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:Vor dem Stich: Unser Autor Lothar Heinke vorm Impfzentrum im Wedding
© Kitty Kleist-Heinrich

So erlebte unser Autor seine Corona-Impfung: „Ein kleiner Piks für den Menschen, ein großer für die Menschheit!“

Tagesspiegel-Autor Lothar Heinke hat seine erste Anti-Covid-Spritze im Erika-Heß-Stadion bekommen – und war beeindruckt vom freundlichen Service.

Am Freitag kam der dicke Brief – 20 Seiten lang – mit der „Einladung zur Impfung gegen Sars-CoV-2“. Die Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung schreibt: „Die Impfung ist kostenlos und freiwillig.

Um in kurzer Zeit eine große Anzahl von Personen impfen zu können, haben wir sechs Impfzentren eingerichtet. Für einen vollständigen Impfschutz werden zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen benötigt“.

Die Senatorin lädt mich herzlich ein, unter einem Terminbuchungscode zwei Termine für die Impfungen zu vereinbaren. Umgehend wird das erledigt. Schneller als in einem Callcenter kommt der Kontakt zustande. Wir einigen uns auf Sonnabend, 12 Uhr. Da soll sich die Spitze der Spritze in das Fleisch des Oberarms bohren und mein 86-jähriger Körper alles Weitere tun.

Pünktlich stehe ich an besagtem Sonnabend vor dem Erika-Heß-Eisstadion. Die Halle in Wedding ist wie die Arena in Treptow für die Impfung umgebaut worden, danach kommen vier weitere Impfzentren in Betracht: Flughafen Tegel, Terminal C, Hangar 4 im Flughafen Tempelhof, Messe Berlin, Halle 21 und das Velodrom. Zuerst sind die über 80-jährigen Berliner an der Reihe.

Viele kommen in einem Taxi, die Fahrt bezahlt der Senat. Es ist so, als hätten die Ordner am Eingang nur auf mich, den früher Geborenen, gewartet. Ich werde von einem zum nächsten geleitet und hofiert. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“ – „Möchten Sie sich bei mir einhaken?“ Solche Sachen.

So einfühlsam kann der öffentliche Dienst sein

Diese Helfer sind leuchtende Vorbilder für den öffentlichen Dienst am Bürger. Freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit. Wer immer schon einmal erleben wollte, wie freundlich und einfühlsam der öffentliche Dienst sein kann, der folge der Einladung zur Corona-Impfung.

Hier sind Johanniter, Malteser, Leute vom Technischen Hilfswerk, vom Wasserrettungsdienst, von der Arbeiterwohlfahrt und Bundeswehrsoldaten in Tarnanzügen aktiv, alle wie eine große Familie unter dem Motto: „Wir helfen Berlin“, das auf jeder der roten, blauen, gelben oder grünen Westen auf den Rücken gedruckt ist.

Die Zahl der barmherzigen Samariter ist größer als die derer, die auf ihre Impfung warten. „Noch“, sagt Bianca, die mir zugeteilte Betreuerin. „Wenn sich hier pro Tag 1500 Menschen ihre Spritze abholen, dann ist Ende der Gemütlichkeit, dann wird es etwas unruhiger zugehen.“

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Derzeit wird man in eine der zahlreichen Kabinen begleitet, wo die Einladung samt Fragebogen und Anamnese in einem kleinen Laptop verschwindet. Da steht dann auch bei mir: „Hört schwer“, was leider stimmt. Die Kabinen sind solide Handwerksarbeit, sie stehen in der Eislaufhalle. Wo sonst Freizeitsportler den Rittberger üben, liegt jetzt der rohe Beton, kein Eis, nicht mal eine Eiswaffel. Man sitzt da, wo sich sonst die Eishockeyschläger kreuzen. Die Fantasie geht auf Reisen in die Vergangenheit und Zukunft: volle Zuschauertribünen, Bierstände für eine Molle zwischendurch, Torgeschrei, Spannung und Gemütlichkeit. Kommt alles wieder – gut Ding will Weile haben.

Während hinter verschlossenen Türen mein Impfstoff „Moderna“ langsam auftaut, vertreibt mir Bianca von der Arbeiterwohlfahrt die Wartezeit und hofft, dass sich möglichst viele Leute impfen lassen. Die Impfungen sind freiwillig und kostenlos, Vater Staat gibt für die Volksgesundheit eine Menge Geld aus. Die Helfer sprechen deutsch, tunesisch, englisch, französisch und türkisch: die Internationale contra Covid-19.

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Jetzt kommt eine junge Frau, eingehüllt in einen Mantel aus flauschigem hellblauen Material. Es ist der Höhepunkt, denn Jule Leisenring, Kinderärztin, fragt, mit welchem Arm ich schreibe? „Okay, dann nehmen wir den linken.“ Lässig drückt sie die Nadel in den Oberarm. Pflaster drauf, fertig. Neil Armstrong würde jetzt wahrscheinlich sagen: „Ein kleiner Piks für den Menschen, ein großer für die Menschheit!“

Der Impfling bedankt sich, zieht das Hemd an und denkt daran, wie viele Pikser man in diesem Leben schon heil überstanden hat. Gegen Hepatitis, Diphtherie, Pocken, Grippe sowieso, Tetanus, Keuchhusten – und nun muss dieses verdammte Luder von Covid-19 weggepikst werden. In drei Wochen wird die Zeremonie wiederholt. Dann trifft man sie wieder, die barmherzigen Samariter in der mollig warmen Eishalle ohne Eis. Gesundheit!

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