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Mauerpanorama: Zurück in die 80er

Ein grandioses Panorama am Checkpoint Charlie zeigt den Maueralltag zwischen Mitte und Kreuzberg. Anwohner erinnern sich an die absurde Normalität der Teilung.

Helmut Hüllen zog vor 40 Jahren ans Ende der Welt. Sebastianstraße, Kreuzberg, vierter Stock, Blick auf den Mauerstreifen, Friedhofsruhe. Gestört wurde er nur von den fiesen Wachhunden, die dort an der Stahlleine hin und her liefen. Ab und zu entwischte ihnen ein Karnickel, dann bellten sie, als gelte es, einen Grenzverletzer zu stellen.

Die Mauer vorm Fenster, Bluthunde, Grenzsoldaten, diesseits der Mauer amerikanischen Soldaten mit Maschinenpistolen, die in Jeeps auf und ab fuhren – anfangs hat Helmut Hüllen das etwas irritiert. Dass die Wohnung billig war, war aber wichtiger. Und bald verschwand auch die Irritation. Die Amis bekamen hin und wieder wassergefüllte Luftballons auf den Helm, das war lustig. Müll flog aus irgendwelchen Fenstern über die Mauer und auch davor. Für beide Seiten waren die Grenzsoldaten der DDR zuständig, sie beseitigten den Müll zuverlässig und passten immer aufeinander auf, dass keiner in den Westen abhaut. Auch das war lustig. Und normal.

Einen guten Kilometer entfernt, am Checkpoint Charlie, wird am Sonntag ein riesenhaftes Panorama eröffnet, das – künstlerisch verdichtet – den damaligen Blick von Helmut Hüllen bietet: achtziger Jahre, Sebastianstraße, Mauer, öder Osten, buntes Kreuzberg. Eine Zeitmaschine für Berlintouristen. Sensationeller kann man Normalität nicht zeigen. Ein grandioser Blick zurück, der Berliner Ureinwohner, die sich noch erinnern können, in noch viel größeres Staunen versetzen dürfte.

Genau so sah es zwar nicht aus, damals, so viel war nirgends an der Mauer los, so tief ragte kein Mietshaus in den Grenzstreifen, jedenfalls nicht mehr in den Achtzigern. Aber das ist ganz egal. Wer die Gegend und die Zeitumstände kennt, weiß: So war es eben doch, genau so. Dieses abstruse Nebeneinander von sozialistischem Realismus, auch „Grenzregime“ genannt, und Kreuzberger Nischenkultur, zwei Welten, dicht an dicht, die nichts voneinander wussten und sich damit abfanden – abgesehen von den befremdeten Blicken der Grenzsoldaten von ihrem Wachturm aus und jenen der West-Berlin-Touristen auf der Aussichtsplattform. Auf der Westseite gab es so was ja. Alles ganz Normal.

Yadegar Asisi heißt der Mann, der das Panorama am Computer zusammengebastelt hat. Von ihm ist auch das Pergamonbild auf der Museumsinsel und ein paar weitere mehr oder weniger historische Großansichten in Dresden und Leipzig. In den Achtzigern hat er in Kreuzberg gelebt. In der Sebastianstraße wohnte ein Freund. Asisi erinnert sich, wie er bei ihm war und in der Kaffeetasse rührend auf das Grenzmonstrum herunterblickte. Er habe nichts dabei empfunden, kein Ausnahmezustand, kein Alarm. Das war für ihn, so sagt er, ein Antrieb, dieses Mauerbild zu machen, diese hyperrealistische Version seiner eigenen Erinnerung. Wie konnte es nur sein, dass man sich mit dem Wahnsinn abfand?

Helmut Hüllen, damals 20 und Student, heute 60 und Taxiunternehmer, lebt noch in derselben Wohnung und blickt seit Jahren auf eine zuwuchernde Brache, die mal Todesstreifen war. Etwas weiter rechts schaut er auf Neubauten, die in den letzten Jahren entstanden sind, Wohnungen, in die bestimmt kein armer Student einzieht, beste Wohnlage, schweineteuer, mitten in der Stadt.

Links steht noch das DDR-Wohnhaus, das ein paar Monate vor der Mauer dorthin gebaut worden war. Auf dem Panorama ist es gut zu erkennen. Heute sieht es lediglich etwas farbenfroher aus, und die Balkons sind größer.

Ruth Schernig wohnt seit Ewigkeiten dort, dritter Stock, Blick Richtung Kreuzberg, damals also ebenfalls auf den Todesstreifen, nur von der anderen Seite aus. „Todesstreifen“ hätte sie aber bestimmt nicht gesagt. Für sie war das eine Staatsgrenze, ein legitimer Schutzwall gegen Schmutz und Kapitalismus. Sie sah ja, wie die da drüben ihren Müll hinüberwarfen. Und einmal, sie hat vergessen, wann genau, hat jemand rübergeschossen. Es ist niemandem was passiert, aber ihr Fenster war kaputt. Zum Glück hat die Hausratsversicherung das bezahlt. Nachts hat sie die Jalousien herabgelassen.

Sie erinnert sich auch noch an die Patrouillen-Wagen der Amerikaner auf der anderen Seite, vor denen hatte sie Angst, nicht vor den DDR-Grenzsoldaten. Kein Wunder, sie war Chefsekretärin bei der NVA. In einem solchen Haus mussten zuverlässige Staatsbürger wohnen. Sie besaßen Ausweise, die sie vorzeigten, wenn sie nachhause kamen. Das Haus befand sich im Grenzsperrgebiet. Wenn jemand zu Besuch kam, musste man das vorher anmelden. „War aber gar nicht schlimm“, sagt Ruth Schernig. Normalität. Sie ist 83 und kann über diese alten Zeiten viel weniger staunen als über den neuen Elektroherd, den sie gerade bekommen hat, so einen mit einer glänzenden schwarzen Scheibe, die man prima sauber machen kann.

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