East Side Mall: Ein Rundgang durch das neue Viertel an der Spree
Sieben bis zu 140 Meter hohe Hochhäuser entstehen an der East Side Gallery in Berlin. Hier soll ein neues Business-Viertel geschaffen werden.
Der Rucksackmann – grauer Pferdeschwanz, filterloser Zigarettenstummel an den Fingern, verbeulte Jeans – blickt von der Warschauer Brücke auf die Baustelle der „East Side Mall“, die hier bald eröffnen soll. Davor ist der East Side Tower geplant, ein 140 Meter aufragendes Bürohaus. „Die sind doch verrückt.“ Der Friedrichshainer aus dem Altbauviertel jenseits der Gleise, 63, ehemals Kinobetreiber, jetzt „Hartzer“, hat noch nie in einem Büroturm gearbeitet. Für klassische Kiez-Berliner seien die Neubauwürfel rund um die Mercedes-Benz-Arena jedenfalls nicht geeignet. Das Business-Viertel des US-Investors Philip Anschutz rage „wie ein Keil aus Mitte“ ins Friedrichshainer Soziotop. Für den Rucksackmann eine künftige No-Go-Zone.
Der „Business- and Entertainment-District“ befindet sich inzwischen auf der Zielgeraden, fast alle Grundstücke sind verkauft, diverse Blöcke und Wohntürme werden gerade hochgezogen, das künftige Image lässt sich bereits an den fassadenhohen Werbetransparenten ablesen: Hart arbeiten, viel konsumieren, ausgiebig feiern. Junge Neuberliner wohnen hier, sagt der Hausmeister der Blöcke „Am Postbahnhof“, Singles und Pärchen aus Holland, Spanien, Griechenland. „Viele arbeiten bei Zalando, Mercedes oder BASF“, also gleich nebenan. Zalando erweitert seinen „Campus“ mit mehreren tausend Mitarbeitern.
400 Millionen für den 140-Meter-Turm
Der 140-Meter-Turm wird das Viertel überragen und als Landmarke auch charakterisieren, die Bauphase soll bis 2021 dauern, investiert werden rund 400 Millionen Euro. Mieter gebe es noch nicht, sagt Martin Rodeck, Chef der OVG Real Estate Deutschland, die den Turm mit einem Partner entwickelt. Bei dem gegenwärtigen Boom am Büromarkt ist das wohl kein Problem.
Vor ein paar Tagen waren die Planer aus dem Büro von Bjarke Ingels Group (BIG) aus Kopenhagen im Baukollegium des Senats, um erste Entwürfe zu präsentieren. Die Resonanz war gut, nur fehlten den Gutachtern optische Bezüge zur Umgebung, zum kulturellen Wildwuchs auf dem RAW-Gelände oder zum Kreuzberger Wrangelkiez – essenziell für das Lebensgefühl der Bewohner und die Attraktivität der Stadt, auch wenn die Berliner Subkultur nur noch in Nischen existiert.
Auf dem Turmdach ist eine öffentliche Terrasse geplant, auch der Sockel soll sich zum Kiez öffnen. Was das genau bedeutet, ist noch unklar. Auf jeden Fall werde man viele Fahrradparkplätze anbieten, sagt Rodeck. Außerdem soll jeder Büromieter auf seiner Etage ins Freie treten können, daher sind stufenartig versetzte, begrünte Öffnungen der Fassade geplant. Ein „nachhaltiges Gebäude“ soll es werden. Die Architekten sollen den Entwurf jetzt überarbeiten und dann erneut dem Baukollegium vorstellen.
Las Vegas statt Berlin
Vor der Arena baut die Anschutz Group selbst an der Erweiterung des „Entertainment“-Angebots, mit großem Multiplex-Kino, Bowlingcenter und einer weiteren Veranstaltungshalle für Konzerte und Kongresse mit 4500 Plätzen. Eingefasst vom Gebäudespalier soll bis zum Herbst der „Mercedes-Platz“ entstehen, mit Granit gepflastert, beschattet von Platanen, erkennbar als ein „typischer Berliner Stadtplatz“, erklärte Projektleiter Michael Kötter beim Richtfest. Angesichts der geplanten riesengroßen Videostelen sehen Spötter eher Las Vegas als Pate.
Ein zweiter Potsdamer Platz könnte zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke entstehen, was Kultur und Unterhaltung anbelangt, die vielen Hotels und Bürobauten erinnern eher an die Europacity am Hauptbahnhof. Schließlich liegt auch das Anschutz-Quartier an einem Bahnhof, der früher den Titel Hauptbahnhof tragen durfte, obwohl die Umgebung nicht danach war. Ein Betonwerk stand hier früher, neben verwilderten Gleisen eines Güterbahnhofs, ein ökologisches Refugium für Nachtigall und Marder, an das sich der Rucksackträger noch wehmütig erinnert.
Durchgehend weibliche Straßennamen
Das Viertel wird architektonisch nicht uniform geraten, es gibt unterschiedliche Fassadengestaltungen, zum Daimler-Schwarz kontrastieren die weißen Türme der Wohnhäuser am Postbahnhof und des Living-Levels-Turm am Spreeufer. Es gibt sogar warme Terracotta-Fassaden mit breiten Fensteröffnungen im Stil früher Industriearchitektur. Nur könnten die meisten Gebäude im engen Straßenraster des Quartiers auch in New York oder London stehen.
Berlin offenbart sich eher in kleinen Details wie dem Pflaster des Mercedes-Platzes. Oder in den durchgehend weiblichen Straßennamen, nach dem Willen der Bezirksverordneten vergeben. Ob Tamara Danz, die Ikone der DDR-Musikszene, oder Valeska Gert, die Erfinderin des modernen Ausdruckstanzes, zu den polierten Fassaden von Auto- und Digitalwirtschaft passen, darf man bezweifeln.
Die Wohntürme Max und Moritz waren ebenfalls der Versuch, per Namensgebung ein wenig vom kiezig-vorwitzigen Zille-Berlin aufleben zu lassen, doch das Projekt geriet ins Stocken und heißt nach einem Eigentümerwechsel jetzt „Upside Berlin“, schon der Name verweist auf das gehobene Ausstattungsprogramm der Wohnungen mit Kaufpreisen bis weit über eine Million Euro. Rund 90 Meter hoch sollen die Türme bis 2020 wachsen. Am Ende werden sieben Hochhäuser im Quartier stehen, von 50 bis 140 Meter. An diesen im internationalen Maßstab mittleren bis niedrigen Hochhausmaßen lässt sich die Berliner Geist, der stets verneint, noch am deutlichsten wiedererkennen.
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