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Besetzer vor der Volksbühne am Tag der Räumung.
© imago/Christian Mang

Volksbühne am Tag der Räumung: Ende einer Dauer-Performance

Der Theaterstreit an der Volksbühne, der den Berliner Senat zu spalten drohte, gipfelt nicht im Skandal – sondern in einem Riesen-Kindergarten.

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Am Ende kommt das Kunstblut doch nicht zum Einsatz. Dabei hatten die Besetzer versprochen, es im Fall einer Räumung reichlich fließen zu lassen. Aber es bleibt im Eimer und im Kanister, ein Polizist trägt beides aus dem Theater.

Als am Donnerstagmorgen die Einsatzfahrzeuge an der Berliner Volksbühne vorfahren, schallt ein lauter Ruf über den Rosa-Luxemburg-Platz: „Es ist so weit, alle rein!“. Also hastig die Zigarette ausgedrückt und mit halbvollem Kaffeebecher rein ins Gebäude. Wenig später haben zwei Hundertschaften der Polizei das Haus umzingelt. Absperrgitter werden aufgestellt, die ersten Beamten betreten das Theater durch den Seiteneingang.

Es ist Tag sieben der Besetzung, der Anfang vom Ende einer Dauer-Performance. Performance, das sagen die Volksbühnen-Okkupierer zu dem, was sie seit vergangenem Freitag im Haus veranstalten. Da enterte das Künstlerkollektiv „Staub zu Glitzer“ das Theater, das seit dem Ende der 25-jährigen Ära Frank Castorf und dem Amtsantritt seines Nachfolgers, des Museumsmanns Chris Dercon, für einen erbitterten Theaterstreit sorgt – den größten der Republik seit Schließung des Berliner Schillertheaters 1993.

So also gehen sie zu Ende. Die Tage des Lavierens, der Unschlüssigkeit, des Bemühens um Deeskalation, um friedliche Koexistenz. Auf allen Seiten.

Victor Aouizerat – Spitzenkandidat der Neuköllner Piraten aus dem Jahr 2016 – diskutiert mit einem Beamten. Der Besetzer nennt die okkupierte Volksbühne ein Gesamtkunstwerk, eine „soziale Architektur“. Ganz Berlin solle herkommen, ruft er in die Kameras, denn die Stadt sei bald vollends verloren, „an all die dicken Amis verkauft“. Auf Chris Dercons Kompromissvorschlag angesprochen, den Besetzern zwei Volksbühnenräume, den Grünen Salon und den Pavillon, zu überlassen, spricht Aouizerat von einem „vergifteten Angebot“. Es würden dann Künstler verdrängt – er meint nicht die aus der eigenen Truppe, sondern die aus der Volksbühne. Sich gegeneinander ausspielen lassen? Das sei für ihn keine Option.

Ein Aktivist fürchtet rechtliche Konsequenzen, möchte nicht, dass die Polizei seine Personalien aufnimmt. Wird drin noch mit Dercon verhandelt?, wollen die Medienvertreter wissen. „Hat der Typ weißes Haar und einen Bart? Ja, dann reden sie gerade mit ihm.“ Seltsam, dass die Besetzer ausgerechnet den Mann kaum kennen, um den sich die ganze Aufregung dreht. Offenbar stellt der Intendant in eben diesem Moment ein Ultimatum. Eine knappe Woche lang haben Dercon und Kultursenator Klaus Lederer es mit Verhandeln versucht. Jetzt ist es genug.

Klaus Lederer gerät in die Defensive

Etwa zur selben Zeit erhebt sich Lederer im Abgeordnetenhaus von seinem Stuhl. Der Senator macht den Eindruck, dass er das hier schnell hinter sich bringen will. Er soll den Hintergrund der Besetzung erklären – und vor allem sich selbst. Lederer spricht schnell, leise. Über Gefahrenbegrenzung, Brandschutz. Er vergleicht die Lage mit der Loveparade in Duisburg 2010.

Beim Zwischenruf „Räumen!“ aus der Opposition wird er wütend. „Die Schlaumeier, die Räumung fordern, wenn in einem Haus 3000 Leute sind, Fluchtwege nicht gewährleistet sind, jederzeit eine Massenpanik ausbrechen kann. Die wissen nicht, wovon sie reden!“ Er bekommt lauten Applaus.

Es waren dann aber doch nicht ganz so viele Leute. Als die Besetzer am Mittwochabend über das Kompromissangebot abstimmen wollen, versammeln sich vielleicht 100 – Schaulustige und Journalisten eingerechnet. Beim Plenum kommt es zum Schlagabtausch mit Mitarbeitern der Volksbühne. Unmissverständlich machen die klar, dass die große Mehrheit der Belegschaft die Besetzung ablehnt. Eine Kostümbildnerin sagt: „Ich möchte nicht in etwas integriert werden, was ich mir nicht ausgesucht habe.“

Mehr als drei Stunden haben sie diskutiert, erstaunliche Vorschläge unterbreitet: Dercon könne über eine Crowdfunding-Kampagne aus seinem Vertrag ausgelöst und dann „nach Belgien zurückgeschickt werden“. Als ob der ehemalige Londoner Tate-Modern- und Münchner Haus-der-Kunst-Chef noch viel mit seinem Heimatland zu tun hätte. Auch die Mitarbeiter könne man über Spenden entlohnen. Die Abstimmung über das Angebot wird dann vertagt.

Im Abgeordnetenhaus ist Lederer mittlerweile in die Defensive geraten. „Kumpanei mit Hausbesetzern“ hatte man ihm vorgeworfen, selbst die Grünen-Koalitionärin Sabine Bangert fand den weichen Kurs nicht akzeptabel. Der Regierende Michael Müller soll ihm bereits bei der Senatssitzung am Dienstag pampig nahegelegt haben, die Sache endlich zu regeln. Lederer sei laut geworden, heißt es.

Dercons Kuschelkurs

Habe ich richtig verstanden, fragt jetzt einer aus der CDU, dass Sie eine dauerhafte Teilbesetzung akzeptiert hätten?

Nun wirkt Lederer noch dünnhäutiger. „Das war ein Angebot der Volksbühne und deren Belegschaft. Wir haben das unterstützt. Sie hätten mal zuhören müssen, statt dazwischen zu krähen.“

In der SPD raunen sie, es hätte vielleicht gar nicht so weit kommen müssen. Mit Widerstand gegen Dercon sei schließlich zu rechnen gewesen.

Vielleicht auch mit Gewalt, jedenfalls muss die Polizei darauf vorbereitet sein. Aber in der Volksbühne verlassen gegen Mittag immer mehr Besetzer eigenständig das Haus. Noch heißt es von der Polizei, es werde nicht geräumt, man unterstütze den Auszug nur friedlich. Es gibt ein paar, die bleiben stur, die gehen nicht. 22, teilt die Polizei hinterher mit. Also doch Räumung.

Chris Dercon soll seit Wochen von den Besetzungsplänen gewusst haben – unternahm zunächst jedoch nichts. Obwohl ihm klar ist, dass ungestörte Proben bei einer Besetzung schon aus Lautstärke-Gründen kaum möglich sind, vom Schutzraum zu schweigen, den Schauspieler und Regisseure brauchen. Obwohl er nach dem verspielt-tänzerischen Vorspiel auf dem Tempelhofer Feld den Volksbühnen-Saisonstart im Haupthaus aufs Spiel setzt – der ohnehin von massiver Kritik der Castorf-Freunde begleitet ist –, verzichtet er auf sein Hausrecht.

Dercon lässt die Leute rein, setzt auf Duldung und Dialog. Schläft auch mal auf zusammengeschobenen Clubsesseln im besetzten Haus. Es herrscht Direktionspflicht: In einem Theater, das bespielt wird – und sei es von Kurzzeitstaatssekretär Andrej Holms Stadtparlamentariern, „Kapital“-Kursteilnehmern oder DJs –, muss ein Vertreter des Direktoriums im Haus anwesend sein. Also schiebt die Volksbühnenleitung Schichtdienst, geht auf Kuschelkurs. Hü und Hott: Das dann doch gestellte Ultimatum kann da nur widersinnig erscheinen.

Klaus Lederer wiederum lässt sich zwar das Hausrecht von Dercon übertragen, macht aber ebenfalls lange nicht davon Gebrauch. Stattdessen dauert es Tage – man fragt sich warum? –, bis eine Verhandlungskommission den Kompromissvorschlag unterbreitet. Die gemeinsamen Lederer/Dercon-Statements sind erst recht darauf bedacht, jede Konfrontation zu vermeiden. Eine Strategie, die nicht aufgeht, nicht aufgehen kann.

Genderquotierte Redelisten

Auch die Besetzer lavieren. Sie interessieren sich für das Große und Ganze der Stadtentwicklung, für Mieten, für Besitzverhältnisse – für Schauspielkunst eher weniger. Sie schaffen es trotz längerer Vorbereitung nicht, ein Programm zu präsentieren, das Scharen von Neugierigen anlockt: So mancher Workshop hat ein halbes Dutzend Teilnehmer, manchem Konzert lauscht gerade mal eine Handvoll Zuschauer. Die Schauspielerin und Regisseurin Silvia Rieger hatte den Besetzern den Unterschied zwischen improvisierter Performance und Theaterkunst so zu erklären versucht: „Wenn ihr ein Krankenhaus besetzen würdet, würdet ihr euch auch nicht gleich an einer Operation versuchen.“

Bleiben oder gehen? Besser nicht entscheiden – wie Dercon, wie Lederer. Und auch nicht zwischen Kunst und Realität: Jedes Plenum, jede Diskussion heißt jetzt Performance. Staub zu Glitzer, Glitzer zu Staub: So untergraben die Aktivisten den Kunstbegriff des Theaters zugunsten eines Events. Eine Ironie der Geschehnisse: Eigentlich ist es ja Dercon, dem vorgeworfen wird, dass er die gute alte Castorfsche Volksbühne in eine Eventbude verwandeln will.

Die Politik, das Theater, die Besetzer, sie nehmen sich gegenseitig nicht ernst. So endet dieser Streit um ein Haus fürs Erste nicht im Eklat, nicht im Skandal, sondern als Riesen-Kindergarten. „Da wir keine Besetzung sind, kann es auch keine Räumung geben“, beharren die Besetzer bis zuletzt.

Räumen oder Nicht-Räumen, Tegel auf oder zu, Mieten runter statt rauf, marode Schulen, arbeitsunfähige Bürgerämter. Das große Berliner Impro-Theater: Die Stadt wurschtelt sich durch. Mit der nun ex-besetzten Volksbühne hat sie jetzt auch das Theater, das sie verdient.

Am frühen Nachmittag klingt durch die verschlossene Eingangstür Musik nach draußen. Ein letztes Mal greifen die Besetzer nach ihren Instrumenten. Jemand scherzt, die Szenerie erinnere an die Bordkapelle auf der Titanic. Die hat auch bis zum Untergang gespielt. Sie machen noch einmal Selfies von sich, drehen ein weiteres Agitationsvideo. Dann werden ihre Personalien aufgenommen. Fünf von ihnen werden schließlich rausgetragen. Durch den Hinterausgang.

„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen“, liest ein Unterstützer draußen vor der Polizeiabsperrung Artikel 27 der Menschenrechts-Charta vor. Ein Lob auch in Richtung Polizei?

Chris Dercon erklärt zur Räumung: „Es fällt schwer, so eine Entscheidung treffen zu müssen.“ Klaus Lederer betont, man habe den Besetzern ein gutes Angebot unterbreitet. Die teilen mit, die „kollektive Intendanz“ sei vertrieben worden, die „transmediale Theaterinszenierung“ dauere immer noch an.

Es sind ordentliche Okkupanten gewesen. Sie haben Hausregeln an die Foyerwände gehängt, Rauchverbote ausgesprochen, bei den Vollversammlungen genderquotierte Redelisten geführt. In einem Tweet am späten Nachmittag heißt es: „Wir werden, was heute in der #Volksbühne liegen geblieben ist, aufräumen und putzen, wie immer. “

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