Berliner Piraten: Der schleichende Tod einer Partei
In der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus mehren sich die Parteiaustritte. Jetzt ist auch Martin Delius weg. Wie geht es weiter?
„Bin ja bei all den Parteiaustritten immer wieder überrascht, dass die Piraten noch so viele Mitglieder haben, die austreten können.“ Mit schwarzem Humor kommentierte Wolfram Prieß, der für die Piraten im Abgeordnetenhaus sitzt und seinen Mitgliedsausweis noch nicht zerstört hat, schon vor drei Wochen die Lage in den eigenen Reihen.
Mit Martin Delius verließ am Montag, wie berichtet, der siebte Abgeordnete der Piratenfraktion die Partei. Ein Mann mit Profil, politischem Gespür und akribischem Fleiß. So jemanden lässt man nicht gern ziehen. Delius will die Fraktion, die jetzt aus acht Piraten und sieben Parteilosen besteht, auch gar nicht verlassen und deren Vorsitzender bleiben, gemeinsam mit dem Kollegen Alexander Spies.
Darüber sind die Piraten in Berlin so froh, dass der Vorstand dem verlorenen Sohn schnell eine Lobeshymne hinterherschickte. „Wir danken Martin aufs Herzlichste für seine tadellose und den piratigen Grundsätzen des Wahlprogramms 2011 verpflichtete Arbeit vor allem im Bereich der Bildungspolitik sowie für die Leitung des BER-Untersuchungsausschusses“, schrieb der Landeschef Bruno Kramm. Die Parteimitgliedschaft sei nicht entscheidend, auf die Politik komme es an.
Delius hat die Faxen dicke
Der frühe Zeitpunkt des Austritts hat die Piraten aber überrascht. Sie wussten, dass Delius bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2016 nicht mehr antreten wollte, aber sie gingen davon aus, dass er bis dahin Mitglied bleibt. Noch vor zehn Tagen sagte Delius auf die Frage, ob er die Partei verlassen werde: „Das wird enden, wie das Mandat (im Parlament) endet“.
Doch am Montag teilte er per Twitter mit: „Ich habe keine Lust mehr, mich für das Gebahren von Piraten zu rechtfertigen. Das ist nicht mehr auszuhalten.“ Er habe die Faxen dicke. Was er nicht mehr aushielt, verriet Delius auch am Dienstag nicht. Stattdessen veröffentlichte er eine neue parlamentarische Anfrage über den „Zugang zum Internet für Senioren“. Ich mache meine Arbeit, sollte das wohl heißen.
Nur noch 342 Piraten sind zahlungswillig
Auch die Fraktionskollegen reagierten sehr verhalten. Der Haushaltsexperte Heiko Herberg, der Anfang 2015 die Partei verließ, stellte die rhetorische Frage: „Hat sich seitdem meine Arbeit für die Piraten verändert? Nö. Warum sollte das bei Martin Delius anders sein?“ Der Abgeordnete Philipp Magalski philosophierte: „Wie gut, dass wir niemals eine normale Partei werden“, und sein Kollege Simon Kowalewski ließ wissen: „Ich bin noch dabei“. Er werde auch im Wahlkampf 2016 wieder Plakate aufhängen.
Trotz solcher Durchhalteparolen ist der Zerfall der Piraten wohl nicht mehr aufzuhalten. Er sei „noch“ Mitglied, sagte der Abgeordnete Alexander Morlang dem Tagesspiegel. Für dieses Jahr habe er seinen Mitgliedsbeitrag gezahlt. Von den 909 Mitgliedern, die der Landesverband derzeit zählt, sind nur noch 342 zahlungswillig. Die anderen haben ihr Stimmrecht schon verloren. Zu ihren besten Zeiten hatten die Berliner Piraten über 3000 Mitglieder. Im Mai dieses Jahres gab es eine letzte große Bereinigungsaktion, über 1700 Karteileichen wurden aus der Liste entfernt.
Viele Piraten sind ja als Idealisten gestartet und dürften umso frustrierter sein, wenn sie merken, dass auch in ihrer Partei die gleichen Mechanismen greifen, wie sie überall dot greifen, wenn sich Menschen in Organasationen zusammen tun, die Macht, Geld und Karrierchancen verteilen.
schreibt NutzerIn kneumi
Der schleichende Tod seiner Partei war es aber nicht, der Delius zum Austritt bewegte. Da hätte er schon früher gehen können – oder müssen. Es gab für ihn, das betont er selbst, auch keinen inhaltlichen Dissens. Es war wohl eher der politische Stil und der zwischenmenschliche Umgang, den einschlägig bekannte Piraten pflegen. Parteimitglieder, die vor nichts zurückschrecken, um innerparteiliche Gegner mit brutaler Rhetorik zuzukübeln.
Verbale Entgleisungen sind keine Seltenheit
Einer von denen ist Gerwald Claus- Brunner, auch Mitglied der Piratenfraktion. Er regte sich per Twitter über die soeben aufgestellte Kandidatenliste in Friedrichshain-Kreuzberg für die Bezirksverordnetenversammlung auf. „Vollhonks“ und „Deppen“ seien nominiert worden. Für ihn heiße der Bezirk jetzt „Friedrichsfail-Scheißeberg“.
Zwar wurde der Tweet am Montag gelöscht, aber die Zitate waren nicht mehr aus der Welt zu kriegen. Es war nicht die erste Entgleisung von Claus-Brunner, der beispielsweise die Frauenquote als „Titten-Bonus“ bezeichnete. Auch jetzt gab es wieder vereinzelte Kritik, aber es sieht nicht so aus, als müsse der Abgeordnete mit Konsequenzen rechnen.
Nur der Piraten-Abgeordnete Morlang forderte am Dienstag: „Da muss etwas passieren“. Er erwarte vom Landesvorstand, dass der Kollege deutlich in die Schranken gewiesen werde. „Ein solches Verhalten ist keines Demokraten würdig.“ Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, weisen die Berliner Piraten im Internet darauf hin, dass die Schwesterpartei in Island auf gutem Weg sei, stärkste Kraft zu werden – und bitten um Spenden für den Berliner Wahlkampf.
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