Architektur-Ausstellung: Eine Vision für das Berlin von 2050
Seit 20 Jahren traut sich kein Senat mehr an eine koordinierte Steuerung der Stadtentwicklung heran. Eine Ausstellung eröffnet die Debatte neu.
Um 60 000 Menschen wächst Berlin, jedes Jahr. Der Stadt gehen die Wohnungen aus. Als Nächstes werden die Büroflächen knapp. Die Berliner rücken zusammen, der Flächenverbrauch sinkt, mehr Menschen teilen sich eine Wohnung. Weil aber viele Migranten mit Kindern kommen, fehlt es an Schulen und Kitas.
In Pankow sind Busse und Bahnen überfüllt. Und auf der Avus wachsen mit den Pendlern, die sich keine Wohnung im Zentrum leisten konnten, Staus, Lärm und Feinstaubbelastung. Berlin wächst und platzt aus allen Nähten.
„Fangt endlich wieder an zu planen!“
Und was tut der Senat? Schützt die Sozio- oder Biotope: Mieter, Kleingärtner, Ostalgiker und Westberliner, bewahrt wie eine Mauer im Kopf den Flächennutzungsplan aus den autogerechten modernistischen 1960er Jahren und verlässt sich bei der Entwicklung der Stadt auf die Schließung von Lücken. „Fangt endlich wieder an zu planen!“ fordert nun Architekt und Hochschulprofessor Bernd Albers und eröffnet zusammen mit seinen namhaften Kollegen Wilfried Wang (Akademie der Künste), Barbara Hoidn (University of Texas), Silvia Malcovati (Potsdam School of Architecture) und Jan Kleihues die Debatte mit einer Bilderflut.
Fünf Gebiete in Berlin haben sie Studenten übertragen – Westkreuz rund ums ICC, Westhafen nahe Wedding, Karl-Marx-Allee, Charlottenburg-Nord, Niederschöneweide – und sie lassen die neue Architektengeneration aufräumen, umbauen und neu gliedern. Das Ergebnis sind Bilder eines neuen Berlin, vielfältiger, bunter, größer und – auch das: gewaltiger.
Eine Zumutung ist das, denn da werden Kleingärten rasiert, da wachsen Türme in die Höhe, die sanierten Platten an der Karl-Marx-Allee bekommen Nachbarn, die Öltanks im Westhafen verschwinden und die A 100 unterm ICC kriegt einen Deckel mit Neubauten oben drauf. Der Aufschrei wird kommen.
Eine neue Debatte muss her!
Das nehmen sie in Kauf, denn sie fordern eine Neuauflage der großen städtebaulichen Debatten in Berlin. Mitte der 1990er Jahre gab es diese zuletzt. Senatsbaudirektor Hans Stimmann erkämpfte gegen Widerstände von Koalitionspartner CDU das „Planwerk Innenstadt“.
Davon zehrt Berlin bis heute: Die Hochhäuser am Breitscheidplatz brachte der Plan hervor. „Berlin ist bis auf kurze Atempausen immer gewachsen“, sagt Albers – und Berlins Chefplaner haben immer mit Konzepten reagiert: Der Preuße James Hobrecht etwa, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Stadt entlang eines Systems von Ring- und Ausfallstraßen erweiterte. Die Bauausstellungen nach dem Krieg in Ost- und West-Berlin. Und nach der Wiedervereinigung: die Entwicklungsgebiete.
Und heute? „Wir verlieren uns im Klein-Klein“, sagt Maren Kern, Chefin des Wohnungsunternehmensverbandes BBU. Ihre Vorstellungen sind noch grundlegender: „Die Aufgabenteilung zwischen Senat und Bezirken müsste dazu überdacht werden und es bräuchte eine ressortübergreifende Steuerungsgruppe im Senat“.
Wer die Karl-Marx-Allee verdichten will, bekommt es mit Kultursenator Klaus Lederer (Linke) zu tun. Der kann den Denkmalschutz einsetzen, um Bewohner vor der Bebauung ihrer Parkplätze zu bewahren. Die Verkehrssenatorin gehört auch an Bord, um die Wege der Menschen in die neuen oder verdichteten Quartiere zu ebnen. Und die Bildungssenatorin entscheidet über den Neubau von Schulen, dabei müsste der mit Verdichtung und Verkehrsströmen im Quartier einhergehen.
Eine Chefsache ist es also eigentlich, doch der Senat begnügt sich mit behutsamen Reparaturen und Ergänzungen des Stadtbildes, als schütze noch die Mauer die West-Berliner vor Markt und Wettbewerb und die Ostberliner vor dem Klassenfeind. Von einer Debatte im Rosa-Luxemburg-Haus wird der Einwurf eines Zuschauers kolportiert: „Wie kann man Berlin abstoßender machen, damit weniger Menschen herziehen?“ Spiegelt das wirklich die Stimmung in der Stadt? Auch darauf würde eine Generaldebatte über Berlin 2050 die Antwort geben.
"Warum bauen die nicht woanders?" Das Neue als Gewinn wahrnehmen
„Ein Planwerk, das ist die Königsaufgabe für eine Bausenatorin“, sagt Albers. Den Widerstand gegen Neubauten am Rande des Tempelhofer Feldes führt er auch darauf zurück: dass eben keine Debatte über die Zukunft Berlins geführt wurde und das neue eben nicht als neues Quartier und Gewinn für Berlin wahrgenommen wurde.
Die Protestreflexe bei jedem Kiez-Neubau ebenfalls: Warum bauen die nicht woanders? Wer die langen heftigen Kontroversen scheut, hat auch keine Chance, „Euphorie“ auszulösen, der mit einem gemeinschaftlichen Aufbruch einhergeht – wenn die Kompromisse erst einmal gefunden sind.
„Berlin 2050 Konkrete Dichte“, Architektur Galerie Berlin, Karl-Marx-Allee 98, 10243 Berlin; 13. Oktober bis 11. November