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Raed Saleh in der Obstallee. Jeder grüßt ihn hier, er wuchs hier auf.
© Rainer W. During

Berlin-Spandau: Ein Spaziergang mit Raed Saleh durch Staaken

Günstige Wohnungen, viele Sorgen. „Wir waren schon mal weiter“, sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh über seinen Heimatkiez Staaken.

Längst leuchten bei Einbruch der Dunkelheit keine blauen Fenster mehr in der Heerstraße-Nord. Sie sollten einst freie Wohnungen im Staakener Problemkiez signalisieren, in den kaum jemand ziehen wollte. Doch seit der rasante Bevölkerungszuwachs die Mieten in den Innenstadtbezirken so massiv steigen lässt, gibt es keinen Leerstand mehr.

Billigere Wohnungen als hier – Kaltmiete durchschnittlich 5,97 Euro pro Quadratmeter – sind in ganz Berlin kaum zu finden. Doch wer zwangsweise herziehen muss, tut sich oft schwer bei der Identifikation mit der neuen Heimat, und das macht die Probleme am westlichen Stadtrand nicht geringer.

Der Mann im dunklen Anzug entspricht nicht dem typischen Erscheinungsbild der Bewohner der Großsiedlung. Aber er wird hier ständig gegrüßt oder angesprochen. Der gebürtige Palästinenser Raed Saleh, 40, ist ab seinem fünften Lebensjahr im Blasewitzer Ring groß geworden, war Stammgast im Kinderclub an der Obstallee und nennt als seinen Lieblingsort im Kiez spontan den Spielplatz vor dem Haus, in dem er mit seinen Eltern wohnte.

Damals sei es hier auch schon ein hartes Pflaster gewesen, aber die Strukturen hätten gestimmt, blickt er zurück. Und es gab einen Kontaktbereichsbeamten, „vor dem hatten wir Knirpse Respekt“. Der kannte seine Pappenheimer und wusste, wen er suchen musste, wenn etwas passiert war. „Der sagte immer, ich erkenne meine Schweine am Gang.“

Heerstraße-Nord ist geprägt von Armut und Arbeitslosigkeit

Nach dem Abitur leitete Saleh zunächst die „Burger King“-Filiale in der Spandauer Altstadt, 2006 zog er für die SPD, der er seit 1995 angehört, ins Berliner Abgeordnetenhaus, wo er seit 2011 als Fraktionschef fungiert. Seit neun Jahren ist er auch Chef der Spandauer Sozialdemokraten. Auch wenn er längst in einem anderen Spandauer Bereich wohnt ist Saleh regelmäßig in seinem alten Kiez unterwegs. „Hier gibt es keine lautstarke Lobby, so versuche ich, ein Sprachrohr zu sein.“

„Vor zehn Jahren waren wir schon einmal weiter“, sagt Saleh zur Sozialstruktur. Die Heerstraße-Nord ist geprägt von Armut und Arbeitslosigkeit, fast jeder zweite Bewohner hat Migrationshintergrund. Der Magistratsweg teilt das 116 Hektar große Areal in die Obstalleesiedlung auf der Ost- und die Rudolf-Wissell-Siedlung auf der Westseite.

Rund 18.000 Menschen leben in den 7800 Wohneinheiten, die in den 60er und 70er Jahren von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften errichtet wurden. Von denen ist nur die Gewobag übrig geblieben, alle anderen Wohnanlagen haben seitdem wiederholt den Besitzer gewechselt.

Die 2800 Wohnungen der einstigen GSW wurden erst im vergangenen Jahr von ADO-Immobilien übernommen. Gerüste an einem Block am Blasewitzer Ring signalisieren, dass hier etwas geschieht und immerhin laufen jetzt abends für ein paar Stunden zwei Wachschützer Streife.

Drüben, auf der anderen Seite, am Pillnitzer Weg, gibt es keine Patrouillen mehr, seit die Mieter von Adler Real Estate selbst dafür zahlen sollten. So gibt es hier nächtlichen Vandalismus, lassen Alkoholiker ihre Flaschen dort fallen, wo sie leer getrunken sind und werden die vollen Müllsäcke schon einmal einfach aus dem Fenster geworfen, klagt Anwohner Klaus-Peter H.. Aus einem Hochhaus an der Obstallee fliegen dagegen eher Tomaten, wenn die davor heimische Trinkerszene wieder einmal zu laut krakeelt, berichtet Verena Steinke.

Die Hauptkommissarin leitet die Schwerpunkt-.Dienstgruppe, die der zuständige Polizeiabschnitt 23 extra für den Kiez eingerichtet hat. Die Heerstraße-Nord zählt zwar nicht zu den Berliner „Hotspots“, ist aber schon „unser Brennpunkt“, so Abschnittsleiter Werner Ipta. Immerhin ist die Zahl der Straftaten in der ersten Jahreshälfte rückläufig gewesen.

Kellereinbrüche, Fahrraddiebstähle, Diebstähle aus Kraftfahrzeugen und Sachbeschädigungen gehören zu den häufigsten Delikten im Areal zwischen Sandstraße und Pillnitzer Weg. Eine hohe Dunkelziffer besteht bei häuslicher Gewalt. Es fehlt an Schutz- und Fluchträumen nicht nur für weibliche Opfer, sondern auch für Männer, die von ihren Frauen aus der Wohnung geworfen werden, berichten Anwohner.

Mobile Polizeiwache für Staaken gefordert

Und auch der Handel und Konsum von Drogen ist ein zunehmendes Problem. Selbst auf Spielplätzen wird vor den Augen der Kinder gedealt und rivalisierende Gruppen liefern sich Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im Kiez, klagt Asmahan Er, eine fünffache Mutter, die sich im Kiez engagiert. Kinder und Senioren würden sich oft nicht mehr auf die Straße trauen. Von „gefühlter Unsicherheit“ spricht Klaus-Peter H. „Es ist keiner hier, der für Ordnung sorgt.“

Deshalb will Raed Saleh bei allen Vermietern auf eine Zielvereinbarung für mehr Sicherheit und Sauberkeit drängen. Und gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Swen Schulz (SPD) setzt er sich dafür ein, dass eine der fünf mobilen Polizeiwachen, die Berlin beschafft, ihren Standort am Einkaufszentrum in der Obstallee erhält.

Das hat der Innensenator inzwischen in Aussicht gestellt. Von den Anwohnern, die den Politiker beim Rundgang mit dem Tagesspiegel ansprechen, gibt es durchweg Zustimmung.

Nur beim Quartiermanagement ist man nicht begeistert. Ebenso beklagenswert wie wilde Müllplätze, Trinkermilieu, Drogenhandel und Kellereinbrüche sei, dass die Heerstraße-Nord immer wieder herhalten müsse, „wenn sich Politik in Fragen der inneren Sicherheit profilieren will“, schimpft dessen Leiterin Cornelia Dittmar in der Kiezzeitung „Treffpunkt“. Tatsächlich sei es hier sicherer als in anderen Teilen Spandaus.

Das Ende Berlins. In den Hochhäusern leben 18.000 Menschen. Der Kiez hatte schon früher einen schwierigen Ruf.
Das Ende Berlins. In den Hochhäusern leben 18.000 Menschen. Der Kiez hatte schon früher einen schwierigen Ruf.
© Imago/Schöning

Und der Quartiersrat sowie das Bildungsnetz Heerstraße würden gerade ein paar kreative Aktionen gegen Drogen und Vermüllung planen. Ein viel größeres Problem, dass die Polizei nicht richten könne, sei die Tatsache, dass drei von vier Kindern von Armut betroffen sind, so Dittmar. Um ihnen bessere Chancen zu geben, benötige man mehr Lehrer und Erzieher, Beratung, Sozialarbeit, präventive Projekte und leistbare Mieten.

Saleh weist den Vorwurf, seinen Kiez schlecht zu reden, von sich. Um Hilfe zu bekommen, müsse man aber Probleme auch öffentlich ansprechen und darauf achten, nicht in Vergessenheit zu geraten. So sei bereits 2005 das Quartiersmanagement eingerichtet worden, in das seitdem laut Senatsangaben rund 16 Millionen Euro geflossen sind. Am Beispiel der Christian-Morgenstern-Grundschule habe sich gezeigt, dass es richtig ist, im Rahmen des Brennpunktschulen-Programms die besten Leute an die schwierigsten Schulen zu schicken. Heute genieße die Bildungsstätte dank ihrer engagierten Lehrer einen guten Ruf. Und seit Kurzem liegt die Heerstraße-Nord im neuen Fördergebiet des Stadtumbau-West. Das bedeutet einen zweistelligen Millionenbetrag für Verbesserungen.

Saleh trifft immer seltener Alteingesessene, die einst freiwillig in die Siedlung gezogen sind. „Die es schaffen, ziehen weg, von meinem Schuljahrgang wohnt keiner mehr hier. Wir müssen den Leuten zeigen, dass sie nicht allein sind. Die schon lange hier wohnen, müssen ihren Kiez wieder als Heimat begreifen, die Verdrängten hier eine Heimat finden. Für Kriminelle muss es klare Grenzen geben.“

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