchtlingsarbeit des Netzwerks auf eine zügige und positive Bearbeitung politisch entschieden, die Zuwendung zu bewilligen“, hieß es im Herbst auf Anfrage.

Beiträge zur Flüchtlingspolitik – meist aus politisch linkem Blick

„Berlin hilft“ ist nicht mit zivilgesellschaftlichen Flüchtlingsinitiativen wie „Moabit hilft“ zu verwechseln. Mit den 40.000 Euro pro Jahr ist vor allem eine Internetseite bestückt worden. Dort fanden sich aber überwiegend Beiträge zur Flüchtlingspolitik oder anderen Themen – meist aus politisch linkem Blick. Ratschläge für Flüchtlinge zur Bewältigung des Alltags in Berlin mussten Besucher der Internetseite erst mühsam suchen.

Die internen Prüfer hatten klare Hinweise auf Steuervermeidung und Verstöße gegen Dokumentationspflichten und Vergaberegeln. Aus dem Tagesspiegel vorliegenden Akten geht hervor, dass das Stadtteilzentrum das Fördergeld an eine Person weitergereicht hat, die die Internetseite bestückt hat. Die Rechnungen für diese Dienstleistung schickte jedoch ein Verwandter des Mannes an das Stadtteilzentrum. Das Honorar sollte sodann auf das Konto einer anderen Verwandten überwiesen werden.

Zudem sind die Rechnungen, die das Stadtteilzentrum auszahlte, so zwischen dem Betreiber der Internetseite und seinen Verwandten gestückelt worden, dass der Dienstleister als Kleinunternehmer keine Umsatzsteuer ausweisen musste.

Auch die interne Prüfgruppe der Innenrevision in der Sozialverwaltung sichtete die Akten und fand „deutliche Hinweise darauf, dass die Zuwendung nicht rechtmäßig zustande gekommen ist“. Eine nachträgliche Bewilligung war sogar unzulässig. Die Prüfer und deren vorgesetzte Abteilungsleiterin widersprachen Staatssekretär und Senatorin.

Nachsicht mit dem Stadtteilzentrum – auf politischen Wunsch

LAF-Präsident Straßmeir wurde im September 2020 von der Innenrevision der Senatsverwaltung aufgefordert, „mögliche Ansatzpunkte für eine Rückforderung der Zuwendungsmittel“ zu finden. Auch der Rechnungshof wurde über den „Verdacht einer Unregelmäßigkeit“ informiert. Der sah aber keinen Bedarf, selbst einzugreifen, weil aus seiner Sicht die Beamten in der Sozialverwaltung den Fall hartnäckig genug bearbeitet haben.

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Auf politischen Wunsch der Sozialverwaltung wurde mit dem Verantwortlichen beim Stadtteilzentrum bis zuletzt stehts nachsichtig umgegangen. Immer wieder wurden die Empfänger des Fördergelds darauf hingewiesen, was sie ändern müssten. Es ging um Steuerangaben, um eine Dokumentation, wie es zur Vergabe der Dienstleistung gekommen ist, und andere Vorschriften.

Doch aus den Prüfakten geht klar hervor, dass sich der Fördergeldempfänger geweigert und gewehrt hat. Einsicht zeigte er jedenfalls lange nicht. Das könnte sich ändern, wenn jetzt kein Geld mehr fließt für das Projekt und möglicherweise sogar Geld zurückgefordert wird. Die Internetseite wurde schon angepasst und grundlegend verändert: Statt politischer Debatten und Beiträge sind nun einige wenige Servicetexte zu finden.

AfD: Breitenbach nicht mehr haltbar, wenn sie Vorwürfe nicht entkräften kann

Der Leiter des Stadtteilzentrum Steglitz sagte, die Entwicklungen seien bedauerlich. Er verwies darauf, dass auf politischen Wunsch der Sozialverwaltung im Zuge der Flüchtlingskrise für „Berlin hilft“ ein Dienstleistungsvertrag mit dem Netzwerk geschlossen worden sei. Es sei darum gegangen, dass „Berlin hilft“ erhalten und unterstützt werden sollte. Um eine Ausschreibung sei es dabei nie gegangen. Erst später habe das LAF rückwirkend darauf gepocht.

Der AfD-Abgeordnete Hanno Bachmann, der die Strafanzeige gegen Breitenbach und Tietze erstattet hatte, sagte am Donnerstag: „Die Ermittlungen gegen Senatorin Breitenbach belegen erneut das gestörte Verhältnis des Senats und speziell der Senatoren der Linken zum Rechtsstaat."

Rechtstreue scheine linken Senatsmitgliedern fremd zu sein, sagte Bachmann. „Untreue zu Lasten der Steuerzahler ist kein Kavaliersdelikt. Sollte Breitenbach die Vorwürfe nicht unmittelbar entkräften können, ist sie politisch nicht haltbar. Senatoren, gegen die staatsanwaltlich ermittelt wird, sind nicht mehr regierungsfähig.“

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