„Politisch entschieden“: Staatssekretär vergab Gelder trotz „erheblicher Bedenken“ an „Berlin hilft“
Staatssekretär Tietze wies „umgehend“ 40.000 Euro für ein Flüchtlingshilfe-Projekt an. Der Landesamtschef protestierte, die Verwaltung fordert das Geld zurück.
Im Bereich der Senatssozialverwaltung hat es offenbar Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Zuwendungen gegeben. Das geht aus einem internen Schriftwechsel zwischen der Sozialverwaltung und dem Präsidenten des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hervor. Die Unterlagen, die dem Checkpoint vorliegen, bergen politischen Sprengstoff.
Trotz erheblicher Bedenken im LAF hatte Staatssekretär Daniel Tietze den Landesamt-Präsidenten Alexander Straßmeir am 10. Dezember 2019 schriftlich angewiesen, „umgehend“ 40.000 Euro an das Stadtteilzentrum Steglitz zu überweisen. Das Geld sollte an ein Projekt des Netzwerks „Berlin hilft“ für Flüchtlinge gehen.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2019 teilte Straßmeir, der bis Ende 2016 selbst Staatssekretär in der CDU-geführten Justizverwaltung war, dem Linken-Politiker Tietze mit: „Ich halte die von Ihnen mir am 10. Dezember erteilte Weisung (…) für rechtswidrig.“
Straßmeir erklärt seine Pflicht nach Paragraf 36 Beamtenstatusgesetz, Bedenken gegen eine Anordnung unverzüglich geltend zu machen. „Infolgedessen darf ich diese nach dem Beamtenrecht nicht ausführen“.
Das Schreiben an Tietze trägt den offiziellen Betreff „Remonstration“ und endet mit dem Hinweis: „Ich mache Sie daher darauf aufmerksam, dass ein Verstoß gegen Bestimmungen der Landeshaushaltsordnung gemäß Pararaf 48 Beamtenstatusgesetz zu einer Schadensersatzpflicht führen kann.“ Straßmeir bemängelt etwa die „nachträgliche rückwirkende Bewilligung des Projekts“.
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Kurz nach Silvester suchte sich Tietze Verstärkung: Seine Antwort vom 6. Januar 2020 trägt als Absender nicht mehr den Titel „Der Staatssekretär“, sondern: „Die Senatorin“, Elke Breitenbach (Linke). Tietze schreibt, er nehme die Remonstration „zur Kenntnis“, bleibt aber „nach Abstimmung mit der Senatorin“ bei der Anweisung, das Geld auszuzahlen: „Bitte informieren Sie mich über die Erledigung der Anweisung. Eine Kopie des Schreibens geht an das Büro der Senatorin.“
Nun weitet sich die Affäre aus. Straßmeir erhielt ein neues Schreiben der Senatsverwaltung vom 15. September 2020 („persönlich / vertraulich“, nachrichtliche Kopie an den Staatssekretär). Unterzeichnet ist das Dokument von Dagmar Mittler, Abteilungsleiterin Zentraler Service, zuständig für Finanzen, Personal, Justiziariat und Innenrevision.
Abteilungsleiterin widerspricht ihrem Staatssekretär
Die frühere Präsidentin des Amtsgerichts Mitte stellt mit Bezug auf die Untersuchung der „Prüfgruppe ZS A 3“ fest: Es bestünden „deutliche Hinweise darauf, dass die Zuwendung nicht rechtmäßig zustande gekommen ist. (…) Schon die nachträgliche Bewilligung von Zuwendungsmitteln im Jahr 2020 für eine für 2019 beantragte Tätigkeit ist unseres Erachtens. unzulässig.“ Mit anderen Worten: Die Abteilungsleiterin widerspricht ihrem Staatssekretär – und der Senatorin.
Mittler hält es für fraglich, ob alle Auflagen und Bedingungen erfüllt wurden – und ob die Erfüllung von Zweck und Ziel des Projekts nachprüfbar ist. LAF-Präsident Straßmeir soll nun „mögliche Ansatzpunkte für eine Rückforderung der Zuwendungsmittel“ ermitteln. Mittler fordert den Präsidenten zudem auf, dem Rechnungshof den „Verdacht einer Unregelmäßigkeit“ mitzuteilen.
Auch 2018 soll es ähnliche Verstöße gegeben haben
Die Prüfgruppe hat sich auch die Abrechnung 2018 vorgenommen – das Ergebnis: „Hier stellt sich der Sachverhalt im Wesentlichen analog zu dem oben Geschilderten dar.“ Ein Sprecher der Sozialverwaltung bestätigte die Vorgänge. Der Staatssekretär habe die Zahlung angewiesen, weil das Land das Engagement von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe fördere.
In Kooperation mit dem Stadtteilzentrum Steglitz betreibe das Netzwerk „Berlin hilft" seit 2016 ein Online-Angebot zur Beratung, Information und Hilfe für Geflüchtete. „Staatssekretär Tietze hat in Anerkennung der ehrenamtlichen und für alle sichtbaren Flüchtlingsarbeit des Netzwerks auf eine zügige und positive Bearbeitung politisch entschieden, die Zuwendung zu bewilligen“, sagte der Sprecher.
„Der Zuwendungsnehmer wurde in der Abwicklung der Zuwendung für das Jahr 2018 beraten, um die Umsetzung des Bewilligungsbescheides zukünftig zu verbessern. In der aktuellen Prüfung sind Mängel zu Tage getreten, die vorher nicht ersichtlich waren.“ Der Vorgang sei beim Rechnungshof angezeigt worden.
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