Sommerhitze in Berlin: Ein Hoch auf das Erdgeschoss
Eigentlich sind die Pluspunkte von Parterre-Wohnungen überschaubar. Warum sie während der heißen Sommertage plötzlich doch Trumpf sind.
Manchmal stellt sich die Frage, ob es nicht doch so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit gibt. „Ja!“, dringt der Ruf der brüllenden Hitze in den letzten Tage als Antwort auf diese Frage immer wieder heiser-heiß ans Ohr. Denn in meiner Erdgeschosswohnung bin ich ausnahmsweise fein raus. Eine Genugtuung für das tägliche Von-oben-herab der Nachbarn. Rache ist kühl.
Eigentlich sind die Pluspunkte einer solchen Wohnung überschaubar. Es sind zwei. Und sogar die haben ihre Kehrseite. Man muss keine Treppen hinauf-, dafür können Einbrecher leicht einsteigen. Man ist ganz nah dran am Kiezgeschehen und ist immer bestens informiert – zum Beispiel über die morgendlichen Ausflüge des benachbarten Kindergartens, die Gassi-Rhythmen der Nachbarn und Tonnenschleuder-Rituale der Müllmänner. Denn man hört alles. Immer.
Als Erdgeschossbewohner ist man gleichsam der Bodensatz der Hausgesellschaft, die sich an der vom Innenhof einsehbaren Truman-Show belustigt. Man wird außerdem zur Paket-Abgabestelle umfunktioniert, der eigene Fußabtreter als Zwischenstopp für dreckige Nachbarschuhe missbraucht. Und ständig tropft von oben das Wasser lecker Regenrinnen und Kerzenwachs romantischer Abende am Sims aufs Fensterbrett ganz unten.
Doch jetzt ist Sommer! Die heiße Luft steigt nach oben. Dabei nimmt sie den Duft meines Balkons – der von Kötern verkotete Bürgersteig – mit nach oben zu den ihren. Vertreibt die laut quasselnden Nachbarn. Und während das Parterre schon längst in erträglichen Schattentemperaturen liegt, sengt die Sonne bis spätabends in die oberen Etagen.
Genussvoll lasse ich die Kälte meinen Körper entlangkriechen, die aus den Ritzen des Laminats dringt. Die verpfuschte Isolierung wird zur Rettung vor der schwülen Hitze, die sich im Innenhof zwischen die oberen Stockwerke gespannt hat. Schweiß tropft von oben auf mein Fensterbrett. Wärme steigt weiter auf, kühle Luft bleibt unten zurück – und ich mit einem Lächeln.
Vinzenz Greiner