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Mietenwahnsinn-Demo in Berlin: Einig im Protest, gespalten bei Enteignungen

Zehntausende haben in Berlin gegen hohe Mieten protestiert. Unter den Demonstranten war Linken-Politikerin Lompscher genauso wie FDP-Generalsekretär Czaja.

Zehntausende Menschen sind am Sonnabend in Berlin auf die Straßen gegangen und haben dort für bezahlbaren Wohnraum und gegen die seit Jahren steigenden Mieten protestiert. Am späten Nachmittag besetzten zeitgleich mehrere Personen ein leerstehendes Ladenlokal an der Kreuzberger Wrangelstraße. Bei der Räumung gab es teils heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei und bis zu 300 herbeigeeilten Sympathisanten. Die große Demonstration verlief hingegen friedlich. Wer allerdings Adressat der Proteste war und welche konkreten Schritte zur Problemlösung eingeleitet werden sollten – all das blieb zunächst unklar. Beziehungsweise war stark abhängig davon, wen man fragte.

Nehmen wir die Bausenatorin Katrin Lompscher: Um Verbesserungen für die Mieter zu erreichen, brauche es viele unterschiedliche Maßnahmen, sagte die Linken-Politikerin dem Tagesspiegel. „Wir erhöhen die Zahl der Wohnungen, auf die wir als Land Berlin Einfluss haben durch Neubau und durch Ankäufe. Wir arbeiten intensiv an einem Mietendeckel und wir streiten auf der Bundesebene für ein soziales Mietrecht.“

Die Senatorin nahm "als Privatperson" an der Demo teil

Ihre Teilnahme am Protestmarsch sei hingegen nicht Teil der Senatsarbeit, stellte eine Sprecherin der Senatorin klar. An der Veranstaltung nehme sie „als Privatperson“ teil, auf diese Feststellung legte sie Wert.

Was wiederum Kopfschütteln bei der Opposition provozierte. „Dass die Koalition in Berlin mitläuft, obwohl sie direkt für steigende Mieten in Berlin verantwortlich ist, weil sie den Neubau von Wohnungen scheut, ist perfide“, sagte Christian Gräff, wohnungspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus. Dass es Handlungsbedarf auf dem Wohnungsmarkt gibt, dass stritt aber auch Gräff am Sonnabend nicht ab: „Ich kann sehr gut verstehen, das Menschen in den Großstädten Angst vor steigenden Mieten haben.“

Und es war eine ganze Menge Menschen, die da durch die Stadt zog: die Veranstalter sprachen von rund 40.000 Teilnehmern, die am Mittag vom Alexanderplatz aus Richtung Kreuzberg zogen. Mit dabei waren auch Max und Bella, die ihrerseits zwar vorsichtig mit Schuldzuweisungen waren, aber wohl nichts einzuwenden hätten, würde sich jemand des Problems annehmen. Denn: „Fast alle Leute im eigenen Umfeld kämpfen mit steigenden Mieten“, sagte Max. Und Bella ergänzte: „Es traut sich jetzt schon niemand mehr auszuziehen aus seiner Wohnung, weil man sich nichts Neues leisten kann.“

Unterschriftensammlung für Enteignungsbegehren beginnt

Doch am sonnigen Sonnabend wurde nicht nur protestiert und sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe geschoben. Es wurden auch Unterschriften gesammelt: Denn zeitgleich mit der Demo startete auch ein bundesweit einmaliges Volksbegehren zur Enteignung von großen Wohnungskonzernen.

In Protestlaune: 40.000 Teilnehmer zählten die Demo-Veranstalter.
In Protestlaune: 40.000 Teilnehmer zählten die Demo-Veranstalter.
© imago images / Emmanuele Contini

Menschen in bunten Westen sammelten Autogramme, auf langen Tischen lagen Listen zum Unterschreiben aus. „Man sieht ja, was hier los ist“, sagte eine Frau in einer lila Weste der Initiative des Volksbegehrens. „Die Menschen stehen hier Schlange und unterschreiben die ganze Zeit.“ Ein 50-Jähriger sagte nach seiner Unterschrift: „Wir müssen Druck machen auf die Politik. Die hat es ja probiert mit der Mietpreisbremse. Aber das hat ja nicht geklappt.“

Das Volksbegehren fordert, dass Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden. Das Land Berlin soll die Wohnungen den Firmen zwangsweise abkaufen. Der Vorstoß zielt vor allem auf den Konzern Deutsche Wohnen, der in Berlin rund 112.000 Wohnungen besitzt und wegen seines Umgangs mit Mietern häufig in der Kritik steht.

Vor dem Start des Volksbegehrens hatten Wirtschaftsverbände, Politiker und der Bund der Steuerzahler vor der Enteignung großer Wohnungsunternehmen gewarnt. Ein Hauptargument ist, dass dadurch kein neuer Wohnraum entstehen würde.

Naturgemäß zeigten sich die Vertreter der FDP wenig erpicht von den Verstaatlichungsplänen. „Von einer milliardenteuren Enteignung würden nur zehn Prozent der Berliner Mieter profitieren“, sagt Sebastian Czaja, Generalsekretär der Berliner Liberalen, „Die Lasten trägt aber die ganze Stadt.“ Mit der gleichen Summe könne die „Koalition der Unvernunft“ mit einer die Mieten senkenden Wohnungsbauoffensive doppelt so viel zusätzlichen Wohnraum schaffen, der für Entlastung sorgen würde. Passend dazu schleppte Czaja ein Protestschild mit der Aufschrift „Bauen statt klauen“ durch die Gegend.

Unentschlossene Grüne

Die Grünen wiederum wirken in der Enteignung-Debatte noch unentschlossen. Parteichefin Nina Stahr sagte am Sonnabend, man lasse sich in der Diskussion darüber Zeit. Die Grünen seien aber „bereit für Gespräche“ mit der Initiative, wenn die erste Stufe des Volksbegehrens erreicht sei.

Aber es werde „keine einzelne Maßnahme geben, die unsere Probleme der steigenden Mieten löst“. Auch eine Enteignung würde nicht dafür sorgen, dass es überall bezahlbare Mieten geben werde. Bis man sich bei den Grünen endgültig festgelegt hat, wird noch etwas Zeit verstreichen: Mitte Mai soll eine Position zur Enteignung auf einem kleinen Parteitag verabschiedet werden.

FDP-Generalsekretär Czaja auf der Demo.
FDP-Generalsekretär Czaja auf der Demo.
© privat

Und der Regierende Bürgermeister Michael Müller? Der lehnt die Enteignung von Immobilienkonzernen ab, hat diesbezüglich aber noch Gesprächsbedarf mit seinen Mitgenossen, von denen einige die Verstaatlichung fordern. Auf der Demo suchte man den Sozialdemokraten am Sonnabend übrigens vergeblich - zwar hatte sich ein Demonstrant mit dem Konterfei des Verwaltungschefs geschmückt. Müller selbst aber war nirgend zu sehen - was daran lag, dass er gar nicht in der Stadt war. Stattdessen suchte er auf einer Konferenz in Uruguay mit anderen Bürgermeistern nach „Antworten“ auf die „Herausforderungen“, denen sich Großstädte derzeit ausgesetzt sehen, wie es im Programm der Konferenz heißt. Möge er in Montevideo fündig werden.

Mitarbeit: Julia Weiss, Sabine Beikler und Christoph Stollowsky

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