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Aus einem Zuckerguss. Die Vertreter der Linken im Senat, Carola Blum, Harald Wolf und Katrin Lompscher, verabschiedeten sich mit Backwerk aus der rot-roten Landesregierung.
© DAVIDS

Süße Torte, bittere Worte: Ende der rot-roten Ära in Berlin

Die rot-rote Landesregierung trat am Dienstag letztmalig zusammen. Wie es mit den scheidenden Senatoren weiter geht, ist längst nicht in allen Fällen entschieden.

Am Dienstag tagte der rot-rote Senat zum letzten Mal, kommende Woche will der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sein neues Kabinett ernennen. Die drei scheidenden Senatoren der Linkspartei verabschiedeten sich mit einer Torte mit der Aufschrift: "Viel Spaß mit den Neuen". Vier SPD-Senatoren gehen teils aus Altersgründen, teils wegen der Neuverteilung der Ressorts zwischen SPD und CDU. Auch wenn die scheidenden Kabinettsmitglieder jetzt mehr Zeit haben – völlig zur Ruhe setzen will sich voraussichtlich noch keiner der sieben.

JÜRGEN ZÖLLNER

Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass Jürgen Zöllner seinen Abschied als Senator für Schule, Wissenschaft, Jugend und Familie nach der Wahl angekündigt hat. Nun ist es bald vorbei mit dem Regierungsstress. Nach15 Jahren als rheinland-pfälzischer SPD-Minister und fünf Jahren als Berliner Senator plötzlich raus aus den Zwängen des Terminkalenders und der Aktenberge? Morgens aufwachen ohne Brandbriefe in der Hauspost? Der begeisterte Rotweingenießer, Krawattenmuffel, Arzt, habilitierte Molekularbiologe, zweifache Vater und Großvater lässt keinen Zweifel daran, dass er gern was Neues anpacken würde. Irgendwas im Wissenschaftsbereich, wo er mit seinen 66 Jahren „seine Erfahrungen einbringen kann“. Ob es da schon konkrete Angebote gibt, sagt Zöllner nicht. Aber er verrät, was er so macht, wenn er gerade nicht am Schreibtisch sitzt. Zum Beispiel Rad fahren. Seine Lieblingsstrecke ist umfangreich und führt von der Stadtmitte aus am Hohenzollernkanal entlang zum Tegeler See, nach Spandau und dann über die Wannseefähre von Kladow zum Grunewald und wieder zurück nach Prenzlauer Berg, wo er mit seiner Lebensgefährtin wohnt, dort, „wo es brodelt“. Und am ersten dienstfreien Tag – da wird gelesen. Jonathan Franzens neuer Roman „Freiheit“. 731 Seiten. Aber vielleicht kommt ja doch noch ein Angebot dazwischen. „Wenn sich etwas Gutes, Vernünftiges ergibt, mache ich am nächsten Tag gleich weiter“, hat er mal gesagt. (sve)

EHRHART KÖRTING

Er sagt nichts. Der Langstrecken-Innensenator (seit 2001) hat für Polit-Glamour nie viel übrig gehabt – so schweigt er auch über das, was nun kommt. Dreierlei kann als ziemlich sicher gelten: Erstens meint es der 69 Jahre alte Sozialdemokrat ernst mit dem Rückzug aus der Politik. Er strebe kein weiteres Amt an, heißt es, er wolle auch keine Aufgaben von der Art übernehmen, durch die ehemals führende und wichtige Leute gern dem Politbetrieb mit seinen Einladungen und Gesprächen verbunden bleiben. Zweitens hatte sich Körting, seit 2006 auch Sportsenator, den Test aller Berliner Schwimmbäder vorgenommen. Damit werde er weitermachen, heißt es aus seiner Umgebung. Drittens will er sich – wie, das ist noch offen – weiter um den Dialog der Religionen in Berlin kümmern. Das hatte Körting in kluger Interpretation seiner Aufgabe als Innensenator über die Jahre gemacht – was ihn in einigen Streitereien über die Integrationspolitik vernünftig urteilen ließ. Man wird sehen – so wie man Körting wohl auch öfter mal in Berliner Theatern sehen wird. Seinen Zweitwohnsitz in Potsdam hat er aufgegeben – auch weil er gern zu Fuß loszieht, um irgendwo ein Bier zu trinken. (wvb)

HARALD WOLF

Den Schreibtisch hat der scheidende Wirtschaftssenator schon leergeräumt. Jetzt kann er sich ums Festliche kümmern. Anfang der Woche stand erst ein Empfang seiner Mitarbeiter auf dem Programm, heute wird sich Wolf mit der Wirtschaftskonferenz aus dem Amt verabschieden. Dass er sich nun als Abgeordneter in die Oppositionsrolle begibt, sei natürlich ein Einschnitt, sagt Wolf. „Aber es ist auch eine Art Befreiung, weil die Senatoren-Tätigkeit anstrengend ist." Als Abgeordneter will sich Wolf um die Themen Wirtschaft, Energie und Rekommunalisierung kümmern. Die Familie soll künftig mehr von ihm haben – und von seinen Kochkünsten. Harald Wolf ist erklärter Hobby-Koch. Die Mehrarbeit der vergangenen Jahre hat sich aus seiner Sicht dennoch ausgezahlt: „Berlin steht wirtschaftlich positiv da. Die Stadt hat ein gutes Image.“ Statt gegeneinander arbeite man inzwischen miteinander. Man darf wohl davon ausgehen, künftig wieder mehr Kontra von Wolf und seiner Linkspartei zu hören. Er sagt: „Die Opposition ist eine Chance zur Regeneration. Wir können Vertrauen, das wir verloren haben, zurückgewinnen und uns neu aufstellen." (ks)

Lesen Sie auf Seite 2, wie es mit Frauen aus dem rot-roten Senat weitergeht.

INGEBORG JUNGE-REYER

Stadtentwicklungssenatorin sei sie „mit Leidenschaft gewesen – und nicht nur mit Liebe“, sagt Ingeborg Junge-Reyer. Fällt es da schwer, loszulassen? Aber nein, sie wird ihre Laufschuhe schnüren und zehn Kilometer um den Hubertussee in Frohnau laufen, wo sie auch wohnt. Ihre Französisch- und Spanisch-Kenntnisse will sie auffrischen. Und Stéphane Hessels „Tanz mit dem Jahrhundert“ lesen, die Erinnerungen eines Berliner Juden, der als Widerstandskämpfer und französischer Diplomat die Geschichte des Nachbarlandes mitgestaltete. Engagieren wird sie sich auch: für die Gesundheit von Kindern in Entwicklungsländern. Und was bleibt von den Senatorinnen-Jahren? „Herzensangelegenheiten“. Soll heißen: die Soziale Stadt und die Umnutzung des Airport Tegel. Aber bei aller Liebe – eins werde sie ganz gewiss nicht tun: sich einmischen in die Angelegenheiten ihres Nachfolgers. (ball)

GISELA VON DER AUE

Wer ihren Namen bei Google eingibt, bekommt drei Suchvorschläge: SPD, Berlin und Kirsten Heisig. Der Tod der streitbaren – und mit von der Aue streitenden – Richterin im Juni 2010 hatte die 62-jährige Justizsenatorin zuletzt etwas in Bedrängnis gebracht. Aber Ärger war von der Aue von ihrem ersten Amtstag an gewöhnt: Es begann mit einer Affäre, bei der es um Medikamentendiebstahl im Gefängnis Moabit ging. Es folgten die Handy- und Drogen-Überwürfe im Jugendknast, Überbelegung, Fluchtversuche und Suizide bei den Männern in Tegel… Als das alles ausgestanden war, wurde es sehr ruhig um von der Aue – was so ziemlich das Beste ist, was man von einem Justizsenator sagen kann. Jetzt sagt sie: „Ich hätte gerne weitergemacht.“ Die Idee, Verbraucherschutz dem Justizressort anzugliedern, stamme von ihr selbst. Statt im kommenden Jahr die JVA Heidering zu eröffnen – für sie einer der größten Erfolge ihrer Amtszeit – will sie sich zunächst „eine Weile ausruhen“. Die letzten 15 Jahre (zuvor war sie zehn Jahre beim Rechnungshof in Brandenburg) seien schließlich ziemlich „aufwändig“ gewesen, Familie und Privatleben zu kurz gekommen. Nach dieser Pause will sie überlegen, ob sie beruflich noch mal angreift. (Ha)

CAROLA BLUHM

Nur zwei Jahre hatte Carola Bluhm (Linke) Zeit, Spuren im Senat zu hinterlassen. Im Oktober 2009 folgte die 49-Jährige auf Heidi Knake-Werner im Amt der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Die wesentlichen Pflöcke waren da schon eingeschlagen. Ihre Schwerpunkte setzte Bluhm vor allem in der Arbeitsmarktpolitik. Besonders am Herzen lag ihr der sogenannte öffentliche Beschäftigungssektor, der von ihrer Vorgängerin angeschoben worden war und der Langzeitarbeitslosen einen Job mit einem Gehalt von 1300 Euro sicherte. Um dieses teure Prestigeprojekt musste Bluhm heftig mit dem Regierenden ringen, der der Linie seines Finanzsenators Ulrich Nußbaum folgte und den ÖBS zur Disposition stellen wollte. Eine Abschaffung konnte sie zwar verhindern, nicht aber eine Kürzung des Programms. Jetzt ist es ein Auslaufprojekt. Im Abgeordnetenhaus wird sie sich jetzt der Haushaltspolitik zuwenden. Was sie darüber hinaus machen will? „Ich hatte in den letzten Wochen nicht so viel Zeit, darüber nachzudenken.“ (sik)

KATRIN LOMPSCHER

Eigentlich könnte sie jetzt wieder mehr Klavier spielen. Aber ob Katrin Lompscher dazu kommt, mag sie nicht vorhersagen. Denn die Senatorin der Linkspartei für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz hat auch als Oppositionspolitikerin einiges vor. Sie ist als Sprecherin ihrer Fraktion künftig für Stadtentwicklungsfragen zuständig, will als stellvertretende Fraktionschefin aber auch die anderen politischen Themen im Blick behalten und sich außerdem wieder in ihrem Lichtenberger Wahlkreis stärker engagieren. Rückblickend ist Lompscher mit ihrer Amtszeit zufrieden. Bei der Gesundheitspolitik zählt sie die Stärkung die Stabilisierung der Krankenhauslandschaft zu ihren Erfolgen. Bei der Umwelt sieht sie es als ihren größten Erfolg, das geplante neue Kohlekraftwerk von Vattenfall verhindert und die Umweltzone eingeführt zu haben. Und auf die Veröffentlichung von Kontrollergebnissen aus Restaurants ist sie auch stolz. Bedauerlich findet sie, dass ihr Ressort, dessen Zuschnitt sie inhaltlich sehr sinnvoll fand, unter der rot-schwarzen Koalition künftig auf drei Senatsverwaltungen verteilt wird. (lvt)

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