COPD: Ein Leben lang Atemnot
Wer raucht, muss damit rechnen, eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) zu bekommen. Der Name sagt es schon: Sie ist nicht heilbar. Ein Besuch im Helios Klinikum Emil von Behring.
Für ein Krankenhauszimmer ist es hier richtig hübsch. In der Ecke lockt ein Erker mit bodentiefen Fenstern, in dem man angenehm sitzt. Der Blick geht auf herrliche, im niederländischen Stil gemauerte Zehlendorfer Wohnhäuser und auf Bäume, die demnächst knospen werden. Alles vermittelt ein Gefühl von Frühling und freudiger Erwartung. Angelika Brandstetter (Name geändert) blickt auch nach draußen, aber von Freude kann bei ihr nicht wirklich die Rede sein. Schlapp wirkt sie, ausgemagert. Ihre Augen allerdings, die blitzen hell, und viel erzählen kann die 73-Jährige immer noch. Vor vier Tagen wurde sie von ihrer Tochter hierher gebracht, in die Lungenklinik Heckeshorn im Helios Klinikum Emil von Behring. Weil sie eine Exazerbation erlitten hat, so nennen Mediziner eine rapide Verschlimmerung des Gesundheitszustandes. Schlecht geht es Angelika Brandstetter schon länger, genauer gesagt: seit drei Jahren. Aber erst seit zwei Jahren weiß sie, dass sie an einer COPD leidet, einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung, umgangssprachlich auch Raucherlunge genannt. Schnell bekommt sie Atemnot, muss häufig husten. „Wissen Sie, ich habe geraucht“, sagt sie fast beiläufig. Dass sie die Vergangenheitsform benutzt, ist wichtig. Denn als bei ihr vor zwei Jahren die COPD eher zufällig, beim Röntgen, diagnostiziert wurde, hat sie sofort damit aufgehört.
„Ich sage immer, es gibt drei Ursachen für eine COPD“, sagt Torsten Bauer: „Rauchen, Rauchen und Rauchen.“ Bauer ist Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Helios Klinikum Emil von Behring, die zusammen mit dem Thoraxzentrum die Lungenklinik Heckeshorn bildet und von Berlins niedergelassenen Ärzten am häufigsten zur Behandlung einer COPD empfohlen wird. In seinem Büro erläutert Bauer die Funktion der Lunge. Ihre Bedeutung, sagt er, zeige sich schon daran, dass sie doppelt vorhanden sei, „paarig“, wie die Mediziner sagen. „Und anders als bei der ebenfalls paarigen Niere können wir den Verlust eines Lungenflügels nur sehr schlecht verkraften.“ Der Mensch ist als Fluchttier gebaut: große Augen, schnelle Beine und eine Lunge, die ihre Atemkapazität auf das 40-Fache ausdehnen kann. Was aber schon Teil des Problems ist, denn Lungenschäden bemerken wir aus diesem Grund auch erst sehr spät.
Wenn die Patienten die 40 überschritten haben, geht es los
Die Haupt-, ja fast einzige Aufgabe der Lunge besteht darin, Sauerstoff ins Blut und umgekehrt Kohlendioxid in die Luft zu bringen. Deshalb setzt sie sich zusammen aus einem luftführenden Teil (den fein verästelten Bronchien) und einem blutführenden Teil (den Gefäßen). Der eigentliche Gasaustausch findet in den Alveolen (Lungenbläschen) statt, die weintraubenartig am Ende der Bronchialgänge sitzen. Schätzungsweise 300 Millionen solcher Alveolen hat der menschliche Körper, sie können in einer quasi unendlichen Fältelung zusammen eine Oberfläche von bis zu 120 Quadratmetern bilden. Sind sie entzündet und bildet sich Eiter in den Bläschen, spricht man von einer Lungenentzündung. Wird diese Entzündung chronisch, hört sie also nicht mehr auf, liegt eine COPD vor. Torsten Bauer demonstriert die Rolle, die Zigarettenrauch bei der Entstehung der Krankheit spielt, indem er mit dem Finger über seinen Handrücken schabt, immer und immer wieder: „Wenn ich das drei Tage lange mache, ist die Haut irgendwann durch. Das passiert in den Alveolen: Ihre Membran zerreißt.“
Ja, es gibt neben Rauchern auch andere Risikogruppen: Allergiker, Asthmatiker oder Menschen, die beruflich regelmäßige schädlichen Stoffen ausgesetzt sind. Aber die Statistik spricht eine klare Sprache: 70 Prozent aller COPD-Patienten sind Raucher, und zwar langfristig, weil man eine gewisse Zeit lang geraucht haben muss, um die Krankheit zu entwickeln. Fast immer sind Patienten 40 Jahre und älter. „In einer Zigarette befinden sich rund 1500 Inhaltsstoffe, darunter sehr viele noxische, also schädliche“, erklärt Torsten Bauer. Das Tückische: nicht alle Raucher entwickeln mit Sicherheit eine COPD, es gibt keinen direkten Dosis-Wirkungs-Bezug, eine gewisse individuelle körperliche Disposition ist ausschlaggebend. Und so nehmen sich viele Raucher Menschen wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt zum Vorbild und hoffen, dass es sie schon nicht treffen werde.
Angelika Brandstetter ist bei Torsten Bauer in Behandlung. Seit zwei Jahren hat sie keine Zigarette mehr angerührt: „Dort im Schrank habe ich noch eine Schachtel mit sechs Stück“, erzählt sie lachend. Symbolisch und als Erinnerung, so wie wenn man jahrelang eine leckere Schokolade, die nicht mehr hergestellt wird, aufbewahrt, ohne sie zu essen. Angelika Brandstetter lebt in Lichterfelde. 1970 zog sie nach Berlin, wo ihr Vater lebte, den sie zwei Jahre zuvor überhaupt erst kennengelernt hat. In Berlin unterrichtete sie als Vorklassenleiterin Fünf- und Sechsjährige. Während sie das erzählt, merkt man, dass sie die die Sprachmelodie ihrer Geburtsstadt Wien nie verloren hat.
Viele erkennen den Nutzen eines sofortigen Raucherstopps nicht
Dass sie nach der Diagnose sofort mit dem Rauchen aufgehört hat, ist ungewöhnlich – aber gut. Viele COPD-Patienten tun das nicht, weil sie den unmittelbaren Nutzen nicht erkennen. Die Erkrankung ist nicht heilbar, jede Therapie kann nur lindern und ist lebensbegleitend bis zum Tod. Der lässt sich aber mit einem sofortigen Rauchstopp und entsprechender Behandlung durchaus hinauszögern, wie die sogenannte Fletcher-Kurve belegt, die die Kapazität der Lunge in einen Zusammenhang mit der Lebenserwartung bringt. Viele sind, wenn sie merken, dass mit ihrer Lunge etwas nicht stimmt, auf der Kurve bereits weit rechts, also in fortgeschrittenem Alter. Kurz gesagt: je früher die Diagnose COPD gestellt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, desto höher ist die Lebenserwartung sowie – und das ist wichtig – die Lebensqualität. Die wird zum Beispiel extrem eingeschränkt, wenn man nur noch mit einem tragbaren Sauerstoffgerät vor die Tür gehen kann. Aber dazu gleich mehr. Torsten Bauer jedenfalls rät jedem rauchenden Menschen, sich regelmäßig herauszufordern: zu laufen, Fahrrad zu fahren. Warum? Weil man so am besten herausfinden kann, wie belastbar die eigene Lunge eigentlich noch ist. Eine COPD muss übrigens nicht zwingend zu Lungenkrebs führen. „Andersherum allerdings trifft es zu, dass bei fast allen Lungenkrebsfällen eine COPD vorhergegangen ist“, sagt Torsten Bauer.
Zu den vergleichsweise harmlosen Therapien einer COPD gehört die Inhalation – weil sie zu Hause erfolgen kann und nur zwei Mal am Tag durchgeführt werden muss. Mit einem kleinen Gerät sprüht der Patient einen feinen Nebel in die Lunge, ein sogenanntes Aerosol. Die vielfältigen Wirkstoffe, die es enthält, haben alle das gleiche Ziel: entweder die Entzündung zu hemmen und die geschwollenen Schleimhäute der Bronchien zu beruhigen oder ihre verkrampfte Muskulatur zu entspannen, um besser atmen zu können. Patienten berichten häufig, dass es ihnen nach einem Rauchstopp erst einmal schlechter geht als vorher. Das hat einen einfachen Grund: Die natürliche Reinigung der Bronchien wird durch Zilien durchgeführt, mikroskopisch kleine Härchen, die den Staub in der Luft in Richtung Luftröhre, also Ausgang scheuchen. Sie sind nach der jeweils letzten Zigarette für acht Stunden lahmgelegt. Da kein Raucher bis zur nächsten Fluppe acht Stunden wartet, sind die Zilien quasi dauergelähmt. Aber: „Die Zilien sind sehr geduldig“, erklärt Torsten Bauer, „selbst nach 15 Jahren geraten sie wieder in Bewegung.“ Aber für den Patienten ist das ungewohnt.
Die letzte Hoffnung in Berlin
Wesentlich stärker in den Alltag greifen andere Maßnahmen ein, die stationär erfolgen und an deren Ende meist ein Sauerstoffgerät steht, das je nach Patient nur nachts oder auch tagsüber bis zu 16 Stunden am Tag eingesetzt werden muss, alles in der eigenen Wohnung. „Das sind keine Extremfälle, sondern der Normalfall“, sagt Torsten Bauer. 571 Patienten habe seine Klinik 2016 stationär behandelt. „Wir sind häufig die letzte Hoffnung in Berlin. Zu uns kommen die Patienten, wenn alle anderen Therapien fehlgeschlagen sind.“ Auch Angelika Brandstetter bekommt jetzt ein Sauerstoffgerät. Denn an der Exazerbation, also der Verschlimmerung ihres Zustandes, ist ein Infekt schuld, der die Sauerstoffwerte in ihrem Blut unter die für ein solches Gerät notwendige Grenze getrieben hat. Dazu kommt brauner Auswurf beim Husten, das sogenannte Sputum – für Lungenärzte wichtiges Indiz, wie schlecht es um den Patienten oder die Patientin steht.
Gerade weil viele den Sinn eines sofortigen Raucherstopps nicht gleich einsehen, sind Ärzte und Pflegekräfte an der Klinik für Pneumologie angehalten, mit den Patienten über Rauchentwöhnung zu sprechen. Dafür gibt es ein spezielles Programm. Auch eine Reha gehört zu den unterstützenden Maßnahmen – um den Körper wieder in Bewegung zu bringen und die Abwärtsspirale, in der sich COPD-Betroffene häufig verwickeln, zu durchbrechen. Denn wer merkt, dass er nicht mal mehr zur Bushaltestelle laufen kann, ohne in Atemnot zu geraten, lässt häufig auch das sein. Isolation ist die Folge. Die Reha findet meist in Brandenburg statt – „was kein Drama ist, nur Berliner empfinden es häufig so“, sagt Torsten Bauer mit dem ihm eigenen trockenen Witz.
„Ich soll jetzt öfter mit kurzen, rhythmischen Stößen ausatmen“, sagt Angelika Brandstetter, während sie wieder aus dem Fenster nach draußen blickt. Die Technik heißt Stenoseatmung, auch sie soll helfen, die Luftwege zu erweitern. Angelika Brandstetter hat eine COPD des höchsten Schweregrads vier. Im Durchschnitt bleiben die Patienten elf Tage auf Station, auch bei ihr wird es noch ein paar Tage dauern, bis sie wieder nach Hause kann – mit Sauerstoffgerät, zunächst für sechs Wochen. Sie wirkt nicht bitter, eher entspannt, nüchtern, ohne Illusionen. „Die COPD wird nie mehr weggehen.“ Das ist ihr bewusst. Also lebt sie mit ihr.
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Udo Badelt