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Zelimkhan K. könnte einem Auftragsmord zum Opfer gefallen sein.
© Foto/ Palitra News / Tsp

Nach Hinrichtung in Berlin-Moabit: Ermittler prüfen Mord im Auftrag Moskaus oder Kadyrows

War der in Moabit erschossene Zelimkhan K. islamistischer Gefährder oder Feind Moskaus? Die Spuren führen weit zurück – bis in den Tschetschenien-Konflikt.

Bei dem Mord an einem 40-jährigen Georgier in Berlin-Moabit prüfen die Ermittler nach Tagesspiegel-Informationen neben Verbindungen zur organisierten Kriminalität auch einen politischen Hintergrund. Zur Identität des Mannes will sich die Staatsanwaltschaft nicht äußern. Allerdings hat das „Human Rights Education and Monitoring Center“ – kurz EMC – in der georgischen Hauptstadt Tiflis die Identität des Mannes mitgeteilt.

Demnach handelt es sich bei dem Opfer um Zelimkhan K., einen Georgier und Angehörigen der tschetschenischen Minderheit der Kisten in seinem Heimatland. Er war im zweiten Tschetschenien-Krieg als Kämpfer aktiv, ihm soll eine Einheit von hundert Kämpfern unterstanden haben.

Allerdings war er auch für das georgische Innenministerium tätig und soll zwei Attentate überlebt haben. Um sich und seine Familie zu schützen, soll er sich in Deutschland aufgehalten haben.

Seine Spuren führen weit zurück in die Kaukasus-Konflikte, in die Kriege und Kämpfe gegen die Hegemonial-Bestrebungen Russlands, aber auch in die zunehmende religiöse Radikalisierung in der Region.

Im zweiten Tschetschenien-Krieg kämpfte der Georgier Zelimkhan K. gegen die Russen.
Im zweiten Tschetschenien-Krieg kämpfte der Georgier Zelimkhan K. gegen die Russen.
© Foto/ Palitra News / Tsp

Sollte mit dem Mord am Freitag eine alte Rechnung beglichen, ein Mann hingerichtet werden, der in der Grauzone zwischen Islamisten und Geheimdiensten tätig war? Oder ging es um Auseinandersetzungen im Islamisten-Milieu, um Drogenhandel, einer im Milieu üblichen Art der Geldbeschaffung?

Mord in Berlin-Moabit: 49-jähriger Verdächtiger ist russischer Staatsbürger

Zelimkhan K. war am Freitag im Kleinen Tiergarten in Moabit unterwegs, angeblich wollte er zum Freitagsgebet. Er soll in Moscheen verkehrt haben, in denen Islamisten aus dem Kaukasus aktiv sind. Gegen 11.58 Uhr wurde er von einem Mann durch zwei Kopfschüsse getötet.

Der mutmaßliche Täter war mit einem Fahrrad unterwegs, die Polizei fasste ihn kurz nach der Tat. Zuvor soll er die Pistole und sein Fahrrad in die Spree geworfen haben. Bei ihm wurde eine größere Summe Bargeld gefunden, die Pistole soll mit einen Schalldämpfer ausgerüstet gewesen sein.

Der Tatort war am Freitag großräumig abgesperrt.
Der Tatort war am Freitag großräumig abgesperrt.
© REUTERS

Der 49-Jährige ist russischer Staatsbürger, Tschetschene und sitzt in Untersuchungshaft. „Er hat sich zum Sachverhalt nicht eingelassen“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Sonntag.

Gegen einen politisch angeordneten Mordanschlag, eine gezielte Hinrichtung, spricht nach Ansicht von Experten die Art, wie die Tat begangen wurde – am helllichten Tag vor zahlreichen Zeugen. Der russische Geheimdienst arbeite sonst mit Gift oder Sprengstoff, hieß es. Andererseits könnte das Vorgehen auch als Signal gedeutet werden – dass Gegner überall in Angst leben müssen.

Der Tatort selbst wurde zunächst mit einem Zelt abgeschirmt
Der Tatort selbst wurde zunächst mit einem Zelt abgeschirmt
© REUTERS

Die Sicherheitsbehörden hatten K. zunächst als Islamisten eingestuft. Der Berliner Staatsschutz habe ihn anfangs als Gefährder bewertet, dem jederzeit ein Anschlag zugetraut wird. Das berichtet der WDR. Demnach soll der Mann mehrfach Thema im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) von Polizei- und Verfassungsschutz gewesen sein. Seine Einstufung als Gefährder soll 2018 aufgehoben worden sein.

Opfer von Berlin-Moabit soll schon einmal Anschlagsziel gewesen sein

Er floh 2015 erst in die Ukraine, kam dann nach einer Anschlag gegen ihn mit seiner Familie als Asylbewerber nach Deutschland und zog 2017 von Brandenburg nach Berlin. Gegen seine Abschiebung soll er geklagt und auf seine Gefährdung in Georgien hingewiesen haben.

Bereits 2009 ist laut offiziellen Quellen ein Giftanschlag auf ihn verübt worden. Im Mai 2015 feuerte ein Unbekannter mehrere Kugeln auf K. ab, als er sein Haus verlassen wollte. K. wurde schwer am Arm verletzt, den er sich schützend vor den Kopf hielt. Die Tat ist laut der Nichtregierungsorganisation EMC nie aufgeklärt worden, die Ermittlungen unter der damaligen Moskau-freundlicheren Regierung verliefen im Sande.

Deshalb fordert die Organisation mit Sitz in Tiflis jetzt von den deutschen Ermittlern, auch den Anschlag von 2015 zu berücksichtigen. Das Menschenrechtszentrum gilt als seriös, finanziert wird es von der Europäischen Union, von der Heinrich-Böll-Stiftung, der US-Entwicklungshilfebehörde „US Aid“, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und der Open Society Foundation von George Soros.

Wegen der verschiedenen Anschläge auf K. vermutet das EMC russische Geheimdienstler hinter der Tat. „Das Interesse der Sonderdienste Russlands war schon immer groß“, erklärte die Organisation. Bereits 2008 war berichtet worden, dass der russische Geheimdienst FSB ihn als Kopf einer Terroristengruppe bezeichnete.

Taucher suchten in der Spree nach der Tatwaffe
Taucher suchten in der Spree nach der Tatwaffe
© AFP

Andere Quellen behaupten, K. könnte auch auf Anordnung von Ramsan Kadyrow, Oberhaupt der Republik Tschetschenien, der als Moskau-treu gilt, hingerichtet worden sein. K. soll auf der Todesliste von Kadyrow gestanden haben.

Allerdings gibt es auch Berichte über Verstrickungen von K. in die islamistische Szene. Er soll Anhänger der tschetschenischen Terrorgruppe „Kaukasisches Emirat“ gewesen sein. Sie wird für mehrere Anschläge in Russland und in den Kaukasus-Republiken verantwortlich gemacht, K. soll an einem Anschlag in Inguschetien beteiligt gewesen sein.

Daneben soll K. für die Anti-Terror-Zentrale des georgischen Innenministeriums tätig gewesen sein. 2012 nahm er im Auftrag des Ministeriums an einem Spezialeinsatz in der Lopota-Schlucht an der georgisch-dagestanischen Grenze teil. Nach offiziellen Informationen hatte eine Gruppe islamistischer Kämpfer Einheimische als Geiseln genommen.

Auffallend viele Tschetschenen in der deutschen Salafistenszene

Mehrere Soldaten, aber auch Islamisten waren bei den Gefechten getötet worden. K. soll bei den Auseinandersetzungen als Unterhändler für das Innenministerium aufgetreten sein – wegen seiner guten Verbindungen aus dem Tschetschenien-Krieg und seiner lokalen Kenntnisse. Er galt als Partner gegen den Einfluss Moskaus, aber auch als ausgleichender Verbindungsmann zu radikaleren muslimischen Gruppen in Georgien.

Auch zu Wasser waren Beamte nahe des Tatorts in Berlin-Moabit vor Ort.
Auch zu Wasser waren Beamte nahe des Tatorts in Berlin-Moabit vor Ort.
© Helena Piontek

Kolpoltiert wurde auch, dass die Islamisten-Gruppe von der damaligen georgischen Regierung zumindest geduldet, wenn nicht sogar ausgerüstet wurde. In die Lopota-Schlucht sollen sie vom Pankisi-Tal gekommen sei. Aus diesem Tal stammt K. Es galt lange als Rekrutierungsstätte für den Islamischen Staat, mehrere Dutzend junge Männer wurden von dort vom IS für den Kampf in Syrien gewonnen.

Unter den schwer bewaffneten Islamisten in der Lopota-Schlucht war Ahmed Tschatajew, vor Gericht wurde er freigesprochen, er tauchte 2015 beim IS in Syrien auf und gilt als Drahtzieher des Terrorangriffs auf den Istanbuler Flughafen 2016 mit Dutzenden Toten.

Unter der Lessingbrücke untersuchten Beamte die Fundstücke der Taucher.
Unter der Lessingbrücke untersuchten Beamte die Fundstücke der Taucher.
© Helena Piontek

In Berlin sprechen Sicherheitsbeamte, Flüchtlingshelfer und tschetschenische Exilanten selbst grob vereinfacht von zwei Lagern: Einerseits Tschetschenen, die sich zur Herrschaft des heimischen Provinzchefs Kadyrow bekennen – der Kritiker auch im Ausland verfolgen, Homosexuelle foltern und vermeintliche Ungläubige drangsalieren lässt.

Andererseits solche, die Kadyrow ablehnen und selbst meist strenggläubige Sunniten sind – so haben regierungsfeindliche Tschetschenen im „Islamischen Staat“ ranghohe Positionen gehabt.

Dazu käme noch ein drittes Lager, das kleine Milieu rockerähnlicher Banden: So besteht die mit Lederkutten auftretende, aber nicht Motorrad fahrende Truppe „Guerilla Nation“ in Berlin aus Tschetschenen, die sich blutige Fehden mit anderen Cliquen geliefert haben.

Beamte untersuchen den Tatort im Tiergarten.
Beamte untersuchen den Tatort im Tiergarten.
© Helena Piontek

Aus Justizkreisen heißt es seit 2017, dass straff organisierte, salafistische Tschetschenen in der Region zunehmend eine Gefahr seien: Es gebe Hinweise auf religiös motivierte Taten, aber auch auf Drogenhandel und Erpressung. In der Berliner Salafistenszene sind deutsche Konvertiten, aus dem Libanon und der Türkei stammende Männer und eben auffallend viele Tschetschenen aktiv. Statistisch lässt sich kaum ermitteln, ob Tschetschenen kriminologisch gesehen auffälliger sind als andere Gruppen, da es keine tschetschenische Staatsbürgerschaft gibt.

Angehörige dieses sunnitischen Volkes leben nicht nur in Tschetschenien, der Teilrepublik Russlands, sondern auch in Dagestan und Inguschetien – sie haben russische Pässe.

Dazu kommen Tschetschenen in Georgien, Kasachstan, der Türkei und Syrien. Während der Kriege, Revolutionen und Stalins Terror im vergangenen Jahrhundert flohen massenhaft Menschen aus dem Kaukasus oder wurden deportiert.

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