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Die Welt ist bunt. Karin Beese auf dem Neuköllner Richardplatz, mit Mira, Nika und Hannah und ihrem zweiten Mann Henri Holjewilken.
© Kai-Uwe Heinrich

Kinderbuch aus Neukölln: Endlich mal die Heldin sein

In Bilderbüchern kommen Kinder mit anderer Hautfarbe kaum vor. Eine Neuköllner Mutter hat ein Buch gemacht, in dem das anders ist.

Nelly, Amina und Hannah sind mutig, schnell und selbstbewusst. Sie können geschwind auf Bäume klettern und retten einen Teddy vom hohen Klettergerüst. Was sie alles in Neukölln erleben, davon handelt das Buch „Nelly und die Berlinchen – Rettung auf dem Spielplatz“, das gerade erschienen ist. Auffallend ist nicht die Geschichte selbst, sondern ihre Hauptfiguren: Nelly hat eine weiße Mutter und einen schwarzen Vater, Amina kommt aus einer muslimischen Familie. Die Dritte im Bunde, die blonde Hannah, lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter zusammen. Die Mädchen und ihre Familien bilden so das Leben eines multikulturellen und heterogenen Großstadtkiezes ab, wie es in vielen Teilen Deutschlands üblich ist.

„Ich will nicht mehr braun sein“, sagte das Kind zu seiner Mutter

„Die Welt, die ich aus Neukölln kenne, ist bunt, nur in deutschen Kinderbüchern ist diese Diversität kaum sichtbar“, beklagt Autorin Karin Beese. Die 34-Jährige – lila Jacke, lange braune Locken, helle Haut – sitzt auf einer Bank auf dem Spielplatz am Neuköllner Richardplatz und sieht einem dunkelhäutigen Mädchen dabei zu, wie es auf ein Gerüst klettert, das genau wie im Buch aussieht: Beeses sechsjährige Tochter Nika. Um sie herum wuseln auch noch die einjährige Mira und die dreijährige Hannah. „Ich habe mich darüber geärgert, dass es so wenig Kinderbuchfiguren gab, mit denen sich Nika identifizieren konnte“, sagt Beese. Nika hat wie die Buchfigur Nelly viele kleine geflochtene Zöpfe mit gelben und lila Bändern. Ihr Vater kommt aus Kamerun. Beese hat ihn dort während eines beruflichen Aufenthalts kennengelernt. Mittlerweile leben sie getrennt, sehen sich aber noch regelmäßig.

Der Vater von Hannah und Mira ist Beeses zweiter Mann, Henri Holjewilken, der auch mit auf dem Spielplatz dabei ist. Nika ist das einzige dunkelhäutige Kind in der Familie. Karin Beese war es deshalb von Anfang an wichtig, dass ihre Tochter Kontakt zu anderen Kindern mit dunkler Hautfarbe hat. „Ich wollte nicht, dass sie das Gefühl bekommt, anders zu sein, und sich deshalb irgendwann schlecht fühlt“, sagt Beese. Sie erzählt von der Tochter einer Freundin, die eines Tages heulend nach Hause kam und sagte: „Ich will nicht mehr braun sein.“ Sie bat ihre Mutter darum, ihr die braune Farbe von den Händen abzuwaschen. Beese sorgte sich anfangs, dass es ihrer Tochter irgendwann genauso gehen könnte. Also suchte sie eine Kita, in der es mehrere dunkelhäutige Kinder gibt, und hielt Kontakt zu einer afrodeutschen Spielgruppe in Prenzlauer Berg.

Der Spielplatz aus dem Buch und das Original am Neuköllner Richardplatz.
Der Spielplatz aus dem Buch und das Original am Neuköllner Richardplatz.
© Kai-Uwe Heinrich

Da sie ihrer Tochter immer gerne vorlas, merkte sie aber schnell, wie schwierig es ist, ein deutsches Kinderbuch zu bekommen, in dem Figuren mit einer dunklen Hautfarbe vorkamen.

Auch Maria Ringler vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften sagt, dass es in deutschen Kinderbüchern zu wenig Vielfalt hinsichtlich Kultur, Hautfarbe und Familienkonstellationen gebe. Sie bemängelt, dass dadurch viele Kinder, die eine andere Hautfarbe oder anderen kulturellen Hintergrund haben, kaum positive Identifikationsfiguren finden.

Eine Folge dieser Ausgrenzung könne Rassismus sein

In der Schule werde über schwarze Kinder im Zusammenhang mit Themen wie Armut oder Krieg gesprochen. Stereotype Darstellungen in Film und Fernsehen tun ihr Übriges. „Die Kinder wollen nicht immer das Problemkind, sondern auch hin und wieder ein Held sein, mit besonderen Kompetenzen“, sagt Ringler. Und wenn bestimmte äußere Erscheinungsformen immer nur im Zusammenhang mit Problemen wie Krieg, Flucht und Armut auftauchten, befördere dies Vorurteile: „Die Kinder werden nicht als dazugehörig empfunden, sondern als die Anderen.“ Eine Folge dieser Ausgrenzung könne Rassismus sein.

Was Karin Beese, die als Projektmanagerin für Umweltpolitik arbeitet, aufrüttelte, war ein Evaluationsbericht der Kita ihrer Tochter: Eine externe Beratungsfirma machte die Neuköllner Elterninitiative darauf aufmerksam, dass „nicht alle Kinder der Einrichtung sich mit ihrer äußeren Erscheinung und Ethnizität in den angebotenen Kinderbüchern wiederfinden könnten“. Den Kindern würden so „wichtige Identifikationsmöglichkeiten genommen“, lautete die Kritik. Beese – selbst im Vorstand der Kita – suchte daraufhin nach neuen Büchern, um sie für die Kita zu bestellen – ohne Erfolg: „Zwar gibt es Übersetzungen aus dem Englischen oder Französischen, aber kaum gute Bücher, die den Alltag in Deutschland lebender Kinder mit unterschiedlichen Hautfarbe oder Religionen widerspiegeln“, sagt Beese.

Für sie war es die Bestärkung, selbst tätig zu werden. In der Kita suchte sie nach Mitstreitern unter den Eltern und stieß auf Mathilde Rousseau, eine Grafikdesignerin, die sofort dazu bereit war, die Illustration des Buches zu übernehmen. Als Inspiration diente den beiden Frauen der Spielplatz am Neuköllner Richardplatz, auf dem Beese mit ihren drei Kindern oft ihre Nachmittage verbringt. Dieser Spielplatz mit großer Wiese, Bolzplatz und Tunnelrutsche sei ein Phänomen, sagt sie: „Arabische und türkische Familien bringen ihre Campingstühle her, Hipster-Mütter trinken ihren Latte macchiato.“ Eine gelungene Mischung, findet Beese, meistens sehr fröhlich, abgesehen von ein paar Rangeleien unter älteren Kindern.

Per Crowdfunding finanzierte die 34-Jährige die erste Auflage

Anderthalb Jahre arbeiteten die beiden Frauen an dem Buch, für das sie ganz langsam die Charaktere entwickelten und die Geschichte mehrmals umschrieben. „Meine Kinder lieben Bücher mit Reimen“, sagt Beese. Doch ihr fiel es nicht leicht, das Buch in Versform zu verfassen. Ihr Mann half beim Dichten. Wichtig war ihnen auch, viele andere Leute mit in den Prozess einzubeziehen, um eine stereotype Darstellung zu verhindern. „Viel wird über People of Color geschrieben, ich wollte aber, dass sie selber ihre Meinung zu den Charakteren einbringen“, sagt Beese. Rezensenten fand sie nicht nur über die Neuköllner Nachbarschaft, sondern auch deutschlandweit über die Facebook-Gruppe „Eltern Schwarzer Kinder“.

Da der Kinderbuchmarkt hart umkämpft ist, versuchte Beese erst gar nicht lange, einen Verlag zu finden, sondern gründete selbst einen; den Hawandel Verlag. Mit einer Crowdfunding-Kampagne plus eigenen Ersparnissen finanzierte sie die erste Auflage mit insgesamt 3000 Stück. Etwa 350 Exemplare habe sie bisher verkauft, erzählt sie und klingt stolz. „Die Nachfrage auf dem Buchmarkt ist nicht so groß, dass es sich für große Verlage lohnen würde, sich auf interkulturelle Kinderbücher zu spezialisieren“, sagt Maria Ringler dazu. Deshalb seien sie häufig ein Nischenprodukt kleinerer Verlage – und schnell wegen der geringen Auflage vergriffen.

Vielen Eltern sei nicht bewusst, dass es für alle Kinder wichtig ist, mit ganz unterschiedlich aussehenden Protagonisten, mitzufühlen. Denn Vorurteile entstehen durch Angst vor Andersartigkeit – und vor dem Unbekannten, Ungewohnten. „Dagegen hilft am allerbesten, diese Menschen kennenzulernen. Und wenn man das in Kinderbüchern kann, dann klappt das auch in der Realität", sagt Beese.

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