Tod von Piraten-Politiker Gerwald Claus-Brunner: Ermittler: Opfer wurde wohl in Wedding getötet
Der in der Wohnung des toten Piraten-Politikers Claus-Brunner gefundene Mann kam offenbar einige Kilometer entfernt ums Leben. Der Leichnam wurde dann nach Steglitz gebracht.
Gegenüber von Claus-Brunners Wohnung in der Schönhauser Straße sitzen am Mittwochmorgen vereinzelt Gäste auf der Terrasse einer Bäckerei. Sie munkeln, was wohl drüben passiert ist. Keine Polizei, keine Absperrungen, nicht mal mehr ein Piraten-Wahlplakat erinnern hier an den schaurigen Fund. Die Verkäuferin des Cafés blättert durch eine Lokalzeitung, sie kann noch nicht fassen, was gegenüber passiert ist. Die jüngere Kollegin erinnert sich an den Nachbarn: "Er war ein Einzelgänger", sagt sie.
Claus-Brunner lebte in einem gepflegten Neubau, vier Etagen, 16 Parteien, Genossenschaftsbestand. Die Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock sind gekippt. Vor der Haustür bleiben immer wieder Passanten stehen, wagen einen Blick aufs Klingelschild. Ja, hier muss es gewesen sein. Dann öffnet sich die Tür und ein Anwohner tritt hinaus. Ob er Claus-Brunner gekannt habe? "Wir sagten nur Hallo und Tschüss, das war ein unauffälliger Typ", sagt der Nachbar.
Dramatische Wendung am Dienstag
Wie berichtet, hatte es im Fall des Piratenpolitikers am Dienstag eine dramatische Wendung gegeben: Möglicherweise hat der 44-Jährige einen anderen Mann getötet, bevor er sich selbst das Leben nahm. Der Leichnam Claus-Brunners, Mitglied der am Sonntag abgewählten Piraten-Fraktion im Abgeordnetenhaus, und der eines anderen Mannes waren am frühen Montagnachmittag in Brunners Wohnung in der Schönhauser Straße in Steglitz gefunden worden.
Den Beamten muss sich in der Wohnung ein schrecklicher Anblick geboten haben. Die Polizei schreibt selbst in einer Mitteilung von „einem schaurigen Bild“. Die zweite Mordkommission war am Montag stundenlang bis spät in den Abend mit der Spurensicherung in der Wohnung beschäftigt.
Am Dienstagmittag lagen die Obduktionsergebnisse vor. Sicher ist danach laut Polizei, dass Claus-Brunner sich das Leben genommen hat – nach Informationen aus Polizeikreisen durch einen Stromschlag. Den Zeitpunkt nennt die Polizei aber nicht. Der andere Mann, zu dessen Identität die Polizei keine weiteren Angaben macht, soll jedoch durch Einwirkung „stumpfer Gewalt gegen den Oberkörper“ ums Leben gekommen sein, heißt es in einer Mitteilung.
Keine Hinweise auf weitere Täter
Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, sagte, sei das Opfer ein 29-jähriger Mann, der im Wedding wohne. Laut Steltner hat das Opfer in der Vergangenheit Stalkingvorwürfe gegen den Piratenpolitiker erhoben. Der Mann soll den Ermittlungen zufolge einige Tage vor Claus-Brunner ums Leben gekommen sein. Einen genauen Zeitpunkt nennen die Ermittler nicht.
Die beiden Leichname lagen Steltners Angaben zufolge in zwei verschiedenen Räumen. Die Untersuchungen in der Wohnung ergaben aber, dass das Opfer nicht dort ums Leben gekommen ist. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass der Mann bei sich zu Hause in Wedding umgebracht und die Leiche dann von Claus-Brunner in dessen Wohnung transportiert wurde. Wie das geschehen sein soll, kommentierte die Staatsanwaltschaft am Mittwochmittag nicht. Steltner sagte in diesem Zusammenhang: "Wir gehen im Moment davon aus, dass sich die Tat auf die zwei gefundenen Personen beschränkt." Trotzdem ermittle man, ob eine dritte Person involviert sei. "Dafür haben wir bis jetzt aber keine Hinweise", so Steltner.
Unheilbar krank? Davon weiß die Staatsanwaltschaft nichts
Auch darauf, dass Claus-Brunner unheilbar krank war, gibt es laut Staatsanwaltschaft keine Hinweise, sagt Steltner. Die Piraten hatten das in einer Pressemitteilung am Montag noch geschrieben. Man ermittle deshalb auch nicht gegen Ärzte. Ob Claus-Brunner vor der Tat psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat, kommentierte Steltner ebenfalls nicht.
Am Montagvormittag soll laut dem Vorsitzenden der Berliner Piraten, Bruno Kramm, ein Abschiedsbrief Claus- Brunners in einem Parteibüro angekommen sein. Ein Mitarbeiter habe den Brief geöffnet und die Polizei benachrichtigt.
Noch vor Bekanntwerden der Mordvorwürfe hatte sich Kramm betroffen geäußert. Er stehe in Kontakt mit Brunners Bruder in den USA, um ein mögliches öffentliches Begräbnis vorzubereiten. „Parteimitglieder aus ganz Deutschland haben mich kontaktiert, weil sie sich persönlich von Faxe verabschieden wollten“, sagte Kramm. „Faxe“ war der Spitzname Claus-Brunners. Bereits am Montagabend hatten Claus-Brunners alte Parteifreunde zu einer Trauerfeier vor seinem Bürgerbüro in Steglitz aufgerufen. „Obwohl wir die Einladung spontan verschickt haben, sind viele Menschen gekommen, haben getrauert und sich an die gemeinsame Zeit mit Faxe erinnert“, sagte Kramm. Im Bürgerbüro selbst konnte die Trauerfeier aber nicht stattfinden. „Das war gestern Abend schon polizeilich versiegelt“, so Kramm.
Zu den dramatischen neuen Informationen wollte sich Kramm anschließend nicht mehr äußern. Er sagte dann aber noch, dass er davon ausgegangen sei, dass es sich bei dem zweiten Toten um Claus-Brunners ehemaligen Lebensgefährten handle. Sicher wisse er dies allerdings nicht.
Es gibt zwei Nachrichten, die verstörend sind
Auf dem Twitter-Kanal Claus-Brunners finden sich zwei Nachrichten, die nach dem jetzigen Kenntnisstand verstörend wirken. Vor seinem eigenen Tod veröffentlichte Claus-Brunner ein Foto eines jüngeren Mannes auf dem Kurznachrichtendienst. Der Eintrag stammt von Freitagnachmittag, den 16. September, und lautete: „ Meine Liebe, mein Leben, für dich lieber Wuschelkopf , für immer und ewig!“ Der Tweet war auf dem Profil Claus-Brunners oben angeheftet. Das war auch seine letzte Nachricht auf Twitter. Darunter steht eine andere Nachricht, die wenige Stunden vorher abgesetzt worden war: „Echter Kacktag heute, übertrifft sämtliche schlechten tage die ich je erlebt hatte bisher. Hoffe das Wochenende machts besser.“
Kurz nach Bekanntwerden der Todesnachricht hatte die Pressestelle der Piratenpartei Berlin am Montag eine Mitteilung veröffentlicht, in der es heißt, Claus-Brunner habe „wohl selbst seinem Leben ein Ende gesetzt. Genauere Umstände sind uns nicht bekannt; allerdings wussten wir von einer unheilbaren Erkrankung.“ Die Piraten sprachen von großer Bestürzung und schlossen mit den Worten: „Lebwohl, Faxe! Wir werden dich vermissen.“
Gerwald Claus-Brunner war mit der Piratenfraktion im Herbst 2011 ins Abgeordnetenhaus eingezogen; der Öffentlichkeit war er vor allem durch seine Erscheinung – große, kräftige Statur, Latzose und Palästinensertuch um den Kopf – aufgefallen. Er eckte wiederholt in seiner Fraktion an und war zunehmend isoliert. So sprach er mit abfälligen Worten über die Frauenquote. Frauen, die für eine Frauenquote seien, wollten auch nur einen Posten mit „Tittenbonus“, twitterte er. Später entschuldigte er sich dafür. Mehrfach hatte Claus-Brunner ungehaltene Kommentare veröffentlicht. Vergangenen Dezember twitterte er statt Friedrichshain-Kreuzberg „Bezirk Friedrichsail-Scheißeberg, ab jetzt heißt der bei mir offiziell so“. Die Partei distanzierte sich davon; Claus-Brunner löschte den Tweet noch am selben Tag.
„Sieht so aus, aus wären meine Befürchtungen der Umstände seines Todes leider wahr.“
Schon im Oktober 2014 rügte die Fraktion das Verhalten von Claus-Brunner auf öffentlichen Kanälen. „Dort getroffene Aussagen über die Fraktion, ihre Angehörigen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unwahr und waren sowohl für die Fraktion als auch die im Einzelnen angesprochenen Personen beleidigend und herabwürdigend“, hieß es. Claus-Brunner hatte danach die Fraktion verklagt. Im Januar versuchten 8 von 15 Mitgliedern der Piratenfraktion, Claus-Brunner aus der Fraktion auszuschließen. Das misslang: Neun stimmten dafür, zum Ausschluss hätte es zehn Stimmen geben müssen. Nicht nur Fraktionsmitglieder, sondern auch andere Parlamentarier im Abgeordnetenhaus beschreiben Claus-Brunner als unbeherrscht und unberechenbar.
Als Gerwald Claus-Brunner bei einer Rede am 23. Juni in Richtung Plenum sagte: „Ihr werdet auch in der laufenden Legislatur für mich am Anfang irgendeiner Plenarsitzung mal aufstehen dürfen und eine Minute stillschweigen“, kam dem Vernehmen nach Sozialsenator Mario Czaja (CDU) zu den Piraten und fragte nach, ob er das richtig verstanden habe. Dem Vernehmen nach soll er Hilfe angeboten haben – und nicht nur Czaja, sondern auch Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) habe sich in der Fraktion erkundigt, ob man helfen könne, wie es hieß.
Auch Fraktionskollegen sollen mit Claus-Brunner gesprochen haben. Hilfe soll er aber abgelehnt haben. War er wirklich krank? Darüber ranken Gerüchte. Er galt als eigenwillig, narzisstisch. Einige sagten, er sei „psychologisch auffällig gewesen“. Derzeit will sich in der noch verbliebenen Piratenfraktion kaum jemand offen äußern. Der Schock sitzt tief. Übereinstimmend aber heißt es, dass man sich jederzeit mit Problemen, Ängsten und Sorgen an die Fraktionsspitze habe wenden können.
Pavel Mayer, ebenfalls ein Ex-Fraktionsmitglied der Berliner Piraten, meldete sich kurz nach Bekanntwerden der dramatischen Ereignisse auf Twitter zu Wort: „Sieht so aus, aus wären meine Befürchtungen der Umstände seines Todes leider wahr.“