Sich als Vater zum Affen machen: „Ein Lastenrad ist die letzte Kapitulation vor dem Kind“
Die Vaterliebe unsers Kolumnisten kennt keine Grenzen. Nur einem Berliner Trend verweigert er sich kategorisch.
Ich bin Vater. Und obwohl meine Freundin oder vielmehr meine Ex-Freundin – aber das ist eine ganz andere Geschichte – sich deutlich mehr um das Kind kümmert – auch das ist eine andere Geschichte – kenne ich mich ein bisschen aus mit dem Kind.
Es gibt Tests im Internet, die zeigen sollen, wie wenig manche Väter über ihr Kind wissen. Aber ich schneide da relativ gut ab. Ich kenne die aktuelle Windelgröße und ich kenne ungefähr die Kleidergröße. Ich weiß sogar, wie mein Kind heißt und wann es geboren ist. Kein Scherz, so etwas in der Art wird da wirklich abgefragt.
Was sind das denn für Väter, die so etwas nicht wissen? „Mein Kind heißt Leon oder Luis, auf jeden Fall etwas mit L und ist ungefähr im Sommer oder Herbst 2017 geboren. Seine Kleidergröße ist klein und die Windelgröße liegt grob zwischen zwei und sechs.“ Na ja …
Ich auf jeden Fall komme generell ganz gut mit Kindern klar. Nicht nur mit meinem Sohn, eigentlich mit allen Kindern. Kinder mögen mich. Ich nehme die Welt nicht so ernst und begreife sie gleichzeitig als riesiges Wunder. Das gefällt denen. Denn genau so verhalten sich selbst. Ich mag außerdem lauter ungesunde Sachen, Dinosaurier und Zeichentrickfilme, dafür aber nicht Zähneputzen. Ich popele – wenn niemand hinsieht – in der Nase und finde Pupsen oft lustig.
Wenn ich auf Kinder treffe, merken sie schnell, dass ich einer von Ihnen bin. Wenn mich einer der kleinen Scheißer in einem seltenen Fall noch nicht unmittelbar ins Herz schließt, helfe ich mit Grimassen oder kleinen Bestechungen in Form von Süßigkeiten nach. Spätestens dann ist das Schokoladeneis zwischen uns gebrochen.
Bücher, die mich überhaupt nicht interessieren? Kein Problem!
Andere Erwachsene denken vielleicht, ich bin ein bisschen infantil, aber Kinder begreifen: Das ist einer von uns!
In meiner Vaterrolle habe ich auch kein Problem damit, mich komplett zum Affen zu machen. Eigentlich ist das sogar die wichtigste Sache, wenn man Kinder hat: Man sollte keine Problem damit haben, ständig peinliche, entwürdigende oder unangenehme Dinge zu tun. Das ist die halbe Miete der Puppenstube.
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Ich putze breit verteilte Fäkalien vom Hintern und sogar aus den feinen Fältchen des Hodensacks. Ich lege mich widerwillig neben ihn, bis er endlich nach zwei Stunden eingeschlafen ist. Ich lese Bücher vor, die mich überhaupt nicht interessieren. Ist mir vollkommen egal, ob aus dieser Raupe mal ein Schmetterling wird, wenn sie nimmersatt Zeug in sich hereinstopft.
Ich habe akzeptiert, dass mein Kind gerne Duplosteine aus Kisten wirft, aber der umgekehrte Weg meist meine Aufgabe ist. Wenn er unbedingt das dreckige Lieblingsshirt anziehen will, ziehe ich es ihm eben an, obwohl andere Menschen im Restaurant sicher denken, ich wäre ein Rabenvater. Und natürlich mag der feine kleine Herr nur zwei Gemüsesorten: Pommes und Püree.
Ich hasse Henriette!
Okay, okay. Dann gibt es heute Abend eben Fritten mit Kartoffelstampf. Und zwei Eis zum Nachtisch. Und zum Einschlafen noch fünf mal diese unglaublich langweilige Geschichte von der Bimmelbahn Henriette, die nichts macht außer doof in der Gegend herumzufahren. Ich hasse Henriette! Aber ich mache alles für meine persönliche kleine Raupe Nimmersatt.
DOCH EINE SACHE MACHE ICH NICHT! Da weigere ich mich. Diesen Luxus wird er nie erfahren. So kaputt bin ich noch nicht.
In Berlin sieht man immer mehr von diesen „praktischen“ Lastenrädern. Väter und Mütter packen ein bis drei Kinder meist im vorderen Teil des Fahrzeugs in eine Art Loge, in der die Kleinen dann durch die Stadt gefahren werden. Das ist sicher auch wirklich super praktisch. Aber da mache ich keinesfalls mit. Ich fahre schon ohnehin nicht gerne Fahrrad, und erst recht nicht werde ich mein Kind wie früher die Könige in einer Sänfte durch Neukölln kutschieren.
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Ein Lastenrad ist für mich die letzte Kapitulation vor dem Kind. Man macht doch ohnehin schon so ziemlich alles, was es will, und dann soll man ihn noch in einer überdimensionierten Kiste am Landwehrkanal entlang hofieren? Während man selbst schwitzt und bestimmt überall anstößt? Nicht mit mir!
Der soll laufen. Oder schnell seinen Führerschein machen. Oder sich ein Taxi nehmen. Wobei da natürlich fraglich ist, woher er als Dreijähriger das Geld dafür bekommt. Muss er sich halt einen Job suchen. Vielleicht benötigt ein Berliner Unternehmen gerade dringend jemanden, der sehr gut Duplo aus Kisten schmeißen kann.
Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.
Peter Wittkamp
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