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Volksentscheid Tegel: Einflugschneisen-Anwohner gespalten bei Tegel

Was sagen die Fluglärmgebeutelten am Abstimmungstag zur Tegel-Frage? Ein Besuch in der Einflugschneise im Norden Berlins – selbst hier sind die Meinungen gespalten.

Anja Bothe verstummt mitten im Satz, wendet den Blick gen Himmel und wartet ab. Sie weiß: Es hat einfach keinen Sinn weiterzusprechen, denn über ihren Kopf donnert gerade ein Flugzeug hinweg. Die 43-Jährige sitzt in einem schicken Café im Pankower Florakiez. Seit sechs Jahren wohnt sie in der Einflugschneise, mittlerweile „gut trainiert“, wie sie sagt. Doch mit verkürzten Nächten wegen des Flugverkehrs kann sie sich immer noch nicht abfinden. „Ich wache morgens von den Flugzeugen auf“, sagt sie, bevor sie zum Pankower Rathaus aufbricht, wo sie den Rest des Tages als Wahlhelferin eingesetzt ist.

Bothe gehört zu einer Minderheit einer Zufallsbefragung am Tag der Tegel-Abstimmung, die sich später als erstaunlich repräsentativ herausstellt: Auf der Straße wie an der Wahlurne wollen die meisten Berliner, dass der alte Flughafen auch über die Eröffnung des BER hinaus geöffnet bleibt. Das gilt auch für diejenigen, die unter Fluglärm und Sicherheitsrisiko leiden: Fast zwei Drittel der Reinickendorfer stimmten für die Erhaltung Tegels. Die Pankower hingegen stimmten mehrheitlich dagegen – aber auch nur knapp.

Pankower sind gespalten

Die Familie von Nancy Hoffmann und Dietmar Kunert ist in der Tegel-Frage gespalten. Die beiden Pankower waren gerade mit ihren drei Kindern im Wahllokal. Hoffmann hat gegen die Offenhaltung gestimmt, weil sie die Diskussion für müßig hält. „Mich nervt der Lärm zwar gar nicht, aber es ist juristisch ja ohnehin entschieden, dass der Flughafen geschlossen werden muss“, meint die 36-Jährige. Kunert hat zwar für die Offenhaltung gestimmt, bricht am Abend angesichts des Ergebnisses für die Offenhaltung aber auch nicht in Jubel aus. „Ich habe so gestimmt in dem Bewusstsein, dass sich nichts ändern wird und dass Tegel geschlossen wird“, sagt der 38-Jährige. Er findet es aber trotzdem „interessant“, dass so viele Berliner für die Erhaltung sind.

Christina Mursinsky ist mit Lebensgefährten und Hund ebenfalls auf der Florastraße unterwegs, allerdings hat sie schon abgestimmt. „Klar nervt der Lärm“, meint die Ur-Pankowerin. „Wenn ich mir aber vorstelle, wir hätten nur Schönefeld – das geht doch auch nicht.“ Ihr Lebensgefährte Denny Meier fährt nach eigenen Worten lieber mit dem Auto nach Leipzig oder Hamburg als mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Schönefeld. Die beiden haben sich so sehr an den Fluglärm gewöhnt, dass sie keine Ohrstöpsel zum Schlafen mehr brauchen, und im Sommer schließen sie eben trotz Wärme die Fenster.

Eine Weltstadt brauche zwei Flughäfen, meint Mursinsky – und steht mit dieser Meinung nicht allein, auch im benachbarten Reinickendorf nicht. Jens Jacob ist vor einigen Monaten an die Humboldtstraße gezogen und hat sich schon an den Krach gewöhnt. „Wer hier wohnt, der weiß, dass hier Fluglärm ist“, so seine lakonische Haltung. Der 48-Jährige in sportlicher Radfahrermontur schließt gerade noch sein Fahrrad vor der Till-Eulenspiegel-Grundschule an, dann wird er seine Stimme für die Offenhaltung Tegels abgeben. „Jede Hauptstadt hat mindestens zwei Flughäfen, schauen Sie sich London an.“ Er befürchtet verstopfte Verkehrsadern, wenn Passagiere aus dem Berliner Norden in Zukunft in den Süden nach Schönefeld fahren müssen.

Reinickendorfer haben sich an Fluglärm gewöhnt

Die Reinickendorfer sind sowieso hartgesotten, was den Fluglärm angeht. Am Kurt-Schumacher-Platz, wo einem die startenden Flugzeuge gefühlt den Hut vom Kopf fegen, zieht Carmen Ziemniewitz gelassen an ihrer Zigarette. Sie ist fast täglich am „Kutschi“, entweder zum Umsteigen oder um sich mit Freundinnen zu treffen. „Klar stört es vor allem im Sommer, wenn man draußen sitzt und die Unterhaltung unterbrechen muss“, meint sie. In ihrer Wohnung in Nord-Reinickendorf bleibt sie vom Fluglärm weitestgehend verschont, kann dafür aber von ihrer Wohnung im elften Stock aus die abhebenden und landenden Flugzeuge beobachten.

Slavko Njezic darf heute zwar nicht abstimmen, denn als Serbe hat er kein Stimmrecht. Betroffen ist er aber dennoch, denn er wohnt seit 20 Jahren in der Einflugschneise. Dürfte er abstimmen, wäre er wohl unentschieden. Allerdings: „Ich fliege oft, deswegen mag ich es, nur eine Viertelstunde Anfahrt zum Flughafen Tegelö zu haben.“ Er habe gerade Besuch von Verwandten aus Bosnien, die genau wissen, wie sie entscheiden würden: Pro Tegel, „weil es so schön ist, über die Innenstadt zu fliegen, wenn man in Berlin ankommt“.

Keine Einigkeit gibt es also selbst bei den Lärmgeplagten. Anja Bothe fasst die Diskussionen in ihrem Freundeskreis so zusammen: „Wir sind doch alle faul: Die einen wollen es nicht so lange zum Flughafen haben, die anderen wollen gern schlafen.“

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