Cannabiskonsum von Jugendlichen in Berlin: Eltern sollten Grenzen fürs Kiffen setzen
Etwa die Hälfte der Jugendlichen in Berlin hat schon mal einen Joint geraucht. Die Reaktion der Eltern schwankt zwischen Mitkiffen oder Schrank durchsuchen. Wie Erziehungsberechtigte reagieren sollten.
Alle waren gut drauf. Der Joint war daran nicht unschuldig, neulich auf dieser Party bei Freunden. „Da hab ich auch mal probiert“, sagt die 16-jährige Alina. Ihre gleichaltrige Freundin Lea schaut sie ungläubig an und lacht. „Probiert? Du hattest einen mega Lachflash und kamst gar nicht mehr klar!“
Eigentlich seien Drogen ja nicht so ihr Ding und richtig harte Sachen würden sie nicht probieren. Nur Kiffen – das sei eigentlich ganz okay: Das meinen wohl 43 Prozent der 16- bis 17-jährigen Berliner, die laut der Studie „Jugend – Drogen – Hintergründe“ von 2014 bereits Cannabis konsumiert haben. Fast jeder Zehnte gab an, mehrmals in der Woche zu kiffen. Fünf Prozent sogar täglich.
Alina und Lea sind ziemlich normale Teenager, sie sind wie viele in ihrem Alter auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Aber wie sollen Eltern damit umgehen? Wann sollten sie eingreifen? „Ich habe in meinem Leben mehr als tausend Eltern beraten. Der Großteil von ihnen hat aus Unsicherheit Taschen und Schränke ihrer Kinder nach Drogen durchsucht, ehe sie das Thema überhaupt mit ihnen besprochen haben“, sagt die Sozialpädagogin Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin. Ihr Rat an die Eltern ist deutlich: „Sie müssen das Thema offensiv ansprechen.“ Befürchtungen sollten so früh wie möglich und ehrlich zur Sprache gebracht werden. Genau das hätte die Hälfte der Eltern, denen Kerstin Jüngling in ihren Beratungsangeboten begegnet, aber nie getan.
Viele Eltern wollen lieber Kumpel als Respektperson sein
Was viele Eltern trotz aller Ängste auch nicht tun: Ein deutliches Verbot für alle Drogen aussprechen – auch für Cannabis. Und genau das sei wichtig: „Immerhin setzen sie damit eine Grenze, an der sich Heranwachsende orientieren können“, sagt Jüngling. Unterschwellig vermitteln Eltern damit auch, dass sie Interesse an der Gesundheit ihres Kindes haben und fürsorglich sind. Das Schwierige daran: Die Kinder empfinden solche klaren Worte eher als störende Gängelung.
„Natürlich reagieren Teenager auf kritische Nachfragen ablehnend, fühlen sich genervt oder provoziert. Doch das müssen Eltern aushalten, selbst wenn sie bei dem Thema als altmodisch und uncool abgetan werden“, sagt die Sozialpädagogin und betont: „Eltern müssen wieder lernen, Eltern zu sein! Das heißt auch, dass sie nicht immer versuchen sollten, gemocht zu werden.“ Das gilt zwar für alle Erziehungsthemen. Beim Umgang mit Drogen zeige sich aber ganz besonders, dass Eltern die Erzieherrolle oft nicht ernst genug nähmen. Viele wollen lieber Kumpel als Respektsperson sein. Hinzu kommt, dass die Elterngeneration von heute, die ihre Jugend in den Neunzigern verbrachte, zum Teil eigene intensive Rauscherfahrungen gemacht hat. Sie betrachten es als normale Erfahrung, die Heranwachsende nun einmal machen.
Cannabis schadet der Hirnentwicklung von Jugendlichen
Viele kommen dabei sogar auf den Gedanken, ihre Kinder „kontrolliert“ an das Thema heranzuführen, ja sogar den ersten Joint mit dem Sohn oder der Tochter zu rauchen, um das Thema zu entzaubern. Kerstin Jüngling von der Suchtpräventionsstelle warnt entschieden vor solchen Experimenten. Sie nennt es „Weichei-Elterngetue“, bei dem nur der Konflikt gescheut werde. „Da geht es aber um Konflikte, die in allen Eltern-Kind-Generationen normal und auch wichtig gewesen sind“. Dass solche Experimente oder fehlendes Einschreiten unangebracht sind, gilt, zumal bestimmte Drogen für Heranwachsende erhöhte Gefahren bergen. Selbst der Deutsche Hanfverband, die Lobby der Cannabis-Konsumenten, verschweigt nicht, dass Cannabis der Hirnentwicklung von Heranwachsenden schaden kann.
Studien, etwa vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung, kommen zu dem Schluss, dass sich Cannabis für das im Umbau befindliche Gehirn von Jugendlichen gravierender auswirkt als für Erwachsene. Besonders schlimm bei Cannabis sei die Gleichgültigkeit und Selbstaufgabe von Jugendlichen, die Kerstin Jüngling in ihrer Arbeit oft beobachtet.
Schüler möchten, das Eltern das Thema Drogen ernster nehmen
Doch die Debatte um Cannabis verschiebt sich mehr und mehr zugunsten einer liberaleren Haltung. Jüngling ist nicht prinzipiell gegen eine Regelung zu einer kontrollierten Abgabe und sieht darin auch Vorteile für die Präventionsarbeit. „Was mir aber gegen den Strich geht, ist, dass Legalisierungsbefürworter die Debatte oft sehr egozentrisch aus Erwachsenensicht führen wollen und ihre Vorbildrolle ignorieren.“ Bei Schulprojekten der Präventionsstelle kommt es deshalb auch häufiger vor, dass Schüler selbst anfangen, an Erwachsene zu appellieren, das Thema Drogen ernster zu vermitteln. Ihnen fehlt das Gegengewicht zu einer Welt, in der der Rausch in der Popkultur und Öffentlichkeit gegenwärtig ist.
Präventionsarbeit muss früh ansetzen, berichtet Kerstin Jüngling aus der Praxis: Ursprünglich habe sie Aufklärungskurse für Grundschulkinder der fünften und sechsten Klasse gegeben. Vermehrt würden sich aber Eltern bei ihr melden, die sich schon viel früher Aufklärungsarbeit wünschten. Für die hat sie noch einen Tipp: „Hören Sie auf ihr Bauchgefühl! Sprechen Sie auch mit anderen Eltern und dem Lehrer, vor allem beim Verdacht, dass Drogen in der Schule im Umlauf sein könnten.“ Auch externe Expertise sollte angefragt werden – nicht erst, wenn aus dem Probieren eine ernste Sucht geworden ist.
Was Eltern tun können:
Das Problem
Fast jeder fünfte Berliner Jugendliche im Alter von 16 bis 17 Jahren hat bereits Erfahrungen mit harten Drogen (außer Cannabis) gemacht. Alkohol ist das gängigste Suchtmittel: 87 Prozent der Altersgruppe haben bereits Erfahrungen damit.
Hilfe für Eltern
Schon im Grundschulalter (etwa ab zehn Jahren) sollten Eltern wachsam sein. Es ist wichtig, dass Eltern konsequent und frühzeitig reagieren, wenn sie bemerken, dass Kinder kiffen oder Alkohol trinken. Dann können sie sich Hilfe von außen holen: Das Netzwerk Frühintervention des Landes Berlin listet unter www.netzwerk-fruehintervention.de Drogenberatungsstellen und -projekte in den Bezirken auf. Die Fachstelle für Suchtprävention organisiert Fortbildungen und Projekte für Lehrer und Eltern (etwa Elternkurse zum Thema Cannabis). Informationen unter www.berlin-suchtpraevention.de oder der Telefonnumer 29 35 26 15.
Vortrag
Wie Eltern ihre Kinder vor Drogen schützen können, damit befasst sich auch ein Vortrag am Sonnabend, 21. November um 10.30 Uhr in der Hochschule für Technik und Wirtschaft in der Treskowallee 8 in Lichtenberg. Infos unter www.kinderuni-lichtenberg.de.
Henrik Nürnberger