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Das Mauer-Panorama: Ein Stück Berliner Geschichte ist zurück

Die einen erinnern sich an ihre wilde Studentenzeit in Kreuzberg, andere an ihre Angst vor "den Russen". Das Mauer-Panoramabild von Yadegar Asisi am Checkpoint Charlie ist eröffnet – und bewegt die Zuschauer.

Es ist ein Stück gelebtes Leben, und jetzt kommt es zurück, an diesem Sonntagmittag in der dunklen Rotunde. Plötzlich und in dieser Wucht auch unerwartet. Es überfällt die Besucher, treibt Tränen in die Augen, öffnet innere Schleusen. Die einen erinnern sich an ihre Studentenzeit im wilden Kreuzberg der 80er Jahre: politische Diskussionen, Alkohol, sich ausprobieren in jeder Hinsicht. Für andere bringt es den Alltag in der Diktatur zurück: die Beklemmung, die Anpassung, die Suche nach ein bisschen Freiheit im Privaten. Seit Sonntag ist am Checkpoint Charlie das Panorama „Die Mauer“ von Yadegar Asisi zu sehen.

Dunkel und kalt ist es in der riesigen Rotunde, in der das Kunstwerk installiert ist. Aus Lautsprechern versichert die heisere Stimme Walter Ulbrichts: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Mit einem Mal fällt Licht auf das Panorama. Da ist sie, die Kreuzberger und die Ost-Berliner Szenerie: häuserhoch und todesstreifenbreit steht sie vor den Besuchern, fast 1:1. Vorne die Nischenkultur, die sich in den 80er Jahren in Kreuzberg entlang der Mauer eingerichtet hat: Autowerkstatt, Imbisswagen, Freaks an einem Lagerfeuer, die Aussichtsplattform mit den Touristen, die nach drüben schauen. Asisis Blick wandert mit ihnen von West nach Ost, über die monströse Grenzanlage hinweg zu den verfallenen Häusern, in denen hier und da ein Licht brennt.

Wiedersehen mit der Geschichte. Neuberliner Ralf Petersen bringt die Teilung Berlins seinem Sohn Finn nahe.
Wiedersehen mit der Geschichte. Neuberliner Ralf Petersen bringt die Teilung Berlins seinem Sohn Finn nahe.
© Mike Wolff

Auch im Ausstellungsraum gibt es eine Besucherplattform. Eine Weile steht eine Frau schon da oben und schaut und kann sich nicht losreißen. Sie schaut in den Osten. Sie ist 73 Jahre alt und kommt aus Halle. „Ja, so war es“, sagt sie. Aus dem Lautsprecher bellt die Stimme von DDR-Armeegeneral Heinz Hoffmann: „Wer unsere Grenze nicht respektiert, der bekommt die Kugel zu spüren“. Die Frau aus Halle presst die Lippen aufeinander, ihre Augen sind feucht. Die Beklemmung, die Angst, jetzt ist alles wieder da. Der Vater war in Russland in Kriegsgefangenschaft. Die Angst vor „den Russen“ hat sie nie verlassen. In der Ausfallstraße von Halle, wo sie wohnten, da habe sie die Panzer ja gesehen, mit ihren Kanonenrohren. Hätten genau in ihre Wohnung gezielt, sie hat sich das oft überlegt.

Die Bilder zur Eröffnung des Mauer-Panoramabilds:

'89 sind ihr Mann und die Kinder mit Kerzen nach Leipzig gefahren. Sie konnte nicht, sagt sie, saß wie gelähmt zu Hause, gelähmt vor Angst. Durch die Arbeit in der Behörde, die die Stasi-Unterlagen sichtete, habe sie nach der Wende allmählich die beklemmenden Gefühle verloren. „Ja, so war es“, sagt sie, „bedrückend aussichtslos.“

Neben ihr fachsimpeln westdeutsche Besucher: „Die Kneipe ’Gemütliche Ecke’ da drüben, die kenne ich, aber war die an dieser Stelle? Da gab’s doch keine Tankstelle?“ Ein anderer erwidert: „Aber die Schultheiss-Henne war da wirklich, direkt an der Mauer.“

Asisi hat Straßenzüge zusammengezogen, die in Wirklichkeit auseinander liegen

Yadegar Asisi hat Straßenzüge zusammengezogen, die in Wirklichkeit auseinander liegen, er hat verdichtet. „Es kommt aufs Atmosphärische an“, sagt er, während er an diesem Sonntag selbst durch die Ausstellung schlendert. Einige Besucher, die ihn erkennen, bedanken sich bei ihm für das großartige Erlebnis.

Werner Härtel hat 24 Jahre in Kreuzberg gelebt.
Werner Härtel hat 24 Jahre in Kreuzberg gelebt.
© Mike Wolff

„Er trifft die Atmosphäre hundertprozentig“, bestätigt Werner Härtel. 24 Jahre hat er in Kreuzberg gelebt und als Drucker gearbeitet. Heute wohnt er in Goslar. Er kannte einen indonesischen Asylbewerber in der Sebastianstraße, von dessen Wohnung man auf den Todesstreifen schauen konnte. Es ist diese Perspektive, die Asisi dem Panorama zugrunde gelegt hat. „Ich fahr nachher mal hin, in die Sebastianstraße, vielleicht wohnt der ja noch da“, sagt Härtel.

Alina (l.) und Cornelia Lux sind aus Hamburg zu Besuch in der Stadt und ließen sich das Mauer-Panorama nicht entgehen.
Alina (l.) und Cornelia Lux sind aus Hamburg zu Besuch in der Stadt und ließen sich das Mauer-Panorama nicht entgehen.
© Mike Wolff

Für Alina Lux, 14, ist das alles „ einfach weit weg“. Sie ist mit ihren Eltern aus Hamburg zu Besuch. „In Hamburg gibt’s diese historische Zeit gar nicht“, sagt Cornelia Lux, 47. Hier in Mitte begegne sie einem an jeder Ecke. Am Tag zuvor waren sie in der Willy Brandt-Ausstellung im „Forum Willy Brandt“ Unter den Linden – „auch sehr beeindruckend“. „Da wurde der Aufbau des Todesstreifens gezeigt und dass es nicht nur einfach eine Grenze war“, ergänzt Tochter Alina. „Schon interessant.“ Cornelia Lux schaut wie gebannt auf das Panorama. Diese Detailgenauigkeit! Der Camel-Mann auf der Werbung! Aus dem Lautsprecher tönt jetzt der Wetterbericht: „Neun Grad morgens, nachmittags 18 Grad erwartet.“ Jazzmusik dudelt aus einem Hinterhofradio. Alltag in Westberlin.

Asisis Panorama liegt ein klein wenig abseits des Touristenstroms. Ausländer zieht es vor allem zu den nachgespielten Soldaten am Checkpoint Charlie, viele spazieren an den Info- und Fotostellwänden an der Friedrichstraße entlang, werfen einen Blick in die neue „Black Box“. Zu Asisi kommen an diesem Sonntag viele deutsche Touristen. Über tausend werden es in den ersten sechs Stunden sein. Auch ein paar Berliner sind da: Die Kreuzberger Lehrerin, die manchmal schier verzweifelt, weil die Mauer für ihre Schüler so weit weg ist wie Otto der Große. „Ich zeige ihnen Fotos, auf denen Menschen in der Bernauer Straße aus den Häusern springen und sie zucken mit den Schultern.“ Sie will die Schüler hierherbringen. Der 67-jährige Steglitzer, der Familie in Pankow hatte. „Wir haben alles überstanden, jetzt genießen wir die gute Zeit“, sagt er und tritt in die Sonne hinaus.

Asisi Panometer, mindestens bis Ende September 2013, tägl. 10 bis 20 Uhr, Friedrichstraße/Ecke Zimmerstraße, Eintritt 10 Euro, erm. 8,50, Kinder ab 6 Jahren 5 Euro

Claudia Keller

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