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Christiane Fritsch-Weith in dem von ihr geführten Buchladen Bayerischer Platz.
© Kitty Kleist-Heinrich

Buchladen in Schöneberg: Eine Institution mit hundertjähriger Geschichte

Den „Buchladen Bayerischer Platz“ gibt es seit März 1919. Inhaberin Christiane Fritsch-Weith hält die Erinnerungen lebendig

Der März im Jahr 1919 ist in Berlin blutig. Die Novemberrevolution nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Abdankung des Kaisers befindet sich in ihrer Endphase. Die Arbeiterschaft beginnt einen Generalstreik, der fürs Militär zuständige Minister, der Sozialdemokrat Gustav Noske, verhängt den Belagerungszustand über die Stadt, es toben Straßenkämpfe zwischen Freikorpsgruppen und Linken.

In dieser turbulenten Zeit der „Märzkämpfe“ eröffnet Benedict Lachmann den „Buchladen Bayerischer Platz“. Die Adresse: Bayerischer Platz 13/14. Der Eingang ist in der Speyerer Straße. Es ist ein erlesener Standort. Im Quartier wohnt das gebildete Großbürgertum. Rund um den Platz haben sich teure Geschäfte angesiedelt. Man kann Austern essen, Champagner trinken.

In diesem Jahr ist der Buchladen 100 Jahre alt geworden. Eine Institution, die viel Geschichte erlebt hat und über die man viele Geschichten erzählen kann. Dafür sorgt Christiane Fritsch-Weith, die den Buchladen vor 44 Jahren übernahm. In ihrem Literaturkurier, dem wöchentlichen Online-Newsletter, den sie immer donnerstags an rund 2000 Interessenten versendet, hält sie die Erinnerung lebendig. Gerade in diesem Jubiläumsjahr.

Albert Einstein wohnte direkt um die Ecke

Der Buchladengründer Lachmann, in Westpreußen geboren, ist auch verlegerisch und schriftstellerisch tätig. Er ist Freigeist und Anarchist, gibt die Zeitschrift „Der individualistische Anarchist“ heraus, ist Mitglied der „Novembergruppe“, einer während der Revolution initiierten Künstlervereinigung, und dem ebenfalls 1919 gegründeten Bauhaus verbunden. Im Buchladen verkauft er die Eintrittskarten für die berühmten Kostümbälle der Bauhäusler und Dadaisten.

Zu seinen Kunden gehört Albert Einstein, er wohnt um die Ecke in der Haberlandstraße und ist ebenso wie Lachmann Anhänger Max Stirners, des Begründers des „Individualistischen Anarchismus“. Lachmann sitzt gerne im Romanischen Café, dem Berliner Treffpunkt von Literaten und Intellektuellen.

Der Buchladen liegt in der Grunewaldstraße 59 in Berlin-Schöneberg.
Der Buchladen liegt in der Grunewaldstraße 59 in Berlin-Schöneberg.
© Kitty Kleist-Heinrich

Mit Beginn der Nazizeit 1933 wird es für ihn aufgrund seiner jüdischen Herkunft immer schwerer. Nach und nach wird auch er seiner Rechte beraubt. 1937 verkauft er – noch vor der Zwangsarisierung – das Geschäft an seinen Mitarbeiter Paul Behr. Fritsch-Weith ist davon überzeugt, dass dieser kein Nazi war. „Mitglied in der Partei war Behr nicht“, sagt sie.

Ein Stolperstein erinnert an Benedict Lachmann

Ein weiteres Indiz sei, dass er 1939 Ernst Wiederholt als Geschäftsführer einstellt. Dieser habe sich als Maler mit dem Namen Sascha Wiederholt einen Namen gemacht. Wie auch Lachmann sei Wiederholt mit der Malerin Hannah Höch befreundet, die von den Nazis als entartete Künstlerin verfemt wird.

Lachmann wird im Oktober 1941 nach Lodz deportiert und kommt dort im Dezember desselben Jahres ums Leben. Vor dem Grundstück Bayerischer Platz 13/14 erinnert seit 2011 ein Stolperstein an den eindrucksvollen Mann, Individualisten und Buchhändler. Die Buchhandlung selber hat da schon lange eine andere Adresse.

In einer der schlimmsten Bombennächte im November 1943 wurde das Haus getroffen, der Laden zerstört. Martha Behr, die Frau des zu Kriegsbeginn zur Wehrmacht eingezogenen Paul Behrs, führt danach das Geschäft von zu Hause aus. Nach Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft betreibt Behr den Buchladen weiter an der Grunewaldstraße 59, wo er bis heute beheimatet ist, auch wenn es Jahrzehnte später unter der neuen Besitzerin Christiane Fritsch-Weith einen Umzug im selben Haus gibt.

Fritsch-Weith ist 25 als sie die Buchhandlung kauft

Sie kauft 1975 die Buchhandlung, kommt aus Darmstadt, hat dort ihre Buchhändlerausbildung gemacht hat und ist wenige Jahre zuvor nach Berlin gezogen. Fritsch-Weith ist damals 25 Jahre alt, hat zwei kleine Kinder und ist voller Tatendrang, etwas Neues zu machen. Wieder eine Zeit des Aufbruchs.

Die Buchhändlerin ist in all den Jahren erst die dritte Eigentümerin. Nobel wie einst ist der Bayerische Platz nach den Verheerungen durch den Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Aber eine erste Adresse ist er für Fritsch-Weith nach wie vor. Die heutige Nachbarschaft bezeichnet sie als „bürgerlich, aber nicht spießbürgerlich“, aufgeschlossen. Ein idealer Standort für eine inhabergeführte Buchhandlung.

Das Buchladen-Publikum sei "bürgerlich, aber nicht spießbürgerlich", sagt Inhaberin Fritsch-Weith.
Das Buchladen-Publikum sei "bürgerlich, aber nicht spießbürgerlich", sagt Inhaberin Fritsch-Weith.
© Kitty Kleist-Heinrich

Im Laden ziehen sich durch den gesamten Raum einfache, bis fast an die Decke reichende Regale aus hellem Holz und voller Bücher die Wände entlang. Ein unauffälliger Teppichboden ist verlegt. Hier ist kein Platz für Überflüssiges, was einen vom Buch ablenken könnte. Weiter hinten im Geschäftsraum steht ein roter Sessel, auf dem sich der Kunde unter einer Stehlampe mit orangem Schirm auch mal zum Stöbern niederlassen kann.

2015 und 2016 wurde der Buchladen mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet

Schweifen die Blicke eines Kunden unschlüssig über die Buchreihen hinweg, fragt die Buchhändlerin, ob sie helfen kann. Viele möchten einfach nur schauen. Aber wer die Frage bejaht, kann sicher sein, individuelle Empfehlungen zu erhalten, die sich nicht an den Bestsellerlisten orientieren. An 20 Freitagen im Jahr ist der Geschäftsraum Ort für Lesungen.

Bei manchen Terminen quetschen sich dann bis zu 100 Menschen auf dem engen Raum zwischen den Buchregalen, um den Autoren zuzuhören. Zweimal – 2015 und im Folgejahr 2016 – wurde der Buchladen für sein Engagement mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet.

Das Geschäft lebt durch seine vielen Stammkunden, natürlich aus der Nachbarschaft. Etliche Buchliebhaber kommen aber auch aus anderen Bezirken an den Bayerischen Platz, ein zweites Standbein ist inzwischen auch der Online-Buchshop. Versandriesen wie Amazon sieht Christiane Fritsch-Weith nicht als Bedrohung für ihr Geschäft.

Im Viertel leben inzwischen wieder viele Familien mit Kindern – ebenfalls wichtige Leser von heute und mögliche Kunden von morgen. Dass es am Bayerischen Platz den Buchladen einmal nicht mehr geben wird, kann Fritsch-Weith sich nicht vorstellen.

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